Jens Schwamborn: Mit Mini-Brains auf der Suche nach Covid-Game-Changern

Jens Schwamborn
 

Neurobiologe Prof. Jens Schwamborn entwickelt Mini-Gehirne. Was sich zunächst nach einem Science Fiction-Film anhört, ist längst Realität in den Forschungslabors von OrganoTherapeutics, dem Unternehmen, das Jens Schwamborn gemeinsam mit seinem Kollegen Javier Jarazo als Ableger der University of Luxembourg / Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) im Jahr 2019 gegründet hat. Hier werden in vitro Hirnorganoide, eben jene Mini-Gehirne, aus menschlichen Stammzellen entwickelt, ursprünglich mit dem Ziel, bei der Entwicklung und Erforschung neuer wirksamer Medikamente gegen Parkinson zu helfen. Wie sich herausstellte, können die Hirnorganoiden allerdings auch im Kampf gegen SARS-CoV2 einen wertvollen Beitrag leisten, indem an ihnen statt Parkinson eine Covid 19-Infektion dargestellt wird. Auf diese Weise lässt sich an den Mini-Brains erforschen, wie SARS-CoV2 das menschliche Hirn angreift und welche Wirkstoffe dabei helfen können, dies zu verhindern. Ein Grund, um Jens Schwamborn einmal eingehender zu seiner Arbeit zu befragen:

– Was genau sind Hirnorganoiden?

– Wie greift SARS-CoV2 den menschlichen Körper an?

– Warum können die Mini-Brains die Covid-Forschung unterstützen?

– Wie werden die Hirnorganoiden zur SARS-Cov2-Forschung eingesetzt?

– Was ist Drug Repurposing?

WAS GENAU SIND HIRNORGANOIDEN?

Der Fokus von Jens Schwamborns Forschung gilt der Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten, die ein krankheitsbedingtes Absterben von Nervenzellen und Nervenfasern verhindern können. Auf diese Weise könnte der Verlauf bestimmter Krankheiten verlangsamt oder im Idealfall sogar ganz aufgehalten werden, was die Lebensqualität Betroffener erheblich erhöhen könnte. Jens Schwamborns Idee ist es, mit seiner Forschung direkt an den Nervenzellen anzusetzen. Dazu werden Patienten lebende Hautzellen entnommen, was keine besonders schmerzhafte oder unangenehme Prozedur darstellt. Die hauptsächliche Forschung von OrganoTherapeutics beschäftigt sich auf Parkinson-Patienten, was bedeutet, dass die entnommenen Hautzellen die genetischen Informationen welche zur Parkinson-Krankheit gehoeren in sich tragen. Auf diese Weise lässt sich zwar kein vollständiges menschliches Gehirn nachbauen, betont Jens Schwamborn, doch lassen sich aus den Stammzellen Nervenzellen entwickeln, die in ihrer Struktur jenen aenhlich sind, die in einem vollständigen Gehirn vorkommen. Daher lässt sich an diesen Hirnorganoiden testen, ob und wie bestimmte Wirkstoffe in der Lage sind, jene Schäden zu verhindern, die Parkinson im Nervensystem anrichtet.

WIE GREIFT SARS-COV2 DEN MENSCHLICHEN KÖRPER AN?

Damit Wirkstoffe zu Medikamenten entwickelt werden können, muss zunächst die Krankheit selbst verstanden werden, erläutert Jens Schwamborn. SARS-Cov2-Infizierte zeigen häufig Veränderungen im Gehirn und am Nervensystem, die nahelegen, dass Covid am zentralen Nervensystem und im Gehirn Schäden verursachen kann. Autopsien von an SARS-CoV2 verstorbenen Personen bestätigten dies. Oft wird auch Darm, Nieren und Leber befallen, was sich in der Symptomatik meist nicht gravierend auswirkt, was jedoch zeigt, dass das Virus fähig ist, bestimmte Arten von Zellen und Gewebe zu infizieren und sich dort zu vermehren. Vor allem bei Patienten mit Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Diabetes können hier betroffen sein.

WARUM KÖNNEN DIE MINI-BRAINS DIE COVID-FORSCHUNG UNTERSTÜTZEN?

Inzwischen gilt als erwiesen, dass SARS-CoV2 den Körper auch neurologisch angreift. Für Jens Schwamborn stellte diese Erkenntnis die Verbindung zu seiner eigenen Forschung mit OrganoTherapeutics dar – die von ihnen entwickelten Hirnorganoiden können hier ansetzen und zur Forschung zu SARS-CoV2 genauso eingesetzt werden wie zur Parkinsonforschung. Hierzu müssen anders als bei den Tests zu Parkinson gesunde Hautzellen entnommen und diese zu gesunden Stammzellen weiterentwickelt werden, aus denen sich dann zunächst gesunde Mini-Gehirne generieren lassen. Diese werden schließlich mit SARS-CoV2 infiziert und stellen so das Geschehen einer Covid-Infektion im neurologischen Bereich des menschlichen Körpers dar. Aufgrund der Dringlichkeit dieses Projekts, welches von der luxemburgischen Regierung unterstützt wird, arbeiteten OrganoTherapeutics hier mit dem Luxembourg Institute of Health (LIH) und DeepBioInsights in enger Kooperation zusammen, so Jens Schwamborn.

WIE WERDEN DIE HIRNORGANOIDEN IM KAMPF GEGEN SARS-COV2 EINGESETZT?

Die von OrganoTherapeutics in vitro erzeugten Mini-Gehirne werden am Luxembourg Insitute of Health mit SARS-CoV2 infiziert. Jens Schwamborn merkt hierzu an, dass dieser Schritt insbesondere deswegen vom LIH übernommen wird, weil zum Umgang mit SARS-CoV2-Viren Labors mit besonders hoher biologischer Schutzstufe notwendig sind, um das Virus nicht unnötigerweise weiter in Umlauf zu bringen und Menschen zu gefährden, die an ihm arbeiten. Deshalb werden die Hirnorganoiden nach der Infektion einer Behandlung unterzogen, die das Virus so inaktiviert, dass eine weitere Verbreitung damit nicht möglich ist und OrganoTherapeutics weiter an den Mini-Gehirnen forschen kann, wie SARS-CoV2 ein Absterben der Nervenzellen und eine Reduzierung neuronaler Funktionen bewirkt. Zu diesem Schritt werden Hochdurchsatz-Mikroskope und leistungsstarke Computer-Cluster eingesetzt, verrät Jens Schwamborn. Im Ergebnis soll festgestellt werden, welche genetischen Veränderungen durch Infektion mit SARS-CoV2 verursacht werden können.

WAS IST DRUG REPURPOSING?

Jens Schwamborn und OrganoTherapeutics haben ihr ursprüngliches Modell zur Erforschung von Parkinson mit Hirnorganoiden für die SARS-CoV2-Forschung erweitert. In einem zusätzlichen Schritt geht es darum, Möglichkeiten zu testen, nach denen bereits für andere Krankheiten existierende Medikamente zur Behandlung von SARS-CoV2 umgenutzt werden können. Dies ist dann der Fall, wenn sie einen Wirkstoff beinhalten, der auch gegen das Covid-Virus eingesetzt werden kann. In einem solchen Fall, wo ein ursprünglich für eine bestimmte Krankheit entwickeltes Medikament wirksam auch gegen eine andere Krankheit eingesetzt werden kann, spricht man von Drug Repurposing. Um diese Möglichkeiten zu testen, wird aufgrund der Fülle von Medikamenten und Wirkstoffen ein Ansatz verwendet, der künstliche Intelligenz einsetzt. DeepBioInsights ist ein Unternehmen, dass sich diesem Ansatz widmet und daher ein wichtiger Kooperationspartner von Jens Schwamborn und OrganoTherapeutics ist. Das von DeepBioInsights entwickelte Modell konnte bereits erfolgreich zum Beispiel bei der Suche nach Wirkstoffen gegen Alzheimer eingesetzt werden. Für Jens Schwamborn entsteht durch diese Zusammenarbeit eine ideale Voraussetzung, dass auch am Hirnorganoid-Modell kurz- oder mittelfristig einige Moleküle benannt werden können, die dann experimentell als Wirkstoff gegen SARS-CoV2 eingesetzt werden können. Das Modell der künstlichen Intelligenz liefert Wirkstoff-Kandidaten, die an den Hirnorganoiden getestet und nach ihrer Wirksamkeit beurteilt werden. Nach Identifikation geeigneter Wirkstoffe können diese ggf. zur Behandlung von SARS-CoV2 umgenutzt werden,erklärt Jens Schwamborn.

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