Starke Transformation der Arbeitswelt: Digitalisierung fordert Aus- und Weiterbildung heraus

Anforderungen an die berufliche Handlungskompetenz steigen – Millionen Beschäftigte müssen sich beruflich neu orientieren – Präventive Anpassungsqualifizierungen entwickeln – Informationssystem zu beruflichen Fähigkeiten aufbauen – Agenturen für Arbeit zu Anlaufstellen für Weiterbildungsberatung machen – Digitalisierung der Berufsschulen überfällig

Das neue Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), das der Bundeskanzlerin angesichts der Pandemie in Berlin virtuell übergeben wurde, behandelt in einem Schwerpunkt, welche Herausforderungen für die berufliche Aus- und Weiterbildung in Deutschland sich aus der fortschreitenden Digitalisierung in der Wirtschaft und an den Arbeitsplätzen ergeben.

Prof. Holger Bonin, Forschungsdirektor am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn, fasst die Beschäftigungsfolgen des Übergangs zur digitalen Arbeitswelt zusammen: „Die Arbeit wird uns auf absehbare Zeit nicht ausgehen. Im Transformationsprozess fallen aber viele etablierte Arbeitsplätze weg, während in anderen Teilen der Wirtschaft neue entstehen. Da die neuen Jobs ganz andere Fähigkeiten verlangen als die bisherigen, entsteht ein großer Bedarf an Weiterbildung. Gleichzeitig geht der Trend hin zu weniger Routinearbeit. Damit steigen die Anforderungen an die berufliche Handlungskompetenz.“

Zunehmend gebraucht würden deshalb nicht nur für die Gestaltung von transformativen Technologien notwendige technologische und digitale Fähigkeiten, betont Prof. Till Requate von der Universität Kiel, „sondern verstärkt auch sogenannte klassische Kernfähigkeiten: Problemlösungsfähigkeit, Kreativität, Eigeninitiative, Anpassungsfähigkeit und Durchhaltevermögen“.

„Nach Einschätzung der EFI ist die Entwicklung dieser Kernfähigkeiten nicht nur entscheidend, um die individuellen Beschäftigungs- und Karrierechancen in der digitalisierten Arbeitswelt zu sichern“, so Requate. „Nur wenn diese Kernfähigkeiten in der Erwerbsbevölkerung ausreichend verfügbar sind, können sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Potenziale der neuen Technologien voll entfalten und die Digitalisierung zügig in alle Teile der Wirtschaft vordringen. Dies dient ja gerade auch der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.“

Deswegen ist es der EFI so wichtig, dass das System der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Deutschland mit den Veränderungen von Wirtschaft und Arbeitswelt durch die Digitalisierung Schritt hält. „Hierfür müssen Inhalte und Strukturen der beruflichen Aus- und Weiterbildung weiterentwickelt und so gestaltet werden, dass die Kernfähigkeiten für die digitalisierte Arbeitswelt bedarfsgerecht vermittelt werden“, so Arbeitsmarkexperte Bonin. Dabei komme den Unternehmen und den im Erwerbsleben stehenden Menschen eine tragende Rolle zu. Jedoch brauche es unbedingt auch von öffentlichen Stellen ausgehende Impulse, um die Anpassungsbereitschaft und die Rahmenbedingungen dafür zu stärken.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt die EFI eine Reihe von Maßnahmen:

Ausbildungsgestaltung an die Digitalisierung anpassen

Bei der Anpassung der Ausbildungsgestaltung sollten vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) durch Beratung und Hilfen Unterstützung erhalten. Dafür müssten, so die EFI, Ausbildungsverbünde mit stärker digitalisierten Betrieben, aber auch die Vernetzung mit digitalen Bildungsorten stärker gefördert werden.

Berufsausbildungspersonal und Berufsschulen fit für die Digitalisierung machen

Aus- und Fortbildung des Berufsausbildungspersonals sollte noch stärker auf die neuen inhaltlichen und methodischen Anforderungen durch die Digitalisierung ausgerichtet werden. „Flankierend dazu ist es dringend erforderlich, die Berufsschulen flächendeckend mit einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur, modernen Medien und Zugängen zu hochwertiger Lernsoftware auszustatten“, erklärt Prof. Requate. „Die hierfür im Rahmen des “DigitalPakt Schule“ bereitgestellten Mittel sind dafür aus unserer Sicht nicht ausreichend.“

Berufliche Anpassungsfähigkeit durch flexible Zusatzqualifikationen stärken

Berufliche Ausbildung muss sich flexibel an die durch die digitale Transformation verändernden Anforderungen anpassen. Die EFI empfiehlt daher, das Angebot an flexiblen Wahlmodulen und Zusatzqualifikationen im Rahmen der beruflichen Ausbildung auszubauen und zur berufsbezogenen Weiterbildung hin zu öffnen.

Berufliche Mobilität durch präventive Anpassungsweiterbildung steigern

Bei der Förderung der beruflichen Weiterbildung schlägt die EFI vor, Brückenlösungen zu entwickeln und zu erproben, die den vom technologischen Wandel betroffenen Beschäftigten frühzeitig den Wechsel zu einem neuen Unternehmen erleichtern. „Die vorhandenen Förderinstrumente sind nämlich stark auf eine Weiterbeschäftigung beim aktuellen Arbeitgeber ausgerichtet, auch wenn der vielleicht nicht die besten Zukunftsperspektiven bietet“, erklärt Prof. Bonin. „Sie setzen zudem oft erst ein, wenn es für eine berufliche Neuorientierung eigentlich schon zu spät ist.“

Monitoring von beruflichen Fähigkeiten ausbauen

Die EFI hält es für sinnvoll, die von den Arbeitgebern geforderten und bei den Beschäftigten vorhandenen Fähigkeiten regelmäßig und in großer Breite zu erfassen. „Ein hochwertiges Monitoring-System kann nämlich dazu beitragen kann, die Aus- und Weiterbildung passgenauer auf veränderte Anforderungen in der digitalisierten Arbeitswelt auszurichten“, so Professor Uwe Cantner von der Universität Jena und Vorsitzender der EFI. Daher begrüße man Initiativen, Daten der Bundesagentur für Arbeit, von Unternehmen und aus sozialen Netzwerken für diesen Zweck zu erschließen und auszuwerten.

Strukturen zur Orientierung über berufsbezogene Weiterbildung verbessern

Die EFI weist darauf hin, dass die Agenturen für Arbeit als lokale Anlaufstellen künftig auch die Orientierung über die berufsbezogene Weiterbildung von Beschäftigten übernehmen könnten. Arbeitsmarktexperte Bonin betont jedoch: „Um Interessenkonflikten vorzubeugen, muss man hierbei die Beratung über die individuelle berufsbezogene Weiterbildung organisatorisch strikt von diesbezüglichen Fördermaßnahmen trennen.“

Er schließt für das Team der EFI mit einem Appell an Politik und Wirtschaft: „Wir müssen es schaffen, unser Aus- und Weiterbildungssystem schnell und agil auf die Anforderungen der Digitalisierung auszurichten. Die Fachkräftebasis ist ein zentraler Faktor, damit die deutsche Volkswirtschaft schneller und stärker aus der digitalen Transformation hervorgeht. Die Gewinner sind dann auch die Erwerbstätigen. Denn Qualifizierung bedeutet auch in Zukunft bessere Arbeit und höhere Einkommen.“

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit 2008 wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen desdeutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.

Pressekontakt:

Dr. Petra Meurer
Stv. Leiterin der Geschäftsstelle der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI)
T +49 (0) 30 322982-561
kontakt@e-fi.de
www.e-fi.de

Original-Content von: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, übermittelt durch news aktuell

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