TU Berlin: Vertriebene Wissenschaften

An der Technischen Hochschule Berlin wurden in den Jahren 1933 bis 1938 mindestens 107 Angehörige ihres wissenschaftlichen Personals aus „rassischen“ oder politischen Gründen entlassen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes der TU Berlin hat die Wissenschaftlerin Dr. Carina Baganz am Zentrum für Antisemitismusforschung sich mit diesem Kapitel aus der Hochschulgeschichte intensiv beschäftigt. Sie hat Lebens- und Überlebenswege von Wissenschaftlern und Studierenden recherchiert und aufgezeichnet, die während des Nationalsozialismus von der TH Berlin vertrieben wurden, denen ein akademischer Grad verweigert oder entzogen wurde. Die Ergebnisse und die daraus entstandene Publikation präsentierte die TU Berlin am 10. Juli 2013 in einer öffentlichen Veranstaltung.

Im Februar 2009 startete das Projekt „Vertriebene Wissenschaften an der Technischen Hochschule Berlin 1933 bis 1945“ im Auftrag des damaligen Präsidenten der TU Berlin, Prof. Dr. Dr. h.c. Kurt Kutzler. Auslöser war Dimitri Stein, der im November 2008 mit 88 Jahren an seine Alma Mater zurückkehrte, um zu beenden, was ihm 1943 als „Mischling“ verwehrt wurde: der Abschluss seines Promotionsverfahren. Die Historikerin Dr. Carina Baganz ist daraufhin tief in die Geschichte der Vorgängerinstitution der TU Berlin eingetaucht. Erschwert wurde die Arbeit dadurch, dass ein Großteil des Hochschularchivs in den letzten Kriegsjahren fast vollständig durch Bombenangriffe zerstört wurde. Die Ergebnisse ihrer Forschungen sind in dem Buch „Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung: Die Technische Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus“ nun dokumentiert.

69 der 107 Personen, die aus „rassischen“ oder politischen Gründen entlassen wurden, emigrierten und versuchten im Ausland wissenschaftlich Fuß zu fassen, was nur selten gelang. Nach bisherigem Stand kamen drei der vertriebenen Wissenschaftler in Konzentrations- beziehungsweise Vernichtungslagern ums Leben, andere nahmen sich aus Verzweiflung das Leben. Mindestens 17 Wissenschaftlern entzog die TH Berlin den Doktortitel, der in den meisten Fällen nach der Emigration des Wissenschaftlers und der meist damit einhergehenden Ausbürgerung automatisch entzogen und im „Deutschen Reichsanzeiger“ vermeldet wurde. Doch auch andere Gründe, beispielsweise ein Gerichtsverfahren wegen Homosexualität, führten zum Titelentzug.

Nicht nur die Hochschullehrer, sondern auch Studierende wurden nach und nach aus dem Hochschulbetrieb gedrängt. Diese Entwicklung begann am 25. April 1933 mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ und endete für Juden mit deutscher Staatsangehörigkeit am 12. November 1938. An diesem Tag teilte auch Rektor Ernst Storm den zu diesem Zeitpunkt noch immatrikulierten 20 „Volljuden“ per Einschreiben mit, dass sie die Hochschule nicht mehr zu betreten haben. Die aus politischen und religiösen Gründen verdrängten Studierenden sind entweder emigriert, haben aktiv gegen das nationalsozialistische Deutschland gekämpft oder sind in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und ermordet worden.

Seit 1941 beschäftigte die TH Berlin auch Zwangsarbeiter, anfangs nur vereinzelt für Transportarbeiten, später in immer größerem Ausmaß. So existierte von August 1944 bis zum Frühjahr 1945 auf dem Hochschulgelände im Dachgeschoss des Gebäudes 6 in der Franklinstraße 29 ein „Ostarbeiterlager“ mit insgesamt mindestens 140 Männern, Frauen und Kindern. Aufgabe der „Ostarbeiter“ war es vor allem, die Schäden zu beheben, die die Hochschule durch Luftangriffe erlitt. Mindestens eine „Ostarbeiterin“ kam ums Leben.

„Die Technische Hochschule Berlin war eine Institution mit langer Tradition, die auch ihren Anteil am nationalsozialistischen System hatte: Jüdische und politisch missliebige Wissenschaftler und Studierende wurden diskriminiert, aus dem Hochschulbetrieb ausgegrenzt und vertrieben, Promotionen verhindert, akademische Grade entzogen und Zwangsarbeiter beschäftigt. Ein Ziel des Forschungsprojektes und der Publikation war es, das Unrecht, das an der Technischen Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus begangen wurde, sichtbar zu machen. Diese Sichtbarmachung ist aber nur der erste Schritt, die intensive Auseinandersetzung und Diskussion über dieses Unrecht müssen nun in der Universität fortgesetzt werden. Um das zu realisieren, wird es mit finanzieller Unterstützung des TU-Präsidiums am Zentrum für Antisemitismusforschung eine spezielle Lehrveranstaltung geben. Alle interessierten Studierenden sollen sich mit der Hochschulgeschichte auseinandersetzen“, sagt Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach, Präsident der TU Berlin.

„Mein Dank im Namen der TU Berlin gilt den Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft, die durch ihre Unterstützung dem Projekt ein besonderes Gewicht verleihen. Ich danke Dr. Barbara John, Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum, Prof. Dr. Wolfgang Benz, Dr. Manfred Gentz, Prof. Dr. Dr. Kurt Kutzler, Dr. Edzard Reuter, Dr. Martin Salm, Staatssekretär André Schmitz und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Günther Spur für ihre Bereitschaft, die Publikation zu unterstützen und für die wertvollen Hinweise, die sie uns gegeben haben. Nicht zuletzt gilt der Dank auch der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. für ihre ideelle, aber insbesondere auch finanzielle Unterstützung bei der Herausgabe dieses Buches“, so der TU-Präsident weiter.

Die Autorin:
Carina Baganz promovierte 2005 am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin zu frühen Konzentrationslagern in Sachsen. Danach war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Geschichte der Konzentrationslager“ am Institut für Vorurteils- und Konfliktforschung in Berlin, seit 2009 Bearbeiterin des Projektes zur TH-Geschichte.

Carina Baganz: Diskriminierung, Ausgrenzung, Vertreibung: Die Technische Hochschule Berlin während des Nationalsozialismus. Metropol Verlag Berlin 2013. ISBN: 978-3-86331-130-8. 416 Seiten. 24,00 EUR.

Rezensionsexemplare können angefragt werden unter: veitl@metropol-verlag.de

Interviewwünsche bitte an E-Mail: pressestelle@tu-berlin.de

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Stefanie Terp, Pressesprecherin der TU Berlin, Tel.: 030/314-23922, E-Mail: pressestelle@tu-berlin.de

Die Medieninformation der TU Berlin im Überblick:
www.pressestelle.tu-berlin.de/medieninformationen/

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