Kompressionstherapie beim venösen Beingeschwür – Praxisnahe Fortbildung für Hausärzte und ihr Team auf der 42. Practica in Bad Orb (FOTO)

Die Practica ist der größte europäische Seminarkongress für den
Bereich der hausärztlichen Versorgung und wendet sich an
niedergelassene Ärzte und ihr Praxisteam. Vom 25. bis zum 28. Oktober
2017 nutzten über 1000 Teilnehmer in Bad Orb die vielfältigen
Fortbildungsangebote der 42. Practica. Entsprechend dem diesjährigen
Kongressmotto ““Fortbildung zum Mitmachen““ gestalteten die Hamburger
Pflegefachexpertin Kerstin Protz und der Essener Dermatologe Joachim
Dissemond einen Vortrag mit einem anschließenden darauf aufbauenden
Praxisteil. Die Fachexperten des Starnberger Medical Data Institute
(MDI) sprachen vor interessiertem Publikum zum Thema ““Ulcus cruris
und Kompressionstherapie““. Im Anschluss hatten wir Gelegenheit, mit
den Beiden über aktuelle Aspekte der Kompressionsversorgung in
Deutschland zu sprechen.  

MDI: Herr Professor Dissemond, Sie und Frau Protz haben heute
über Kompressionstherapie referiert und im Anschluss mit den
Teilnehmern praktische Übungen durchgeführt. Was genau war der
Anlass?

Dissemond: Leider ist das Wissen um den Wert und die vielfältigen
Möglichkeiten von Kompressionstherapie im niedergelassenen Bereich in
den letzten zwei Jahrzehnten schrittweise verloren gegangen.
Vielerorts sind nur noch spezialisierte Fachärzte,
insbesondere Phlebologen, in der Lage Kompressionstherapie
differenziert zu verordnen und somit wirksam anzuwenden. Dieses
Wissen muss wieder an die Hausärzte zurückgeführt werden, da
die derzeit ca. 2.000 Phlebologen allein die hohe Anzahl
kompressionsbedürftiger Patienten nicht bewältigen können. Hausärzte
und Phlebologen müssen hier zukünftig enger zusammenarbeiten.

MDI: Wie steht es derzeit um die Kompressionsversorgung in
Deutschland?  

Dissemond: Nach Aussage des Heil- und Hilfsmittelreports der
BARMER GEK wird eine leitlinienkonforme Kompressionsbehandlung bei
der Wundtherapie viel zu selten durchgeführt. Der Kassenreport
bemängelt insbesondere eine gravierende Unterversorgung bei Patienten
mit Unterschenkelgeschwüren. Nur knapp 40 Prozent dieser Patienten
bekommen demnach eine dringend notwendige Kompressionstherapie.  

MDI: Frau Protz, wie stellen sich diese Zahlen in der Praxis dar?

Protz: Eine aktuelle Erhebung zur Versorgung von Patienten mit
Ulcus cruris venosum bestätigte die Zahlen des Heil- und
Hilfsmittelreports. Von 177 Patienten, die aufgrund ihres venösen
Beingeschwürs in spezialisierten Versorgungszentren vorstellig
wurden, hatte fast jeder Dritte keine Kompressionsversorgung. Von den
vorhandenen Kompressionsversorgungen waren die wenigsten sach- und
fachgerecht ausgeführt. Obwohl jede Kompressionsbandagierung
unterpolstert werden sollte, um u. a. Hautirritationen und
Schnürfurchen zu vermeiden, war dies nur bei 30 % der Bandagierungen
der Fall.

MDI: Das bedeutet, die Kompressionsmaterialien werden nicht
ausreichend und zudem oft unsachgemäß eingesetzt?

Protz: Ja. In der Kompressionstherapie sind die klassischen
Kurzzugbinden am weitesten verbreitet, obwohl sie viele Nachteile mit
sich bringen. Zum einen handelt es sich relativ dicke, auftragende
Verbände, die dem Patienten in der Kleidungsauswahl einschränken und
es ihm oft unmöglich machen, die gewohnten Schuhe zu tragen.
Kompressionsverbände aus Kurzzugbinden verlieren zudem schnell an
Druck. Zieht der Patient kurz nach Anlage nur zwei oder dreimal die
Zehen an, fällt der Druckwert bereits signifikant ab. Daher
verrutschen solche Kompressionsverbände, insbesondere in der
Entstauungsphase, schnell und bereiten dem Betroffenen Umstände,
ohne einen therapeutischen Nutzen zu erzielen. Eine Alternative im
Hinblick auf Effizienz, Patientenakzeptanz und Anwenderfreundlichkeit
stellen Mehrkomponentenfertigsysteme oder die neuartigen adaptiven
Kompressionsbandagen dar.

Nach drei bis vier Wochen sollten die Beine entstaut sein und die
Versorgung auf Ulkus-Strumpfsysteme oder medizinische
Kompressionsstrümpfe umgestellt werden. In unserer Untersuchung
haben wir aber festgestellt, dass generell viel zu lange mit
Kurzzugbinden gewickelt wird. Zum Teil über Monate, was erhebliche
Auswirkungen auf die Lebensqualität des Patienten hat. Wenn die
Therapie nicht voran geht, verliert der Betroffene das Vertrauen
gegenüber Materialien, Methoden und Versorgern.  

MDI: Welchen Stellenwert hat die Kompressionstherapie bei
Venenleiden und Unterschenkelgeschwüren und wie wirkt sie?

Dissemond: Zunächst ist die Wirksamkeit von Kompressionstherapie
bei Patienten mit Ulcus cruris insbesondere in der Folge schwerer
Venenerkrankungen in zahlreichen Studien wissenschaftlich sehr gut
belegt. Ziel jeder Behandlung von Patienten mit Venenleiden ist es,
die akuten Auswirkungen wie Stauung oder Ekzeme zu beseitigen und ein
Fortschreiten der Krankheit bis hin zum Ulkus zu verhindern.
Unerlässlich ist dabei die sachgemäße Kompressionstherapie der Beine.
In der akuten Entstauungsphase sollten beispielsweise die
angesprochenenen Fertigbindensysteme, die zum Teil über
Druckindikatoren verfügen, oder eben die auf Druck kontrollierbaren
adaptiven Kompressionsbandagen (Handelsfabrikat „CircAid Juxtacures“)
zum Einsatz kommen. Im Vergleich mit klassischen Kurzzugbinden kann
damit deutlich effektiver und sicherer therapiert werden. Ist das
Bein nachhaltig entstaut aber das Ulcus noch nicht abgeheilt, erfolgt
die Nachsorge mit speziellen Ulkus-Strumpfsystemen.   

MDI: Sie sehen in der verbesserten Zusammenarbeit zwischen
Hausärzten und Phlebologen einen Lösungsansatz zur Verbesserung der
Versorgungssituation. Wie können wir uns das vorstellen?

Dissemond: Entscheidend ist hierbei die Vorselektion der
Patienten durch den Hausarzt. Er kann anfängliche Venenleiden selbst
behandeln, aber Patienten mit fortgeschrittenen Stadien sollten
zeitnah zum spezialisierten Facharzt überwiesen werden. Eine zentrale
Rolle können hierbei zukünftig Teile des Praxisteams spielen, die zur
Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis, kurz VERAH fortgebildet
wurden. Eine VERAH könnte z. B. nach klinischer Inspektion und ggf.
mit einem Taschendoppler das Screening von Venenpatienten
unterstützten. Sie kann dann bereits den Schweregrad der Erkrankung
beurteilen, als Bindeglied zwischen Haus- und Facharzt fungieren und
für den Hausarzt eine Zeitersparnis bedeuten.  

MDI: Sind solche Fortbildungsveranstaltungen für Hausärzte wie
die Practica die richtige Plattform für diese Thematik?

Protz: In diesem Rahmen können praxisnahe Fortbildungsinhalte
vermittelt werden, die eine Relevanz für den Hausarzt und sein Team
haben, die immer die erste Anlaufstelle für den Patienten sind. Der
Betroffene bringt seinem langjährigen ““Doktor““ und den Mitarbeitern
ein besonders Vertrauensverhältnis entgegen. Insbesondere den
medizinischen Fachangestellten kommt im Praxisalltag eine hohe
Bedeutung bei der Patientenansprache zu. Das ist der Grund, warum
Hausarzt und Praxisteam als Lotsen des Patienten fungieren können.
Daher ist es wichtig, die Hausarztpraxis in die Lage zu versetzen,
venöse Erkrankungen rasch zu erkennen und zutreffend zu benennen.
Dazu gehört allerdings mehr als das Know-How. Beispielsweise verfügen
viele Praxen über einen Taschendoppler zur grundsätzlichen Abklärung
eines arteriellen Durchblutungsstatus, was eine Voraussetzung für die
Entscheidung zur Kompressionstherapie ist. Leider gibt es für diese
Diagnostikmaßnahme, sofern der Arzt keine Zusatzqualifikation hat,
keine Abrechnungsmöglichkeit. Es wäre wünschenswert, wenn sich
angesichts dieser Situation auf Seiten der Kostenträger etwas bewegen
könnte. Die Bedeutung und die Möglichkeiten einer VERAH, die von den
Kostenträgern inzwischen erkannt wurde, kann auf Veranstaltungen wie
der Practica, medizinischen Fachangestellten und Ärzten nahe
gebracht werden.  

MDI: Wie bewerten Sie die Rolle des Patienten in der
Kompressionstherapie?

Protz: Die Kompressionstherapie – anfangs als Bandagierung,
später als Bestrumpfung – ist eine langwierige, oft lebenslange
Maßnahme, die erhebliche Auswirkungen auf den Alltag und die
Lebensführung des Betroffenen hat. Daher ist die Adhärenz, also das
Verständnis des Patienten für die Therapie und sein Einverständnis
mit den Maßnahmen, Voraussetzung für eine erfolgreiche
Kompressionstherapie. Bereits zu Beginn der Therapie, wenn häufige
Neuanlagen erfolgen, benötigt der Patient daher Aufklärung über die
Maßnahmen und einen Ausblick auf erwartete Erfolge, zum Beispiel das
Abschwellen der Beine und Minderung vorhandener Schmerzen durch die
Kompressionswirkung. Zudem werden die Beine wieder leichter und die
vorher trockene, schuppige, gespannte und juckende Haut wieder
geschmeidiger.

MDI: Wie entscheidend ist Information und Aufklärung, also
Edukation?

Protz: Ein aufgeklärter und adhärenter Patient ist eine
wesentliche Stütze des therapeutischen Vorgehens und wird zum Partner
in der Therapie. Natürlich ist jeder Patient anders und individuell
zu betrachten. Während manche die Aufmerksamkeit genießen und
ärztliche und pflegerische Versorgung als Teil ihres sozialen Umfelds
betrachten, sind viele heutzutage bis ins hohe Alter sehr aktiv und
legen Wert auf ein selbstbestimmtes Leben, ohne ständige lästige
Termine. Für diese Betroffenen kann eine rasche Umstellung der
Versorgung auf medizinische Kompressionsstrümpfe, mit denen sie sich
beispielsweise unter Einsatz von An- und Ausziehhilfen selbst
versorgen können, von großem Interesse sein. Diese Informationen zu
vermitteln, über Hilfsmittel aufzuklären und über Folgeverordnungen
zu informieren, ist ebenfalls Bestandteil der Arbeit von Hausärzten,
MFA und VERAH in der Kompressionstherapie.

MDI: Was bringt die Zukunft?

Dissemond: Die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und
spezialisiertem Facharzt bietet eine Chance, der Unterversorgung,
insbesondere für die etwa 1 Million Betroffenen mit Ulcus cruris,
entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang kann die VERAH als stützende
und entlastende Säule in der Diagnostik und Therapie eingesetzt
werden.

Für weitere aktuelle Informationen zur Kompressionstherapie
besuchen Sie die Homepage des Medical Data Institute:

https://www.md-institute.com/de/home.html

Pressekontakt:
Jan H. Timm
jtimm@md-institute.com

Original-Content von: Medical Data Institute GmbH, übermittelt durch news aktuell

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