Materialforschung mit Antiteilchen

Bestimmte Defekte in der Materialstruktur sind dafür verantwortlich, dass neuartige
nanokristalline Massivmetalle gleichzeitig sehr hart und trotzdem gut verformbar sind. Da
diese Defekte auf der atomaren Ebene der Metallstruktur vorkommen, sind sie
experimentell schwer untersuchbar. Jetzt sind österreichische ForscherInnen im
Verständnis dieser atomaren Defekte einen wesentlichen Schritt weitergekommen.
Gelungen ist dieser Schritt in einem vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekt
durch Kombination zweier spezieller Methoden. Die Ergebnisse wurden nun in der
renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht.

Sie sind außerordentlich hart und lassen sich dennoch leicht verformen. Mit diesen
besonderen Merkmalen werfen die sogenannten nanokristallinen Massivmetalle für die
Physik viele Fragen auf. Nun ist es ForscherInnen an der TU Graz gelungen, einige der
Fragen experimentell zu beantworten.

Die WissenschafterInnen stellten sich der Herausforderung, die Veränderungen der
Metallstruktur in Echtzeit mitzuverfolgen. Dadurch konnten sie nachweisen, dass atomare
Defekte eine zentrale Ursache der interessanten physikalischen Eigenschaften sind.
Nanokristalline Metalle setzen sich aus unzähligen Kristalliten bzw. Körnern zusammen, die
meist kleiner sind als hundert Nanometer – je kleiner die Körner, desto fester das Metall.
Eigentlich ist die Struktur von nanokristallinen Metallen sehr regelmäßig: Die Atome in den
Kristallen liegen schichtweise dicht gepackt in Reih und Glied. Doch bei der Herstellung der
Metalle schleichen sich atomare Defekte ein, die diese Ordnung brechen. So liegen
beispielsweise bestimmte Schichten nicht direkt übereinander bzw. einige Atome fehlen
oder Reihen sind gegeneinander versetzt. Österreichische MaterialphysikerInnen haben
nun erstmals den direkten experimentellen Nachweis für diese Effekte erbracht, die in
engstem Zusammenhang mit den mechanischen Eigenschaften stehen. Dieses Ergebnis
haben sie jetzt in der Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht und dabei
beschrieben, wie durch Kombination zweier spezieller Methoden die atomaren Defekte
genau unter die Lupe genommen wurden.

Metall unter Spionage-Angriff
Da atomare Defekte im Nanobereich nicht ohne Weiteres sichtbar sind, arbeiteten die
ForscherInnen mit sogenannten Positronen, wie Dr. Wolfgang Sprengel von der TU Graz
erklärt: „Ein Positron ist ein Elementarteilchen, das dem Elektron vollständig gleicht – bis
auf die elektrische Ladung. Das Positron ist positiv geladen. Treffen nun ein Positron und
ein Elektron aufeinander, löschen sie sich gegenseitig aus und zerstrahlen. An jenen
Stellen, wo atomare Defekte vorliegen, gibt es weniger Elektronen und damit auch weniger
Zerstrahlungsereignisse. Die Positronen dienen also quasi als Spione, die detaillierte
Auskunft über die atomaren Defekte geben. Diesen Effekt haben wir ausgenutzt, um
schnelle Prozesse dieser atomaren Defekte im Metall aufzuklären.“ Hierzu griffen die
WissenschafterInnen auf die Unterstützung des Forschungsreaktors FRM II der TU
München zurück, wo sie den Positronenstrahl mit der weltweit höchsten Intensität nutzten.

Zwei Methoden. Ein Ergebnis
Zusätzlich zur Positron-Elektron-Zerstrahlung maßen die WissenschafterInnen noch die
makroskopische Längenänderung beim Verschwinden der Defekte – mithilfe der
sogenannten Dilatometrie. Eine Kombination mit der Positron-Elektron-Zerstrahlung ist
bislang einmalig und lieferte den Nachweis, dass einige der geheimnisvoll anmutenden
physikalischen Eigenschaften der nanokristallinen Massivmetalle auf diese Strukturfehler
zurückzuführen sind. Ursächlich für diese Defekte ist die Herstellungsgeschichte der
Metalle. Für die Produktion von nanokristallinen Massivmetallen sind aufwendige Verfahren
nötig – wie zum Beispiel Hochdruck-Torsion (Erich-Schmidt-Institut Leoben). Dabei
entstehen die atomaren Defekte.

Das FWF-Projekt unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Roland Würschum erfolgt in enger
Zusammenarbeit mit der Universität Wien und dem Erich-Schmidt-Institut in Leoben und
hat auch eine enge Anbindung an das nationale Forschungsnetzwerk (NFN) zu
nanokristallinen Massivmetallen. Das dadurch gewonnene umfassende Verständnis der
Grundlagen ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung dieser neuartigen
Materialien.

Bild und Text ab Montag, 29. November, ab 09.00 Uhr MEZ verfügbar unter:
http://www.fwf.ac.at/de/public_relations/press/pv201011-de.html

Originalpublikation:
In situ probing of fast defect annealing in Cu and Ni with a high-intensity positron beam. B.
Oberdorfer, E-M. Steyskal, W. Sprengel, W. Puff, P. Pikart, C. Hugenschmidt, M.
Zehetbauer, R. Pippan, R. Wüschum. Published September 28, 2010. Physical Review
Letters 105, 146101. DOI: 10.1103/PhysRevLett.105.146101.

Wien, 29. November 2010

Leave a Reply

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.