Rund 300.000 Menschen sind in Deutschland derzeit
an den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und
Colitis ulcerosa erkrankt. Meist treten diese Krankheiten im
Lebensalter von 20 bis 30 Jahren auf. Aber auch Kleinkinder und
Jugendliche sind betroffen. Auf der Suche nach erblichen Ursachen
chronisch entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder
Colitis ulcerosa hat der deutsche Exzellenzcluster zur Erforschung
von „Entzündungen an Grenzflächen“ ein bisher einzigartiges
Mammut-Projekt gestartet. Die Schlüsselrolle spielen dabei 40
Zwillingspaare, bei denen ein Zwilling an einer chronisch
entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn leidet, während der andere
gesund ist.
Im Verlauf des Forschungsvorhabens soll das Erbgut der 40
Zwillingspaare komplett entschlüsselt werden, um der
Krankheitsursache auf die Schliche zu kommen und neue Therapien zu
finden. Um die Datenfülle dieser insgesamt 80 Menschen zu bewältigen,
laufen die vom Human Genome Project bekannten sogenannten Sequenzer
drei Jahre lang rund um die Uhr auf Hochtouren. Bisher wurden bereits
rund acht Millionen Euro in das Projekt, vor allem für Hard- und
Software, investiert.
Zwei Drittel der Zwillingspaare aus Deutschland, Österreich und
der Schweiz wurden nach Hamburg ins Asklepios Westklinikum Rissen
(www.asklepios.com/hamburgrissen) eingeladen, wo ihnen Spezialisten
per Darmspiegelung eine Schleimhautprobe zur weiteren Untersuchung
entnahmen. Den übrigen Zwillingspaaren wurden die Proben am Heimatort
entnommen. Die Proben werden in den Laboratorien der Kieler
Christian-Albrechts-Universität (www.uksh.de) analysiert und der
genetische Code erkrankter und gesunder Probanden Abschnitt für
Abschnitt verglichen. Dabei kommen die neuesten genetischen
Technologien zum Einsatz. Es ist geplant, sowohl das sogenannte
Mikrobiom (Summe aller Bakterien auf der Darmoberfläche) als auch das
Genom (die Erbsubstanz) der Zwillinge vollständig vergleichend zu
sequenzieren.
Entscheidender Durchbruch im Verständnis der auslösenden Ursachen
erwartet
„Von der Exploration der Zwillingskohorte mit modernen genetischen
Methoden erwarten wir uns einen entscheidenden Durchbruch im
Verständnis der auslösenden Ursachen, sowohl was die Genetik angeht
als auch was die Faktoren des Lebensstils betrifft“, sagt Prof. Dr.
Stefan Schreiber, der wissenschaftliche Projektleiter an der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: „Trotzdem können wir nicht
genügend Zwillinge für die Forschung zur Verfügung haben. Diese
Experimente erfordern einen unglaublichen technologischen Aufwand
aber leider auch sehr große Fallzahlen.“ „Wir wären froh, wenn es uns
gelänge, noch möglichst viele weitere Zwillingspaare zu rekrutieren“,
ergänzt Prof. Dr. Andreas Raedler, der klinische Projektleiter am
Asklepios Westklinikum Hamburg.
In der Epidemiologie waren Zwillinge schon immer interessant: Das
Experiment der Natur, in dem zweieiige Geschwisterkinder in derselben
Gebärmutter entstehen oder eineiige Zwillinge weitgehend das gleiche
Erbmaterial tragen, lässt eine Abschätzung des erblichen Anteils von
Krankheiten zu. Bei Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa legt die
sogenannte Konkordanz von fast 56 Prozent (Morbus Crohn, eineiige
Zwillinge) gegenüber vier Prozent (zweieiige Zwillinge) ein klares
Zeugnis der genetischen Ursachen ab. Im Umkehrschluss zeigen die
Daten aber auch, dass trotz genetisch (fast) gleicher Voraussetzungen
in 44 Prozent der Fälle nicht beide Zwillinge die gleiche Krankheit
entwickeln. Es muss also im Leben dieser Zwillinge klare Hinweise auf
auslösende Umweltfaktoren geben.
Lebenslauf-Analysen von 200 Zwillingspaaren lieferten erste
Hinweise
Die Zwillingsforschung der Christian-Albrechts-Universität Kiel
und des Asklepios Westklinikums Hamburg greift auf eine
eindrucksvolle Kohorte von fast 200 ein- und zweieiigen
Zwillingspaaren zurück, von den jeweils ein Zwilling an einer
chronisch entzündlichen Darmerkrankung leidet. In einem ersten
Schritt wiesen Analysen der Lebensläufe der Zwillinge darauf hin,
dass die individuelle Prägung, zum Beispiel durch
Infektionskrankheiten, eine entscheidende Rolle als
Krankheitsauslöser spielt. In weiteren Analysen fanden die Forscher
Beweise für die besondere Rolle der Darmflora und der Genexpression
in der Darmschleimhaut bei der Krankheitsentstehung.
Morbus Crohn
Der Morbus Crohn ist eine chronisch entzündliche Darmerkrankung,
die überall im Verdauungssystem auftreten kann, vom Mund bis zum
After. Häufig sind mehrere Abschnitte des Verdauungssystems
gleichzeitig befallen (segmentaler Befall). Die Ursache der nach dem
amerikanischen Gastroenterologen Burrill B. Crohn benannten
Erkrankung ist bislang ungeklärt. Erste Symptome sind meist
Müdigkeit, Schmerzen im rechten Unterbauch und Durchfälle. Auch
Fieber, Gewichtsverlust, Übelkeit und Erbrechen treten häufig auf.
Bei jedem zweiten Patienten bleibt Morbus Crohn nicht auf das
Verdauungssystem beschränkt sondern befällt Gelenke, die Haut oder
auch das Auge.
Colitis Ulcerosa
Im Unterschied zum Morbus Crohn breitet sich die Colitis Ulcerosa
kontinuierlich in der Schleimhaut von Mast- und Dickdarm aus.
Typische Symptome sind immer wiederkehrende Durchfälle, Darmblutungen
und Koliken. Häufig schreitet die Erkrankung schleichend voran, es
gibt aber auch akute und schwerste Verläufe. Auch die Colitis
ulcerosa kann unter anderem Gelenke, Haut und Augen in
Mitleidenschaft ziehen – und auch ihre Ursache ist bis heute nicht
restlos geklärt.
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