Wie eine aktuelle Untersuchung zeigen konnte,
gewährleisten nicht alle derzeit am Markt verfügbaren medizinischen
Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS) den geforderten kontinuierlichen
Druckabfall von distal nach proximal gleich gut. Dies berichtete Dr.
Colin M. Krüger, Oberarzt der Klinik für Chirurgie, Visceral- und
Gefäßchirurgie am Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin, im Rahmen eines
Treffens der Expertengruppe „Thromboseprophylaxe“ im Mai 2012.
Bei immobilen und bettlägerigen Patienten ist – vor allem durch
die fehlende Muskelaktivität – ein wichtiger Mechanismus
ausgeschaltet, der den venösen Rückstrom des Bluts zum Herzen
fördert. Medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS) schaffen
hier einen Ausgleich: Sie üben Druck auf die oberflächlichen und
tiefen Venen der Beine aus und verkleinern so den Gefäßquerschnitt.
Dadurch fließt das Blut mit erhöhter Geschwindigkeit zum Herzen
zurück, was der Entstehung von gefährlichen Blutgerinnseln
entgegenwirkt. Zusätzlich wird der venöse Rückfluss durch ein
abgestuftes (graduiertes) Druckprofil, das durch die Dehnung des
Gestricks entsteht, positiv beeinflusst. Der Andruck der Strümpfe im
Bereich der Fessel sollte nach bisherigen Empfehlungen rund 18 mmHg
betragen und auf etwa 8 mmHg am Oberschenkel abfallen.
Dieses graduierte Druckprofil hat sich für MTPS als am
wirkungsvollsten herausgestellt. Außerdem besteht unter diesen
Druckverhältnissen in der Regel keine Gefahr für eine arterielle
Unterversorgung der Extremitäten oder eines verminderten venösen
Rückstroms. Wie Dr. Colin M. Krüger berichtete, kann der Druckverlauf
eines MTPS mithilfe eines HOSY (HOhenstein
SYstem)-Kompressionsprüfgeräts ermittelt werden: „Dafür wird der zu
untersuchende Strumpf der Länge nach in das Messgerät eingespannt und
dann in Querrichtung über bis zu 20 einzelne, direkt nebeneinander
liegende Zugprüfeinrichtungen bis zum angegebenen Umfang gedehnt.
Über die dabei gemessene, für die Dehnung erforderliche Kraft kann
die Kompression berechnet werden, die der Strumpf auf das Bein des
Trägers ausübt“, erläuterte Krüger das Testprinzip. Dass nicht alle
MTPS die geforderten biomechanischen Eigenschaften aufweisen, hat die
aktuelle vergleichende Untersuchung verschiedener Strumpffabrikate
deutlich gemacht, die von Professor Dr. Marc Kraft vom Fachgebiet
Medizintechnik der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde.
Mit der biomechanischen Testung der MTPS wurde eine erste
Forderung der im letzten Jahr neu gegründeten Expertengruppe
„Thromboseprophylaxe“ erfüllt. Die Arbeitsgruppe, zu der neben Ärzten
und Wissenschaftlern auch Juristen und Gesundheitsökonomen gehören,
hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Risiko/Nutzen-Profil der
verschiedenen therapeutischen Maßnahmen zur Thromboseprophylaxe zu
bewerten und eindeutige Empfehlungen auszusprechen. Bedarf für eine
Neubewertung besteht zurzeit vor allem für den Einsatz der MTPS. So
ist unter Experten umstritten, ob MTPS in einer Zeit, in der die
medikamentöse Thromboembolieprophylaxe mit niedermolekularen
Heparinen praktisch überall zum Behandlungsstandard geworden ist,
noch benötigt werden. Während Befürworter den physikalischen Effekt
der Strümpfe unabhängig von der medikamentösen Therapie bestätigen,
sehen Kritiker keine hinreichende Evidenz für die Wirksamkeit der
Maßnahme.
Die Mitglieder der Expertengruppe hatten vermutet, dass sich MTPS
im Hinblick auf die Gewährleistung des geforderten graduierten
Druckprofils deutlich voneinander unterscheiden, und dass sich die
mit einem bestimmten Strumpftyp gewonnenen Studienergebnisse daher
nicht ohne weiteres auf alle anderen Fabrikate übertragen lassen.
„Die Ergebnisse der Testung zeigen nun, dass wir mit dieser Annahme
richtig gelegen haben“, sagte Professor Dr. Peter Kujath, Leiter der
Thoraxchirurgie am Universitätsklinikum Lübeck. Es sei deshalb
denkbar, dass die unterschiedlichen biomechanischen Eigenschaften der
Strümpfe einen Einfluss auf den Prophylaxeeffekt und somit
möglicherweise auch auf Studienergebnisse haben, so der Chirurg.
Um valide Aussagen zum Effekt von MTPS zusätzlich zu einer
medikamentösen Thromboseprophylaxe machen zu können, seien neue
klinische Studien mit biomechanisch exakt charakterisierten Strümpfen
zu fordern. „Ohne eine bessere Datenlage ist die seriöse Neubewertung
des Nutzens bzw. Zusatznutzens von MTPS nicht möglich“, bekräftigte
auch Krüger. Nach Ansicht des Experten ist es durchaus denkbar, dass
es Patienten gibt, für die eine Thromboseprophylaxe mit MTPS allein
ausreichend ist.
Im Rahmen ihres nächsten Treffens wird sich die Expertengruppe
„Thromboseprophylaxe“ mit den medikamentösen Optionen zur Prävention
und Therapie thromboembolischer Komplikationen befassen.
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