12. Mai 2014 – Kinder mit ME/CFS: Große Lücken in medizinischer Versorgung

Am 12. Mai 2014, dem internationalen ME/CFS-Tag,
machen Patientenorganisationen weltweit auf die neuroimmunologische
Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis ME (auch bekannt als Chronic
Fatigue Syndrome CFS) aufmerksam.

Obwohl bereits seit Ende der 1960er Jahre von der WHO als
neuroimmunologische Krankheit eingestuft, gibt es für Betroffene nach
wie vor keine wirksame Behandlung und in der Regel nur unzureichende
medizinische Versorgung. Trotz geschätzter 300.000 Betroffener in
Deutschland ist das schwere Krankheitsbild unter Ärzten weitgehend
unbekannt. Jahrelange Ärzteodysseen, Fehldiagnosen und daraus
resultierende Falschbehandlungen sind die Folge. Die Lost Voices
Stiftung (LVS) setzt sich für eine Verbesserung dieser Situation ein.

Betroffene Kinder oft zu krank für Schulbesuch

In diesem Jahr weist die Stiftung insbesondere auf Familien mit
erkrankten Kindern hin. Schätzungen gehen von circa 40.000
betroffenen Kindern und Jugendlichen in Deutschland aus. „Die
Belastungen sind unvorstellbar“, so die Vorsitzende der Lost Voices
Stiftung Nicole Krüger. „Nicht nur sind bis zu 40 Prozent der Kinder
so schwer erkrankt, dass sie nicht mehr zur Schule gehen können,
hinzukommt, dass die Situation durch Unwissen und Unverständnis von
Kinderärzten, Jugend- und Sozialbehörden häufig noch verschärft
wird“. Denn oft wird das Krankheitsbild nicht als eine
neuroimmunologische Erkrankung gemäß WHO-Einordnung von den Ärzten
erfasst, sondern fälschlicherweise als eine psychiatrische Erkrankung
fehldiagnostiziert – insbesondere als Schulphobie. Im Gegensatz zu
Kindern mit Schulangst sind Kinder mit ME/CFS jedoch typischerweise
auch an den Wochenenden und nicht nur während der Schulwoche krank.
„Wir kennen Fälle, wo die erkrankten Kinder von der Herausnahme aus
ihren Familien durch die Behörden oder gar Kinderschutzverfahren
bedroht sind“, so Krüger. „Wir brauchen dringend eine flächendeckende
Versorgung mit Kinderärzten, die ME/CFS diagnostizieren und
Fehlbehandlungen verhindern können.“

Falsche Einordnung des Krankheitsbildes mit verheerenden Folgen

Da es noch keine eindeutigen Blutwerte oder bildgebenden Verfahren
zur Diagnose von ME/CFS gibt, sind psychiatrische Fehldiagnosen an
der Tagesordnung. Dabei gibt es klare Diagnosekriterien, anhand derer
ME/CFS in Verbindung mit Ausschlussdiagnosen diagnostiziert werden
kann. Die wenigsten Ärzte allerdings kennen die Kriterien oder die
nötigen Ausschlussdiagnosen. Häufige Folge: Fehldiagnosen,
Fehlbehandlungen, Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken, die nicht
auf die Behandlung von ME/CFS ausgerichtet sind, und somit häufig mit
Zustandsverschlechterung einhergehen.

„Kinder mit ME/CFS leiden unter Reizüberflutungen durch
Berührungen, Licht und Geräusche, außerdem ist eine
Zustandsverschlechterung nach körperlicher und geistiger Belastung
neben anderen schwerwiegenden Symptomen typisches Merkmal von
ME/CFS“, so Krüger. Psychosomatische Therapieansätze beinhalten
allerdings oft genau dies: Aktivierungen, Aufforderungen zu Bewegung,
hohe Geräuschpegel. „Unsere Erfahrungen mit betroffenen Familien
zeigen, dass diese Fehlbehandlungen soweit gehen können, dass dabei
sogar die körperliche Unversehrtheit des Kindes gefährdet wird“, so
die Vorsitzende der Stiftung.

LVS fordert Aufklärungsoffensive für bessere Versorgung von
ME/CFS-Kranken

„Wir brauchen eine regelrechte Aufklärungsoffensive für eine
bessere Versorgung von ME/CFS-Patienten in Deutschland: Bessere
Ausbildung der Ärzteschaft, eine flächendeckende Versorgung und mehr
biomedizinische Forschung, um endlich wirksame Therapien zu finden“,
fordert die Stiftungsvorsitzende Krüger. Ärzte müssten in der Lage
sein, eine von der WHO als neuroimmunologisch eingestufte Krankheit
auch als solche zu erkennen und Kranke entsprechend zu versorgen, so
Krüger weiter. Nur so lasse sich künftig vermeiden, dass noch weitere
Kinder und ihre Familien nicht nur unter einer schweren Krankheit,
sondern auch noch unter zermürbenden Verfahren gegen Jugendämter,
Schulbehörden, Kranken- und Pflegekassen zu leiden haben.

Aktuelle Forschung findet entzündliche Veränderungen und Fehler im
Immunsystem

Dabei nehmen die wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die
internationale Forschung zu ME/CFS täglich zu. So fanden Forscher des
RIKEN Center for Life Science Technologies in Zusammenarbeit mit der
Osaka City University und der Kansai University of Welfare Sciences
kürzlich heraus, dass Entzündungswerte in bestimmten Bereichen des
Gehirns von ME/CFS-Erkrankten – im cingulären Cortex, Hippocampus,
Amygdala, Thalamus, Mittelhirn und Pons – in einer Weise erhöht
waren, die mit den Symptomen korreliert. Zum Beispiel wiesen
Patienten, die über kognitive Probleme berichteten, eher
Neuroinflammation in der Amygdala auf. Die Amygdala ist eine zentrale
Verarbeitungsstation für externe Impulse und deren vegetative
Auswirkungen.

Eine weitere aktuelle Studie vom Institut für Medizinische
Immunologie, Charité Universitätsmedizin Berlin ergab, dass eine
mangelhafte spezifische Gedächtnis-B- und T-Zell-Antwort auf das
Epstein-Barr-Virus (EBV) bei ME/CFS-Patienten vorliegt. Dies weist
auf eine beeinträchtige Fähigkeit des Immunsystems hin, die frühen
Stadien der EBV-Reaktivierung zu kontrollieren. Diese Erkenntnisse
lassen wie in früheren Studien einen Zusammenhang zwischen mangelnder
Immunantwort und ME/CFS vermuten. Angesichts der katastrophalen Lage
vieler Patienten fordert die Lost Voices Stiftung die
Verantwortlichen des deutschen Gesundheitswesens auf, den aktuellen
Forschungsstand zu ME/CFS zur Kenntnis zu nehmen und den
medizinischen Umgang mit ME/CFS-Patienten entsprechend zu gestalten.

Weiterführende Links/ Literatur
http://www.lost-voices-stiftung.org

Informationen über das pädriatische ME/CFS http://ots.de/WBuin

„CFS Fact Sheet- Pediatric CFS“ der CFIDS Association of America
http://ots.de/WBuin

Fach-Präsentationen zum Thema körperliches Training bei ME/CFS
http://ots.de/qdh3p

Ihr Recht: u.a. Auszüge aus Patientenrechte in
Deutschland-Leitfaden für Patienten und Ärzte http://ots.de/dIayv

Behandlungsleitfaden für den Allgemeinmediziner
http://ots.de/mMQ7F

Entzündung des Nervensystems bei Patienten mit ME/CFS
http://www.riken.jp/en/pr/press/2014/20140404_1/

Mangelhafte EBV-spezifische B-und T-Zell-Antwort bei Patienten mit
CFS http://ots.de/RNPd5

Brief einer schwer kranken Frau an unser Gesundheitssystem
http://ots.de/R1YYF

Pressekontakt:
Lost Voices Stiftung
Nicole Krüger
Vorsitzende
Groß-Buchholzer Str. 36B
30655 Hannover
Tel. +49 (0) 511 | 270 67 51
E-Mail nicole.krueger@lost-voices-stiftung.org

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