Wie Angebot und Nachfrage bei Wahl der weiterführenden Schule in Berlin zusammenspielen

Wenn Eltern und ihre Kinder
eine weiterführende Schule auswählen, sind Schulen stärker
nachgefragt, wenn sie bestimmte Merkmale aufweisen: Dazu gehören zum
Beispiel MINT- und Sprachschwerpunkte, Ganztagsangebote und eine
eigene gymnasiale Oberstufe. Ebenso von Bedeutung ist die
Zusammensetzung der Schülerschaft – etwa der Anteil von Schülerinnen
und Schülern mit nicht-deutscher Herkunftssprache. Das belegt eine
jetzt veröffentlichte Studie, die das Deutsche Institut für
Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Berlin durchgeführt
hat. Die Befunde deuten zudem an, dass das Angebot der Schulen diese
Nachfrage derzeit nicht in vollem Umfang bedienen kann.

Bei der Wahl der weiterführenden Einzelschule haben Familien in
Deutschland in der Regel größere Freiheiten als bei der
Grundschulwahl, die oft an festgelegte Einzugsgebiete gekoppelt ist.
Gleichzeitig sind die Schulen in immer stärkerem Maße zur
Schwerpunktsetzung und Profilierung angehalten, um sich im Wettbewerb
um die Schülerinnen und Schüler von den anderen Schulen abzuheben.
Bislang liegen aber nur wenige empirische Untersuchungen zu den Vor-
und Nachteilen dieses marktorientierten Zusammenspiels von Angebot
und Nachfrage vor. Die neue DIPF-Studie soll helfen, diese
Forschungslücke zu schließen. Sie ist der Frage nachgegangen, wie
sich Unterschiede bei der Schulnachfrage durch inhaltliche und
strukturelle Angebote der Schulen sowie durch die Zusammensetzung der
Schülerschaft erklären lassen. Daraus können sich auch Hinweise für
die Politik und die Schulen ergeben, wie man besser auf den Bedarf
der Familien eingehen kann.

Die Forschungsfrage wurde anhand der Daten von 114 der insgesamt
123 öffentlichen Integrierten Sekundarschulen (ISS) Berlins
untersucht. Diese noch relativ neue Schulform ist aus den ehemaligen
Haupt-, Real- und Gesamtschulen hervorgegangen. Sie ermöglicht alle
Abschlussoptionen, von der Berufsbildungsreife bis hin zum Abitur.
Der Weg zum Abitur wird an ISS entweder über eine eigene gymnasiale
Oberstufe oder über Kooperationen mit beruflichen Gymnasien oder den
Oberstufen anderer ISS eröffnet. Die Nachfrage nach diesen Schulen
ermittelten die Forscher über die Erstwunschanmeldungen zur 7. Klasse
für das Schuljahr 2014/2015. Die Schulmerkmale, die potenziell dazu
dienen können, Nachfrageunterschiede zu erklären, entnahmen sie
größtenteils dem Online-Schulverzeichnis der Senatsverwaltung für
Bildung, Jugend und Familie. Es liegt öffentlich vor und ist damit
auch allen Familien als Grundlage für ihre Schulwahl zugänglich.

Nachgefragte Schulmerkmale

Auf dieser Datengrundlage errechnete das wissenschaftliche Team
mit bivariaten Korrelationsanalysen zunächst den Zusammenhang
zwischen den Schulmerkmalen und der Nachfrage. Im Ergebnis waren
Schulen stärker nachgefragt, wenn sie folgende Merkmale aufweisen:

Angebot:

o MINT-Profil
o Sprachliches Profil
o Musisch-künstlerisches Profil
o Mehr als zwei angebotene Fremdsprachen
o Gebundene Ganztagsangebote
o Nach Leistungsniveaus getrennte Lerngruppen in einigen Fächern

Schülerzusammensetzung:

o Geringer Anteil von Schülerinnen und Schülern mit
nicht-deutscher Herkunftssprache
o Geringer Anteil unentschuldigten Fernbleibens vom Unterricht
o Geringer Anteil von Schülerinnen und Schülern, die aufgrund der
sozialen Situation ihrer Familien von der Zuzahlung zu
Lernmitteln befreit sind
o Gutes Abschneiden bei den Prüfungen zum mittleren Schulabschluss

Schulstruktur:

o Die ISS ist aus einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe
hervorgegangen.
o Die Schule verfügt über eine eigene gymnasiale Oberstufe.
o Die Schule verfügt über viele Plätze für Neuaufnahmen.

Nicky Zunker, Forscher am DIPF und Erstautor des in der
Zeitschrift für Pädagogik veröffentlichten Fachartikels zu der
Studie, fasst zusammen: „Die Schulen mit dem breiteren und
höherwertigen Angebot sowie mit einer potenziell günstigeren
Zusammensetzung der Schülerschaft werden stärker nachgefragt. In der
Summe legt dies ein rationales Wahlverhalten für einen substantiellen
Anteil der Eltern nahe: Schulen, die höhere Bildungschancen für die
Kinder erwarten lassen, werden überproportional häufig gewählt,
während Schulen, die mit niedrigeren Bildungschancen assoziiert
werden, tendenziell gemieden werden – auch wenn die Wahl im
Einzelfall nach ganz anderen Logiken erfolgen kann.“

Die Analyse ergab zudem, dass die Effekte der Schulmerkmale nicht
unabhängig voneinander sind. Wenn die Merkmale also zusammen
auftreten, was häufig vorkommt, lässt sich der Einfluss auf die
Nachfrage nicht mehr nach einzelnen Merkmalen trennen. Daher führten
die Forscher zusätzlich multivariate Regressionsanalysen durch, um
Merkmale zu identifizieren, die einen von den anderen unabhängigen
Effekt haben. Diesen fanden sie bei den Prüfungsresulaten, bei der
unentschuldigten Fehlquote, dem Vorhandensein einer eigenen
Oberstufe, der Platzkapazität und der ehemaligen Schulform.
„Zumindest in der von uns untersuchten Stichprobe von Berliner
Schulen scheinen diese Faktoren im Vergleich zu den anderen
untersuchten Merkmalen von etwas größerer Bedeutung für die
Nachfragesituation einer Schule zu sein“, ordnet Zunker ein.

Eingeschränktes Angebot?

Zum Abschluss wertete das Team aus, inwieweit das Angebot von
Schulen mit inhaltlichen Profilen, zusätzlichen Fremdsprachen,
Ganztagsangeboten, nach Leistung getrennten Lerngruppen und
gymnasialen Oberstufen entsprechend der Nachfrage ausreichend
vorhanden ist. Dazu zählten sie zunächst die Erstwunschanmeldungen an
Schulen, die über das jeweilige Merkmal verfügen, zusammen. Diese
Zahlen stellten sie den Plätzen an Schulen mit dem entsprechenden
Angebot gegenüber. In keinem Fall standen genügend Plätze zur
Verfügung. Allerdings ist das für die Autoren nur eine grobe
Annäherung an das tatsächliche Verhältnis zwischen Angebot und
Nachfrage. Denn es ist nicht klar, ob die Familien aufgrund der
Merkmale ihren Erstwunsch formuliert haben. Zunkers Fazit: „Es deuten
sich zwar Differenzen zwischen dem Schulangebot und der Nachfrage
nach Schulen mit spezifischen Angebotsmerkmalen an, dieser Befund ist
auf Basis der von uns verwendeten Daten allerdings vorsichtig zu
bewerten. Wirklich belastbare Aussagen wären nur zulässig, wenn man
individuelle Eltern- und Schülerangaben zu entscheidungsrelevanten
Schulmerkmalen miteinbezieht.“

Neben dem Einbezug von Individualdaten könnten anschließende
Untersuchungen in anderen Städten oder Bundesländern ebenso helfen,
die Befunde der Studie zu erhärten. Denn ihre Aussagekraft ist wegen
der relativ geringen Anzahl von Schulen sowie der Konzentration auf
die sehr spezifische Situation in Berlin zusätzlich eingeschränkt.
Auch bleibt die Frage offen, inwieweit der Besuch einer stärker
nachgefragten Schule zu besseren Lernleistungen führt.

Der Fachartikel zu der Studie:

Zunker, N., Neumann, M. & Maaz, K. (2018). Angebot und Nachfrage
bei der Einzelschulwahl. Der Einfluss von Schulmerkmalen und der
Zusammensetzung der Schülerschaft auf die Nachfrage nach
weiterführenden Schulen in Berlin. Zeitschrift für Pädagogik 64 (5),
586-611. DOI: 10.3262/ZP1805586

Über das DIPF:

Das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung
(DIPF) mit Sitz in Frankfurt am Main und in Berlin trägt mit
empirischer Bildungsforschung, digitaler Infrastruktur und gezieltem
Wissenstransfer dazu bei, Herausforderungen im Bildungswesen zu
bewältigen. Das von dem Leibniz-Institut erarbeitete und
dokumentierte Wissen über Bildung unterstützt Wissenschaft, Politik
und Praxis im Bildungsbereich – zum Nutzen der Gesellschaft.

Pressekontakt:
Studie: Nicky Zunker, DIPF, +49 (0)30 293360-697, zunker@dipf.de
Presse: Philip Stirm, DIPF, +49 (0)69 24708-123, stirm@dipf.de,
www.dipf.de

Original-Content von: Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), übermittelt durch news aktuell

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