Keine Entwarnung bei Suchterkrankungen – neue Suchtmittel auf dem Vormarsch

Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage, die durch die
Einnahme von Suchtmitteln verursacht wurden, ist in den letzten zehn
Jahren um rund 17 Prozent angestiegen: Von 2,07 Millionen Fehltagen
im Jahr 2002 auf 2,42 Millionen Fehltage im Jahr 2012. Alkoholkonsum
und Rauchen sind laut Fehlzeiten-Report 2013 des Wissenschaftlichen
Instituts der AOK (WIdO) die Hauptursachen. Experten sehen aber auch
einen Trend zu einer verstärkten Einnahme von leistungssteigernden
Mitteln.

„Obwohl in den vergangenen Jahren eine ganze Menge unternommen
worden ist, können wir bei den Suchterkrankungen keine Entwarnung
geben“, sagte Uwe Deh, Geschäftsführender Vorstand beim
AOK-Bundesverband, bei der Vorstellung des Fehlzeiten-Reports 2013 in
Berlin. Während die traditionellen Suchtmittel wie Alkohol und Tabak
weiterhin das Gros der Fehltage verursachten, seien neue Suchtmittel
wie das sogenannte „Gehirndoping“ erkennbar auf dem Vormarsch. „Damit
wir diesem Trend wirksam Einhalt gebieten können, müssen wir noch
besser verstehen, welche Präventionsprogramme tatsächlich Wirkung
zeigen. Leider dominiert in Deutschland die Grundlagenforschung. Der
politische Rückenwind für eine praxisnahe Präventions- und
Versorgungsforschung fehlt bisher. Das muss sich dringend ändern“, so
Deh weiter.

Arbeitnehmer, die mindestens eine Krankschreibung aufgrund einer
Suchterkrankung aufweisen, haben nach einer Analyse des WIdO im
Schnitt drei Mal so lange Arbeitsunfähigkeitszeiten wie Beschäftigte,
die aus anderen Gründen krankgeschrieben werden. Die meisten
suchtbedingten Krankschreibungen sind auf das am stärksten von der
Gesellschaft anerkannte Genussmittel zurückzuführen: Fast 44 Prozent
aller suchtbedingten Arbeitsunfähigkeitsfälle entfallen auf
Alkoholkonsum. „Die Sucht ruiniert nicht nur die Gesundheit der
Betroffenen. Sie hat auch massive Folgen für die Wirtschaft. Allein
die Kosten von Alkohol- und Tabaksucht belasten die deutsche
Wirtschaft jährlich mit etwa 60,25 Milliarden Euro“, sagte Deh.

Trend zu leistungssteigernden Suchtmitteln

Einen detaillierten Einblick in den Umfang von Süchten in der
Arbeitswelt ermöglicht eine aktuelle Studie des WIdO für den
Fehlzeiten-Report. Über 2.000 Erwerbstätige zwischen 16 und 65 Jahren
wurden dafür nach ihren Belastungen am Arbeitsplatz sowie den Umgang
mit ihrer Gesundheit befragt. Es zeigte sich, dass 5,3 Prozent der
Befragten täglich Alkohol konsumieren. Der Anteil der Männer liegt
dabei mit 8,9 Prozent fast viereinhalbmal über dem der Frauen (2
Prozent). Unabhängig vom Geschlecht steigt die Wahrscheinlichkeit
eines regelmäßigen Alkoholkonsums mit dem Bildungsstand. Beim
Tabakkonsum ist es genau anders herum. Je höher der Bildungsstand
ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit zu rauchen. Etwa ein
Drittel aller Beschäftigten raucht gelegentlich oder regelmäßig.
Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es nicht, dafür aber
einen starken Bezug zum Alter. So nimmt der Anteil der Raucher mit
steigendem Lebensalter ab. Mit Abstand die meisten Fehltage sind auf
Alkoholsucht und Rauchen zurückzuführen. Andere Süchte wie die
Einnahme leistungssteigernder Substanzen gewinnen aber – ausgehend
von einem geringen Niveau – an Bedeutung. „Um berufliche
Stresssituationen zu bewältigen, haben nach unserer Befragung
immerhin fünf Prozent der Arbeitnehmer in den letzten zwölf Monaten
Medikamente wie beispielsweise Psychopharmaka oder Amphetamine zur
Leistungssteigerung bei der Arbeit eingenommen. Bei den unter
30-Jährigen trifft dies immerhin auf jeden Zwölften zu“, sagte Helmut
Schröder, Stellvertretender Geschäftsführer des WIdO. „Die
Dunkelziffer dürfte noch erheblich größer sein, denn Studien zeigen,
dass viele Menschen bereit sind, bei hoher Arbeitsbelastung
stimulierende Mittel einzunehmen.“

Themen wie die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln müssten
in Zukunft stärker in den Angeboten der Krankenkassen berücksichtigt
werden können, forderte AOK-Vorstand Uwe Deh. Die AOK setze sich
daher dafür ein, dass der Präventionsleitfaden, der den Rahmen für
die Aktivitäten der Kassen definiert, entsprechend erweitert werde.

Der Arbeitsplatz als Ort für Prävention

Zunehmender Leistungsdruck, die Verdichtung der Arbeit oder die
Erwartung, dass Beschäftigte ständig erreichbar sind und schnell
reagieren – all das kann dazu beitragen, dass Menschen
Verhaltensweisen entwickeln, die zu Abhängigkeit und Sucht führen.
Zugleich bietet der Arbeitsplatz aber auch den Raum für entsprechende
Präventionsangebote.

Bei den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR), dem größten
kommunalen Entsorgungsunternehmen Deutschlands, gibt es bereits seit
17 Jahren ein betriebliches Suchtpräventionsprogramm und eine
Dienstvereinbarung, die ein absolutes Alkoholverbot am Arbeitsplatz
festschreibt. Die Dienstvereinbarung bietet sowohl den
Führungskräften als auch den Beschäftigten einen klaren
Handlungsrahmen für den Umgang mit Alkohol- oder anderen
Suchtmittelauffälligkeiten am Arbeitsplatz. Begleitend bietet eine
innerbetriebliche Beratungsstelle allen betroffenen Beschäftigten
Hilfe und Unterstützung. Bei der BSR herrscht die Einsicht vor, dass
das Wissen über Suchtgefahren den verantwortungsvollen Umgang mit
Suchtmitteln stärkt. Deshalb gehört das Thema Suchtgefährdung ganz
selbstverständlich zu vielen betrieblichen Gesundheitsseminaren für
die Beschäftigten und zu den Weiterbildungsangeboten für
nebenamtliche Präventionskräfte. Diese Kräfte sind speziell geschulte
kollegiale Ansprechpartner und übernehmen sogar in ihrer Freizeit
eigenständig Aufgaben bei Präventionsangeboten der BSR.

„Im Umgang mit Alkoholauffälligkeiten am Arbeitsplatz sind klare
Handlungsanweisungen sinnvoll. Diese geben allen Beschäftigen die
notwendige Orientierung. Eine erfolgreiche Präventionsarbeit muss das
gesamte Unternehmen erfassen, nicht nur konkret betroffene
Beschäftigte. Ohne ein offenes Umfeld, um Probleme zu thematisieren,
und eine Vermittlung von Wissen über Abhängigkeiten und Hilfen, wäre
alles nur eine halbe Sache. Wichtig ist, dass im Kopf unserer
Beschäftigten der Kurs ‚Null Promille am Arbeitsplatz‘ gehalten
wird“, sagte Georg Heidel, Präventionsexperte von der BSR.

Die AOKs unterstützen Firmen vor Ort mit umfangreichen Angeboten
für die Betriebliche Gesundheitsförderung beim Umgang mit
Suchtmitteln. Mehr dazu auf www.aok-bgf.de.

Weitere Informationen: www.aok-presse.de

Pressekontakt:
AOK-Bundesverband
Pressestelle
Christine Göpner-Reinecke
Tel.: 030 / 346 46 2298
E-Mail: christine.goepner-reinecke@bv.aok.de

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