Störungen des Ganges sind, vor allem im Alter und bei neurodegenerativen Erkrankungen häufig. Innerhalb eines Jahres kommt es bei etwa der Hälfte der Pflegeheimbewohner zu mindestens einem Sturz. Auch rund 30 Prozent der zu Hause Lebenden, die über 65 Jahre sind, stürzen mindestens einmal jährlich.
Komplexe motorische Prozesse im Gehirn besser verstehen
Die grundlagenwissenschaftlichen Projekte von „Moving beyond“ haben ihren Schwerpunkt bei der Erforschung der so genannten supraspinalen Bewegungssteuerung: Das Kleinhirn steuert mit den Basalganglien die Feinregulierung der Muskeln. Sie wirken korrigierend auf das Bewegungsprogramm, das heißt auf Ausmaß und Richtung der Willkürbewegung. Außerdem sind die Basalganglien an der Muskeltonuseinstellung sowie der Halte- und Stützmotorik durch Verbindung zum Hirnstamm beteiligt. Damit zielgerichtete Bewegungen ausgeführt werden können, bedarf es einer ständigen Koordination und Integration übergeordneter Instanzen. Neurowissenschaftler sprechen bei diesen Kreisläufen von supraspinaler Kontrolle. Durch das bessere Verständnis dieser Kreisläufe können, so die Vermutung, neue Ansätze für die Diagnose und Therapie abgeleitet werden. „Denn trotz der Fortschritte im Verständnis der zugrundeliegenden Schaltungen bleiben große Lücken“, sagt Dr. Carola Reinhard, Projektmanagerin von „Moving beyond“, Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik, Universitätsklinikum Tübingen.
Mit frühzeitiger Diagnose gesundheitsbezogene Lebensqualität verbessern
Der zweite Schwerpunkt legt seinen Fokus auf die frühzeitige Diagnose von Störungen und Defiziten in den Bewegungsmustern von Patienten in der Praxis. Um die Diagnostik zu verbessern, setzt eines der dort angesiedelten Projekte objektive Messparameter, beispielsweise zur Bewegungskontrolle beim Gehen, mit dem subjektiven Gesundheitsempfinden von Parkinson-Patienten in Relation. „Wir wollen dadurch ermitteln, welche Parameter sich für die Messung von Lebensqualität am besten eignen“, beschreibt Privatdozent Dr. med. Walter Maetzler, Wissenschaftlicher Koordinator von „Moving beyond“ und Neurologe am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen, Partnerstandort Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), das Ziel seines Projektes. Außerdem geht er der Frage nach, wie das Selbst-Management von Parkinson-Patienten verbessert werden kann: „Wir wollen den Patienten ihre fehlende körperliche Aktivität und deren Auswirkung bewusst machen und sie dadurch zu mehr Bewegung im Alltag anregen“, sagt Maetzler, der für sein Projekt eine PhD-/Doktorandenstelle ausgeschrieben hat.
Neue Therapien und Rehabilitationskonzepte entwickeln
Mit der Entwicklung neuer Therapien und Rehabilitationskonzepte beschäftigen sich die Projekte im dritten Schwerpunkt von „Moving beyond“. „Denn zur Zeit gibt es keine wirksamen Therapien für Gang- und Gleichgewichtsstörungen, die ihre Ursache in der gestörten Funktion der supraspinalen Bewegungssteuerung haben“, sagt Maetzler. Wichtig bei der Beurteilung einer Gangstörung im Alter ist die Abgrenzung von physiologischen und somit „natürlichen“ Altersveränderungen zu krankhaften Befunden. Bei Parkinson-Patienten liegt zum Beispiel ein Augenmerk darauf, Strategien zu entwickeln, die das sekundenlange Einfrieren von Bewegungen (freezing of gait) verhindern. Beim älteren Menschen sollen Defizite in Gang und Gleichgewicht durch die Entwicklung von Modellen für symptomspezifische Schulungen verbessert werden.
Das „Moving beyond-Netzwerk“ besteht aus einer seltenen europaweiten Kombination von Experten aus Grundlagenforschung und translationaler Forschung. Zusammen mit Experten aus der Industrie deckt das Netzwerk ein weites Spektrum der notwendigen Kompetenzen ab. „Moving beyond“ nutzt dabei modernste Technologien. Website: www.moving-beyond.eu
Das Netzwerk hat aber neben der Forschung auch ein starkes Augenmerk auf der Ausbildung junger Wissenschaftler. Denn zusätzlich zur hochqualitativen Doktorandenausbildung vor Ort, sollen die Karrierechancen der teilnehmenden jungen Wissenschaftler durch gemeinsame akademisch-industrielle Austausch- und Trainingsprogramme erhöht werden. „Moving beyond“ vereint somit beides: innovative Forschungsprojekte und exzellente Ausbildung von Nachwuchsforschern.
Stellenausschreibung: www.hih-tuebingen.de/funktionelle-neurogeriatrie-maetzler/stellenangebote/