TU Berlin: „Generation 35plus“: Zwischen hoffnungsfroh und fatalistisch

Selbsterfüllung, Sinnstiftung und Gestaltungsfreiheit, so lauten die Schlagworte, die angeblich den Wertekanon der so genannten „generation y“, der nach 1980 Geborenen, ausmachen. Job, Gehalt, Aufstieg – diese Generation stellt demnach alles in Frage – nicht umsonst wird das deutsche y im Englischen so wie das englische Wort „why“ (warum) ausgesprochen. Ein so fundamentaler Wertewandel passiert jedoch nicht von heute auf morgen. Vorboten müssten sich jetzt schon bei der „Generation 35plus“ feststellen lassen – der Vorhut der eigentlichen „generation y“. Dazu zählen Berufstätige, die bereits einige Jahre im Arbeitsleben stecken, bestehende Strukturen kennen und die kommende Führungsgeneration darstellen. „Genau dieser Frage sind wir nachgegangen“, erzählt Prof. Dr. Christiane Funken, Leiterin des Fachgebiets Medien- und Geschlechtersoziologie an der TU Berlin. In einem Feldvergleich „Wirtschaft – Wissenschaft“ haben die wissenschaftli-che Mitarbeiter Sinje Hörlin und Jan-Christoph Rogge jeweils zwischen 20 und 30 Personen aus den Arbeitsfeldern in Tiefeninterviews zu ihren Erfahrungen, ihren Motiven und ihrer Zukunftsplanung befragt. „Den Wertewandel als Universalerklärung für die sehr unterschiedlichen Karriere- und Lebensentwürfe der jüngeren Alterskohorten heranzuziehen, ist aus unserer Sicht eine unzutreffende Analyse“, so das Resümee von Prof. Funken.

Allen Befragten gemeinsam ist, dass sie sich in Führungspositionen oder Aufstiegspositionen befinden. Trotz dieser vergleichbaren Ausgangssituation kommt die Studie zu dem klaren Ergebnis: „Keineswegs ist unter den Angehörigen der „Generation 35plus“ von gleichen Motiven auszugehen. Vielmehr zeigen sich vielfältige Reaktionen auf den strukturellen Wandel, die aber – wenn überhaupt – nur in Teilaspekten von den Medien aufgegriffen und dann fälschlicherweise als umfassender Einstellungs- und Wertewandel etikettiert werden“, so Prof. Funken. Ein größeres Bild zu erstellen und die strukturellen Bedingungen der Arbeitswelt mit den Einstellungen der Beschäftigten in Bezug zu setzen, ist das Ziel der jetzt abgeschlossenen Untersuchung, deren Ergebnisse die Arbeitsgruppe am 16. Oktober 2013 auf einer großen Abschlusskonferenz in Berlin präsentierte.

Wirtschaft: „Kulturvermittler“, „Dynamiker“ und „Entschleuniger“

In den Arbeitswelten Wissenschaft und Wirtschaft lassen sich fundamentale Veränderungen beobachten: Beide Felder sind fest im Griff von enormer Beschleunigung, hoher Leistungsverdichtung und einer starken Projektorientierung. Während allerdings in der Wissenschaft ein zentraler Aspekt – der drastisch verschärfte Wettbewerb – die Wahrnehmung dominiert, zeigt der Strukturwandel in der Wirtschaft seine Wirkung auf ganz unterschiedliche Weise. „Unter den Führungskräften in der Wirtschaft bilden sich drei Gruppen heraus“, so TU-Wissenschaftlerin Sinje Hörlin, „die wir unter die Schlagwörter „Kulturkritik“, „Dynamik“ und „Entschleunigung“ zusammengefasst haben.“ Die Gruppe der „Kulturkritischen“ ist stark aufstiegsorientiert, zieht aber oft den Wechsel in ein kleineres oder mittelständisches Unternehmen in Erwägung. „Ursache ist meist der erlebte Widerspruch zwischen neuen unternehmerischen Leitbildern und den Bedingungen des Konzern-umfelds, die es häufig unmöglich machen, diesen Leitbildern gerecht zu werden“, so Sinje Hörlin. Die ebenfalls karriereambitionierten „Dynamiker“ haben das unternehmerische Credo der fortwährenden Veränderungsbereitschaft zum Bestandteil ihrer eigenen Identität gemacht und halten sich bewusst alle Optionen offen. Dagegen ziehen die „Entschleuniger“ die Kon-sequenz aus massiver Leistungsverdichtung und der sich auflösenden Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben: Sie setzen ihrer Karriere ein bewusstes Ende. Vor allem die weiblichen Führungskräfte dieser Gruppe thematisieren die Kluft zwischen einer Arbeitswelt, die von der Flexibilität und der Autonomie ihrer Mitarbeitenden profitiert, ihren Mitarbeitenden aber oft genau diese Selbstbestimmung verweigert. Besonders deutlich zeigt sich dies bei den Führungspositionen in Teilzeit, ein Modell, das nach wie vor auf erhebliche Widerstände stößt.

Wissenschaft: „Fatalisten“, „Hoffnungsvolle“ und „Spiel-verweigerer“

Ganz anders in der Wissenschaft: Hier ist der alles dominierende Faktor die statistisch extrem verschlechterte Karrierechance, die jeden betrifft, der in diesem System arbeitet. Das deutsche Wissenschaftssystem kennt als einziges Karriereziel nach wie vor nur die Professur. „So sind in den vergangenen Jahren in der Wissenschaft rund 40.000 neue Stellen entstanden – aber nur rund 400 neue Professuren“, erläutert Jan-Christoph Rogge. „Diese „Monodirektionalität“ sowie die Vermassung des wissenschaftlichen Nachwuchs gegenüber dem minimalen Angebot an Führungspositionen, führt zu einer unzumutbaren Belastung aller Angestellten und wirkt innovationsverhindernd“, ist Prof. Funken überzeugt. Einziges strukturierendes Merkmal in der Menge der befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist demnach auch die jeweilige Reaktion des Individuums auf diesen Notstand.

Auch hier hat die Arbeitsgruppe drei potentielle Grundmuster erkannt und mit den Begriffen „Fatalisten“, „Hoffnungsvolle“ und „Spielverweigerer“ charakterisiert. Die „Hoffnungsvollen“ haben einen verhältnismäßig entspannten Umgang mit der beruflichen Unsicherheit gefunden und sind aus sich selbst heraus aufstiegsorientiert. Die „Fatalisten“ sehen sich den Strukturen des Wissenschaftssystems nahezu hoffnungslos ausgeliefert und zeigen eine erzwungene Aufstiegsorientierung. Die „Spielverweigerer“ dagegen verweigern eine dezidierte Aufstiegsorientierung. „Ihre Idealvorstellung wäre ein der Forschung gewidmetes Leben auf einer unbefristeten wissenschaftlichen Stelle – in der Realität sitzen sie dagegen aber eher auf befristeten Stellen“, erläutert Jan-Christoph Rogge. Alle Befragten in der Gruppe der „Hoffnungsvollen“ erfahren eine intensive Karriere-Förderung. Einerseits durch Mentoren oder Mentorinnen, andererseits durch einen starken privaten Partner, der im besten Falle viele emotionale und finanzielle Unsicherheiten, die der Wissenschaftsbetrieb mitbringt, abfedert. Interessante Nebenerkenntnis: Frauen sind in dieser Gruppe unterrepräsentiert. Insgesamt zeigt die Studie klar, dass trotz zahlreicher Programme wie das Professorinnen-Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung oder die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Aufstieg im Wissenschaftssystem für Frauen nach wie vor weit schwieriger ist als für Männer.

„Die Attraktivität der Wissenschaft als Beruf hat unter dieser „Monodirektionalität“ und dem stark verschärften Konkurrenzdruck erheblich gelitten“, ist TU-Professorin Christiane Funken überzeugt. „Der Verbleib in der Wissenschaft ist bei den von uns befragten „Überzeugungstätern“, die sich bewusst für die Forschung entschieden haben, keine Frage mehr von Inhalten, sondern von materiellen Zwängen und der privaten Situation. Ob dieser Konkurrenzdruck zu einer Qualitätssteigerung in der Wissenschaft führt, darf bezweifelt werden“, so Prof. Funken. Letztlich steht damit nicht nur die Attraktivität der deutschen Wissenschaft auf dem Spiel, sondern auch ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.

Katharina Jung

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Prof. Dr. Christiane Funken, TU Berlin, Institut für Soziologie, Fachgebiet Kommunikations- und Medienso-ziologie, Geschlechterforschung, Tel.:030/314-28425, E-Mail:
christiane.funken@tu-berlin.de

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