Ulm, 29.08.2018 – Automatisierte Fahrzeuge werden schon in naher Zukunft zum mobilen Alltag gehören – und das nicht nur auf klar strukturierten Autobahnen und Schnellstraßen, sondern auch im urbanen Raum. Gerade der Stadtverkehr birgt jedoch für die Forscher und Entwickler der dafür erforderlichen Technologien enorme Herausforderungen. Es gilt hier, ungleich komplexere Verkehrsführungen, Abläufe und mögliche sich daraus ergebende Szenarien zu beherrschen. Hinzu kommt, dass in Städten viele verschiedene Verkehrsteilnehmer auf vergleichsweise engem Raum interagieren.
Um das automatisierte Fahren in der Stadt komfortabel, sicher und effizient zu gestalten, müssen daher unterschiedlichste Komponenten optimal zusammengeführt werden – von hochpräzisen Kartensystemen über ausgefeilte Sensortechnologien bis hin zur algorithmenbasierten Situationserfassung und -interpretation. Genau diese Zielsetzung verfolgen das Ende 2017 initiierte Verbundprojekt „@CITY“ sowie das am 1. Juli dieses Jahres gestartete Partnerprojekt „@CITY-AF“, das die in „@CITY“ gewonnenen Erkenntnisse in konkrete automatisierte Fahrfunktionen umsetzt. In beiden Initiativen haben sich insgesamt 15 Partner aus Automobilwirtschaft, Zulieferindustrie, Software-Entwicklung und Wissenschaft zusammengeschlossen. Unterstützt werden sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit einem Fördervolumen von rund 20 Millionen Euro.
Gut erkennen, besser verstehen, optimal handeln
Die Entwicklung des automatisierten Fahrens in städtischen Bereichen ist dabei alles andere als ein Selbstzweck: „Wir sehen das Potenzial, die Unfallzahlen in Städten weiter zu senken und die vorhandene Verkehrsinfrastruktur gleichzeitig wesentlich effizienter zu nutzen“, erklärt Dr. Ulrich Kreßel, Projektkoordinator von „@CITY“ und bei der Daimler AG verantwortlich für Mustererkennung. „Darüber hinaus stellen wir die Weichen, um auch in Zeiten des demografischen Wandels und der zunehmenden Urbanisierung allen Verkehrsteilnehmern ein hohes Maß an individueller Mobilität zu ermöglichen.“
Da im Rahmen von „@CITY“ unterschiedlichste Aufgabenfelder bearbeitet werden, ist die Forschungsinitiative in sieben Teilprojekte gegliedert.
Umfelderfassung und Situationsverstehen
Wie verläuft die Straße? Welche Verkehrsteilnehmer bewegen sich um mich herum? Welche Absichten könnten sie verfolgen – und welche Schlüsse kann ich daraus ziehen? Automatisierten Fahrzeugen solche, für das menschliche Gehirn selbstverständliche Denkprozesse „beizubringen“, ist das Ziel dieses Teilprojekts. Dafür kombinieren die Entwickler modernste Sensortechnologien, Erfahrungswissen und Informationen aus digitalen Karten.
Digitale Karten und Lokalisation
Stichwort Karten: Sie spielen für das automatisierte Fahren in Städten eine entscheidende Rolle. Durch ihre intelligente Vernetzung mit der Onboard-Sensorik sorgen sie nicht nur für ein aktuelles, jederzeit verlässliches Umfeldmodell; dank präzise vermessener Landmarken ermöglichen künftige HD-Karten dem Fahrzeug auch die exakte Lokalisation im urbanen Raum. Solche Kartensysteme werden in der Lage sein, selbst die Position eines Bordsteins bis auf wenige Zentimeter genau anzugeben.
Konzepte und Pilotanwendungen
Um in automatisierten Fahrzeugen sicher und regelkonform von A nach B zu gelangen, kommt es auf die richtige Reaktion zum richtigen Zeitpunkt an. Hierfür müssen letztlich so gut wie alle denkbaren Szenarien betrachtet werden – insbesondere an neuralgischen Punkten wie Kreuzungen, Kreisverkehren oder in der Interaktion mit schwächeren Verkehrsteilnehmern. Darauf aufbauend entwickeln die Forscher Pilotanwendungen mit den passenden Fahrstrategien.
Mensch-Fahrzeug-Interaktion
In diesem Teilprojekt geht es um die Interaktion zwischen den drei Protagonisten: Fahrzeugnutzer, automatisiertes Fahrzeug sowie andere Verkehrsteilnehmer. Sprich: Jeder muss verstehen können, was der andere macht bzw. vorhat. Die Forscher überprüfen dabei zum Beispiel, wie sich alltägliche menschliche Kommunikationsformen im Straßenverkehr (Blickkontakt, Gesten etc.) auf automatisierte Systeme „übersetzen“ lassen, ohne dass es zu Missverständnissen kommt. Zugleich soll den Insassen ein möglichst breites Spektrum an fahrfremden Aktivitäten ermöglicht werden.
Automatisiertes Fahren über urbane Knotenpunkte
Hohe Verkehrsdichte, dynamisches Umfeld und großes Ablenkungspotenzial: Kreuzungen sowie Kreisverkehre zählen in Städten zu den Unfallschwerpunkten. Mithilfe automatisierter Fahrfunktionen lässt sich hier das Sicherheitsniveau signifikant steigern. So zeigt eine redundant ausgelegte Sensorik keine Ermüdungserscheinungen und kann im Vergleich zum Menschen ein viel weiteres Umfeld erfassen. Hierin liegt zugleich die größte Herausforderung, zumal die urbanen Knotenpunkte kein einheitliches Erscheinungsbild aufweisen und über komplexe Verkehrsführungen verfügen.
Automatisiertes Fahren auf urbanen Straßen
Auch städtische Verbindungsstrecken halten im Vergleich zu Fernstraßen eine Vielzahl von Szenarien bereit, die automatisierte Fahrfunktionen zu bewältigen haben. Vor allem statische und dynamische Engstellen – etwa Baustellen oder parkende Lieferfahrzeuge – spielen bei der Entwicklung entsprechender Fahrstrategien eine große Rolle; ebenso wie die Interaktion zwischen Pkw und dem öffentlichen Nahverkehr zum Beispiel an Bushaltestellen.
Interaktion mit schwächeren Verkehrsteilnehmern
Ob bewusst oder unbewusst: Im urbanen Raum befinden sich Fahrradfahrer, Fußgänger, Bauarbeiter und Co. in ständiger Kommunikation mit dem Pkw-Verkehr. Im Rahmen dieses Teilprojekts befassen sich die Forscher deshalb unter anderem mit der Fragestellung, wie ein automatisiertes Fahrzeug die Absicht eines Fußgängers erkennen kann, der nur anhand seiner Kopfrichtung und Fußstellung signalisiert, ob er den Zebrastreifen überqueren möchte.