Bessere Behandlungserfolge bei chronischen Wunden dringend geboten /Ärzte und Pfleger verlangen wirksame und bezahlbare Therapeutika für Patienten: weniger Amputationen und bessere Lebensqualität

Vier Millionen chronische Wunden ziehen
jedes Jahr in Deutschland 30 000 Amputationen und sechs Milliarden
Euro Behandlungskosten nach sich. Diese erschreckende Bilanz zogen
Wundexperten auf dem Pflege Kongress 2012 am Freitag, 27. Januar in
Berlin.

Die sogenannte „Moderne“ Wundversorgung ist inzwischen 50 Jahre
alt und wird den wachsenden Herausforderungen in der Wundtherapie
nicht mehr gerecht, beklagten die Fachleute in Berlin. Für viele
Betroffene bedeutet die Erkrankung zudem erhebliche Einbußen in der
Lebensqualität und soziale Isolation. „Es gibt zahlreiche Studien,
die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen chronischen Wunden und
Depressionen belegen“, betonte die pflegerische Expertin für
Wundversorgung Kerstin Protz aus Hamburg. „Und die Amputation
bedeutet für viele Patienten dann das Aus.“ Neue Behandlungsoptionen
für Menschen mit chronischen Wunden seien daher dringend geboten, so
die Experten einstimmig auf dem Kongress.

Neue Therapieansätze sind zwar in Sicht, doch die meisten sind
teuer und bleiben spezialisierten Zentren vorbehalten. Dazu zählen
etwa die neue Vakuumtherapie VAC-Instill, die Stammzelltherapie und
eine neuartige Plasmastrahlbehandlung, die Keime reduzieren und die
Wundheilung fördern soll. „Der Nachteil dieser Therapien ist, dass
sie für den praktischen Einsatz im ambulanten Bereich nicht geeignet
sind“, kommentierte die ICW-Wundexpertin Zeynep Babadagi-Hardt, die
in Duisburg einen ambulanten Pflegedienst und eine Akademie betreibt.

Anders Wachstumsfaktoren und ein Hämoglobin-Spray: Beide Präparate
präsentieren eine neue Generation in der Wundtherapie – und können
von Pflegdiensten angewendet werden. Jedoch sei eine Tube
Wachstumsfaktoren mit knapp 1 000 Euro extrem teuer und werde nur in
wenigen Fällen von den Kassen erstattet, gab Hardt zu bedenken. Ein
in Mexiko zugelassener Hämoglobin-Spray, der den Wunden den zur
Wundheilung benötigten Sauerstoff zuführt, kommt demnächst auch in
Deutschland auf den Markt. „Mit wenigen Euro pro Behandlung wäre
dieses Produkt tatsächlich bezahlbar“, kommentierte Hardt den Spray,
der in Berlin dem Fachpublikum vorgestellt wurde. „In Sachen
Wirksamkeit bin ich gespannt, ob die vielversprechenden Ergebnisse
aus Mexiko bestätigt werden können“. Die Wundexpertin kündigte an,
Neuprodukte auf ihre Wirksamkeit hin zu testen und die Ergebnisse auf
Fachkongressen zu präsentieren.

Der Aufbau des bundesweiten Registers „Diabetisches Fußsyndrom“
schreitet voran

Der Diabetesexperte Dr. Alexander Risse vom Diabeteszentrum am
Klinikum Dortmund verwies unterdessen auf die besondere Problematik
beim Diabetischen Fußsyndrom (DFS). Dieses verursacht – neben
Unterschenkelgeschwüren (Ulcus cruris) und Dekubitus – einen Großteil
der chronischen Wunden. Mit 200 000 Fällen pro Jahr gehört das DFS zu
den gefürchtetsten Folgekomplikationen des Diabetes mellitus. „Noch
immer werden Zehen, Füße oder ganz Beine amputiert, weil Ärzte die
Neuropathie verkennen und fälschlicherweise eine okklusive
Mikroangiopathie diagnostizieren“, sagte Risse. „Dabei sind bei den
meisten Menschen mit Diabetes die kleinen Gefäße am Fuß aufgrund der
Lähmung des vegetativen Nervensystems weit gestellt.“

Zur Behebung dieser Schwierigkeiten ist eine intensivere und vor
allem strukturierte Zusammenarbeit zwischen allen Fachgruppen
erforderlich. Im November 2010 hat sich daher eine Expertengruppe
„Diabetisches Fußsyndrom“ am MDI gegründet. Der interdisziplinären
Gruppe haben sich mittlerweile auch Vertreter der AOK und Ärzte aus
anderen EU-Ländern angeschlossen. Gemeinsam bauen sie derzeit eine
unabhängige Datenbank auf, die sämtliche therapierelevante Daten aus
ganz Deutschland erfasst. „Zusammen mit Angiologen, Gefäßchirurgen,
Dermatologen, Chirurgen, Diabetologen und anderen Praktikern haben
wir bereits Parameter definiert, die die behandelnden Ärzte künftig
erfassen sollen. Wenn uns diese Daten eines Tages vollständig
vorliegen, dann haben wir eine solides Fundament, um angewandte
therapeutische Maßnahmen vernünftig evaluieren zu können.“ Von dem
deutschlandweiten DFS-Register versprechen sich Risse und seine
Mitstreiter ähnliche Erfolge wie sie die Fußnetze in Nordrhein
erzielen konnten. Dort haben die seit Jahren etablierten Fußnetzwerke
und die daran geknüpften IV-Verträge einen echten Qualitätssprung
bewirkt: Die Majoramputationsraten sind von über zehn auf unter zwei
Prozent zurückgegangen.

Pressekontakt:
Beatrice Hamberger
Pressestelle Medical Data Institute
Fon: +49 (0)30 318 022 70
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