Wie können wir Kinder und Jugendliche für Politik
begeistern – diese Frage diskutierten in Berlin jetzt Forscher aller
drei großen deutschsprachigen Kinder- und Jugendstudien. An der
Veranstaltung in den Räumen der Deutschen Parlamentarischen
Gesellschaft nahmen für die Praxis auch der Deutsche Kinderschutzbund
und für die Politik Bundestagspräsidentin a. D. Professor Rita
Süssmuth teil. Dabei zeigte sich, dass es vor allem um die Anpassung
von Strukturen und Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen geht, wenn
politische Partizipation gelingen soll. Dabei müssen auch Eltern und
Bildungsstätten einbezogen und für die Thematik sensibilisiert
werden. „Ein Dreiklang von Forschung, Praxis und Politik kann eine
nachhaltige Beteiligung von Kindern und Jugendlichen schaffen und
diese fördern“, waren sich die Fachleute in Berlin einig. Um dieses
Ziel zu erreichen, soll der übergreifende Austausch intensiviert
werden.
LBS-Kinderbarometer, Shell-Jugendstudie und die AID:A-Studie des
Deutschen Jugendinstituts weisen seit Jahren ein hohes Interesse der
jungen Generation am Geschehen in der eigenen Umgebung nach. Zudem
ist die Neugier auf das Leben von Kindern in anderen Ländern groß.
Allerdings fühlen sich die Kinder häufig von den Erwachsenen nicht
mitgenommen.
So zeigt das aktuelle LBS-Kinderbarometer, dass über die Hälfte
der Neun- bis Vierzehnjährigen sich an der politischen
Meinungsbildung in ihrer Umgebung beteiligen wollen. Bei
Entscheidungen auf europäischer Ebene ist es immerhin noch ein
Drittel. Aber nur jedes zweite Kind in Deutschland fühlt sich von den
Entscheidern vor Ort ernst genommen. „Dabei hat die Einbindung von
Kindern in lokale Entscheidungsprozesse direkte Effekte auf das
Wohlbefinden der Kinder“, bekräftigt Projektleiterin Dr. Kathrin
Müthing vom PROKIDS-Institut.
Auch die Shell-Studie erkennt grundsätzlich ein steigendes
Interesse an politischen Prozessen in der Altersgruppe der Zwölf- bis
Vierzehnjährigen. Von einer gänzlichen Politikverdrossenheit könne
hier keinesfalls gesprochen werden. Allerdings gebe es ein hohes
Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien. „Die Bedürfnisse der
Jugendlichen werden dort offensichtlich nicht altersgerecht
aufgegriffen“, so die Erfahrung von Professor Klaus Hurrelmann. Das
scheitere oft schon an der unterschiedlichen Sprache. Zudem hätten
Jugendliche ein ganz anderes Zeitverständnis: „Die wollen nicht
sieben Jahre warten, bis ein Beschluss umgesetzt ist, da zählen
schnelle Erfolgserlebnisse.“
Die AID:A-Studie des Deutschen Jugendinstituts bestätigt die
kritische Einstellung der 16- bis 29-Jährigen gegenüber der
konventionellen Parteienpolitik. „Stattdessen gibt es eine zunehmende
protest- und aktionsorientierte Beteiligung der Jugendlichen“, so
Professor Bernhard Kalicki. Als Verstärker für die Beteiligung an
Protestaufrufen oder Kaufboykotten spielen die neuen Möglichkeiten
des Internets eine wichtige Rolle.
Friedhelm Güthoff vom Kinderschutzbund appelliert daher an Politik
und Parteien, sich für Ideen junger Menschen und ihre Art der
Beteiligungswege stärker zu öffnen: „Wir müssen offener werden für
junge Menschen, denn es wäre eine vertane Chance, Kinder als
Impulsgeber nicht einzubeziehen.“ Letztlich müsse der Anspruch auf
Beteiligung verbindlich vereinbart werden – von der Gemeindeordnung
bis hin zur Verfassung. Spätestens hier wurde in der Diskussion ein
Interessenkonflikt sehr deutlich: Wer Kindern Macht gibt, muss selbst
auf Einfluss verzichten.
Auch Professor Rita Süssmuth sieht die große Diskrepanz zwischen
dem, was Kinder wollen, und dem, was tatsächlich in der Politik
ankommt. „Wir müssen altersgerechte Strukturen schaffen, um eine
gelingende Partizipation zu ermöglichen.“ Die
Alt-Bundestagspräsidentin verglich die Politikbeteiligung der Kinder
mit dem immer noch anhaltenden Kampf um die Rechte der Frauen – ein
langer Weg für alle Beteiligten.
Ansprechpartner für die Presse:
LBS-Kinderbarometer
Dr. Christian Schröder
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