Industrie 4.0: Bloßer Hype oder Realität? Aachener ERP-Tage im Rückblick

In bewährter Tradition setzte sich die Fachveranstaltung des FIR aus einem Praxistag mit Workshops zu den Themen ERP- und Bestandsmanagement, einer Fachmesse mit namhaften ERP-Anbietern sowie einer Fachtagung zusammen. Passend zum Motto der Veranstaltung, „ERP-Potenziale demonstrieren“, fanden die ERP-Tage im neuen Gebäude des FIR statt, indem es den Wissenschaftlern gelungen ist, Bewegungsdaten einer Wertschöpfungskette auf eine deutschlandweit einzigartige Weise in drei Innovation-Labs und einer Demonstrationsfabrik zu illustrieren.

Während der Fachtagung referierten 19 Redner aus Forschung und Industrie über ihre Erfahrungen mit ERP-Projekten und gaben wertvolle Anregungen, wie sich Potenziale im Bereich Logistik in Bezug auf das Thema Industrie 4.0 heben lassen. Dabei spielte die Verwertung von Rückmeldedaten eine wichtige Rolle. Bis heute fehle in der Produktion die Prognosefähigkeit, mahnte der Institutsdirektor des FIR, Professor Günther Schuh, an. Unternehmen, die keine Antwort darauf geben könnten, was in drei Stunden in ihrer Produktion passiert, bräuchten Industrie 4.0. Dabei ginge es unter anderem um die Nutzung hochauflösender Produktionsdaten unter Verwendung von Sensorik, ein Vorgehen, das heute technisch möglich ist. „In der Industrie 4.0 lassen wir Produkte, die wir einmal mithilfe von RFID-Tags erfasst haben, nicht mehr los“, so Schuh. Durch dieses Vorgehen und die Vernetzung von Produkt und System müssen Unternehmen nicht mehr auf verschiedene Datenträger zurückgreifen, so können Inkonsistenzen in der Informationsverarbeitung vermieden werden. Anhand genauer Bewegungsdaten könnten Unternehmen zudem in ihrer Produktion vorausschauend agieren statt nur zu reagieren. In diesem Zusammenhang erklärte Schuh den Begriff Kollaborationsproduktivität, der die Integration von Menschen, Maschinen und Systemen beschreibt.

Dass Industrie 4.0 kein bloßer Hype mehr ist, sondern längst schon Realität, wurde auch in dem Vortrag von Dr. Ralf Ackermann (SAP Deutschland) deutlich. So wies er die Zuhörer darauf hin, dass die Anzahl an Mobiltelefonen im nächsten Jahr die Anzahl an Erdbewohnern voraussichtlich überschreiten wird. Ein einfaches Beispiel, das jedoch verdeutlicht, wie moderne Technologien wie Smartphones den Kommunikationsgrad in naher Zukunft weiter verdichten werden.

Wie wichtig die Forschung in diesem Zusammenhang ist, zeigte Dirk Ashauer (Leiter Fertigungssteuerung Ortlinghaus-Werke GmbH), der in seinem Vortrag aufzeigte, wie sein Unternehmen bereits heute mithilfe moderner Sensorik die Auftragsabwicklung optimiert. Die Ortlinghaus-Werke beteiligen sich aktiv an dem durch das BMBF geförderten Forschungsprojekt ProSense, in dem Unternehmen und Forschungseinrichtungen wie das FIR gemeinsam untersuchen, wie sich hochauflösende Produktionsdaten generieren und so interpretieren lassen, dass Unternehmen ihre Produktion vorausschauend planen und gestalten können.

Trotz des technischen Fortschritts, der auf den ERP-Tagen auch durch Tools wie Google-Glass verdeutlicht wurde, und der damit verbundenen Potenziale wurde auch deutlich, wie wichtig es ist, den Menschen dabei nicht aus den Augen zu verlieren. „Die menschliche Informationsverarbeitung bleibt 1.0, egal wie die Technik sich entwickelt“, so die Professorin Martina Ziefle des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen. Sie beleuchtete in ihrem Vortrag das Thema „Usability“ und stellte heraus, dass sich die Technik zwingend dem Nutzer anpassen müsse und nicht umgekehrt. Hier sieht sie bei den ERP-Anbietern noch Handlungsbedarf, da diese das Nutzerverhalten bisher zu wenig in ihren Applikationen berücksichtigen und die Erfahrungen der Anwender nicht nutzen würden.

Weitere wichtige Themen waren Datensicherheit und Risikomanagement, die gerade im Hinblick auf die Globalisierung und den zunehmenden Onlinehandel an Bedeutung gewinnen. Der Supply-Chain-Berater der Firma AEB, Rainer Hackstein, veranschaulichte am Beispiel verschiedener ISO-Normen, wie Unternehmen Risiken schmälern können. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass Lieferketten ganzheitlich betrachtet werden müssten. Unternehmen müssten ihre Lieferkette und die beteiligten Akteure im Detail kennen, um zu evaluieren, welche Auswirkungen beispielsweise der Ausfall eines Lieferanten auf die eigene Wertschöpfungskette hat. Als eines von vielen Beispielen nannte er Naturkatastrophen, die dazu führen könnten, dass Häfen geschlossen oder Flüge gestrichen würden, was letztendlich auch zu Lieferengpässen führen kann. Hier sieht Hackstein Handlungsbedarf. Unternehmen müssten mehr Transparenz in ihrer Lieferkette schaffen, um ihre Risiken zu minimieren.

Um Unternehmen dabei zu unterstützen, diese Transparenz zu erlangen, bietet das FIR mit dem Cluster Logistik eine einzigartige Möglichkeit zur Kooperation zwischen Forschung und Industrie. Durch Immatrikulation im Cluster Logistik können Unternehmen die Forschungsinfrastruktur als Lern- und Testumgebung nutzen, um ihre Geschäftsprozesse und ihre Lieferkette zu visualisieren und nachzuvollziehen. So erlangen sie wertvolle Erkenntnisse darüber, wie sie ihre Daten für ihre Produktion gewinnbringend ausschöpfen können.

Von dieser Möglichkeit machten auf den ERP-Tagen gleich zwei Unternehmen Gebrauch und immatrikulierten sich im Cluster Logistik. Sowohl das Software- und Dienstleistungsunternehmen BCT als auch der Softwarehersteller d.velop, werden künftig gemeinsam mit dem FIR an Forschungsfragen rund um das Optimieren von Unternehmensprozessen arbeiten und einen Beitrag dazu leisten, das modernste Forschungsergebnisse einen direkten Weg in die Praxis finden.

Die nächsten ERP-Tage finden vom 9. bis zum 11. Juni 2015 statt. Weitere Informationen zu der Veranstaltung sind online auf der Internetseite www.aachener-erp-tage.de abrufbar.

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