EADS-Forscher simulieren unter frostigen Bedingungen den Flug
durch die Wolken. In Ottobrunn bei München und in Capua bei Neapel
wird die Vereisung von Flugzeugen untersucht. Im Fokus steht
Wasser, das trotz Minusgraden flüssig ist. Spezielle
Beschichtungen können per Lotuseffekt die Vereisung hemmen.
Kurz vor dem Start sind die Passagiere enttäuscht: Statt auf die
Rollbahn rollt das Flugzeug in der kalten Jahreszeit erst zur
Enteisung. Mit Eis auf Tragflächen oder an den Rudern können
Flugzeuge aber nicht starten, das gebietet die Sicherheit. Doch auch
während des Fluges muss Vorsorge gegen Vereisung getroffen werden.
Damit beschäftigen sich Experten des Luftfahrtkonzerns EADS.
Um der Eisbildung wissenschaftlich auf den Grund zu gehen, wird
seit Januar 2012 in der deutschen Unternehmenszentrale in Ottobrunn
bei München das Testlabor iCORE, („Icing and Contamination Research“)
betrieben. Herzstück ist ein Niedertemperatur-Windkanal, der die
Simulation von Vereisungsbedingungen ermöglicht. Dabei geht es auch
um die Verhältnisse während des Flugs. Denn beim Durchqueren von
Wolken lassen tiefe Temperaturen und die Windgeschwindigkeit schnell
Eiskrusten auf den Tragflächen wachsen. Das erhöht den
Luftwiderstand, der Treibstoffverbrauch steigt beträchtlich.
„Im Kanal generieren wir Bedingungen, die denen beim Flug
entsprechen“, sagt Dominik Raps. Der promovierte Chemieingenieur
leitet das sechsköpfige Laborteam aus Maschinenbau- sowie Luft- und
Raumfahrttechnik-Ingenieuren und Doktoranden der Technischen
Universitäten in München und Darmstadt. Die Forscher wollen Methoden
entwickeln, die die Vereisung der Oberflächen reduzieren oder völlig
verhindern helfen. Ein Ziel ist es auch, den Energieverbrauch für die
Enteisung im Flug zu senken. Im frostigen Windkanal werden
wasserabweisende Beschichtungen und spezielle Oberflächenstrukturen
untersucht, die die Eisbildung durch „unterkühlte“ Tröpfchen
erschweren sollen. Dabei handelt es sich „metastabiles“ Wasser, das
trotz Minustemperaturen flüssig ist. Solchen unterkühlten Tröpfchen
begegnen Flugzeuge häufig in der Atmosphäre und beim Flug durch
Wolken.
In Ottobrunn interessieren sich die Forscher zunächst für die
Mechanismen, nach denen aus unterkühltem Wasser Eis entsteht. „Im
Labor können wir die Vorgänge auf der mikroskopischen Ebene
simulieren“, erklärt Raps. So lässt sich aufklären, wie Eis aufwächst
und an Oberflächen haftet. Eine Illusion, die auch in der Literatur
oft zu finden sei, beseitigt Raps sofort: „Wir sind uns ziemlich
sicher, dass man alleine durch wasserabweisende Beschichtungen die
Eisbildung nicht verhindern kann.“ Ein realistisches Ziel sei es
jedoch, „aktiven“ Enteisungssystemen die Arbeit zu erleichtern. Zu 90
Prozent – so Raps – dient bei Düsenflugzeugen dafür die Beheizung
durch Zapfluft aus den Triebwerken. Die heiße Luft wird durch
Hohlräume hinter den Flügelvorderkanten geblasen. Da die Aufbereitung
der Zapfluft aufwändig ist und das System relativ schwer ist, wird
nach Alternativen gesucht.
Im Zuge zunehmender Verwendung elektrischer Systeme an Bord – Raps
spricht von „more electric aircraft“ – bieten sich elektrothermische
und elektromechanische Enteisung an. In Ottobrunn wird nun
untersucht, wie man diese Systeme durch geeignete Beschichtungen
unterstützen könnte. „Das würde den Energiebedarf verringern“,
erklärt der Chemieingenieur.
Wo kein Wasser ist, kann kein Eis entstehen, lautet die
einleuchtende Devise. So versucht man, die Tragflächen mit extrem
wasserabweisenden Beschichtungen trocken zu halten. Dabei machen sich
die EADS-Ingenieure den „Lotuseffekt“ zu Nutze. Die Oberfläche wird
nach dem Vorbild der Lotusblume mit winzigen Noppen im Bereich von
Nanometern (millionstel Millimeter) versehen. Dann perlen
Flüssigkeiten rasch ab, Schmutzpartikel finden kaum Halt und werden
selbstreinigend abgewaschen.
Hierzu finden ausgeklügelte Versuche innerhalb des EU-Projekts
AEROMUCO (AEROdynamic surfaces by advanced MUltifunctional COatings)
statt. „Bei CIRA (Cenro Italiano Richerche Aerospaziali) in Capua bei
Neapel befindet sich einer der größten Vereisungswindkanäle
weltweit“, erklärt Versuchsleiter Raps. In dem von EADS koordinierten
Projekt werden Oberflächen entwickelt, die die Vereisung hemmen
sollen.
Die Ottobrunner Forscher arbeiten auch mit dem Fraunhofer-Institut
für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) zusammen. Diese
Stuttgarter Einrichtung koordinierte unter Leitung des Physikers
Michael Haupt ein Projekt namens Nanodyn, bei dem zwei
Fraunhofer-Institute und vier Firmen die Eigenschaften
nanostrukturierter Schichten untersuchten. „Nanodyn“ ist 2012
ausgelaufen, doch Projekt-Leiter Haupt will die Erforschung
wasserabweisender Oberflächen weiterführen, zumal die Ergebnisse auch
für die Rotoren von Windgeneratoren interessant sind. Speziell geht
es um die Frage, wie Schmierstoffe, Reinigungsmittel oder
Luftfeuchtigkeit die Oberflächen beeinflussen, etwa bezüglich
Eisbildung, Reibung und Verschleiß.
„Das Nanodyn-Projekt hat uns geholfen, unsere Methodik zu
entwickeln“, erklärt Raps. „Wir sind dabei, die nanostrukturierten
Schichten beständiger zu machen und den wasserabweisenden Effekt
länger zu erhalten“, sagt der EADS-Chemieingenieur. Während derzeit
die Lackierung bereits nach wenigen simulierten Flügen ihre
vereisungshemmende Fähigkeit verliert, möchten die EADS-Experten
diese Eigenschaft für eine Flugzeit von fünf Jahren sichern. Dabei
werden sowohl Lacke auf Polyurethan-Basis untersucht, die gegen
UV-Strahlung beständig sind, als auch solche auf Acrylbasis, die
durch UV gehärtet werden. Andere Experimente beschäftigen sich mit
Beschichtungen auf Titan.
Die Ergebnisse dürften auch für die Flugzeuge am Boden nützlich
sein. „In der Wintersaison 2011/2012 wurden allein in Frankfurt knapp
5000 Flugzeuge enteist“, sagt Dieter Hulick, Sprecher des
Flughafenbetreibers Fraport. Mit einem etwa 80 Grad heißen Gemisch
aus Glykol, Wasser und Korrosionsschutzmitteln wird für eisfreie
Tragflächen gesorgt. Für ein Großraumflugzeug vom Typ Airbus A 380
benötigt man durchschnittlich etwa 1500 Liter, für den kleineren Typ
Airbus A320 reicht ein Drittel dieser Menge. Die Glykolgemische sind
biologisch vollständig abbaubar. Da sie jedoch vergleichsweise viel
Schmutz enthalten, werden die an den Enteisungspositionen anfallenden
Abwässer getrennt aufgefangen und nach und nach dem kommunalen
Schmutzwasser beigegeben.
Wenn sich dank wasserabweisender und selbstreinigender Oberflächen
weniger Schnee auf den Flugzeugen festsetzen und weniger Eis
aufwachsen kann, geht die Enteisung schneller und benötigt weniger
Flüssigkeit. Die Ergebnisse aus den frostigen Windkanälen bringen
somit nicht nur Vorteile für Passagiere und Flughäfen, auch die
Umwelt wird geschont.
Pressekontakt:
Wolfgang Scheunemann, dokeo
Telefon: 0711-633 969 80
E-Mail: info@luftfahrt-industrie.de
www.luftfahrt-industrie.de