Der Naturraum rund um Gletscher verändert sich stetig. Dabei spielt die Zu- oder Abnahme der Eismassen eine wesentliche Rolle. Das Erfassen dieser Dynamik ist hoch komplex. Damit beschäftigen sich die WissenschafterInnen im Nationalpark Hohe Tauern, dem größten Nationalpark Mitteleuropas. Die beobachtete Abnahme des Gletschereises bietet ihnen dabei auch unerwartet Möglichkeiten: Freigelegte Fundstücke geben Einblick in historische Klimazustände, und „rückeroberte“ Landflächen bieten einmalige Chancen für den Naturschutz. Einer ausgesuchten Gruppe internationaler JournalistInnen geben die ExpertInnen nun Einblick in ihre Arbeiten.
Tatsächlich ist die Forschung – neben dem Naturraummanagement und der Bildung & BesucherInneninformation – seit Jahrzehnten einer der drei zentralen Aufgabenbereiche des Nationalparks Hohe Tauern. Im Rahmen einer Pressereise begleiten nun aktuell 14 FachjournalistInnen die WissenschafterInnen des Nationalparks Hohe Tauern – unter dem Motto „Hochgebirge im Wandel: Gletscher(forschung) hautnah im Nationalpark Hohe Tauern“. Dazu Dipl.-Ing. Wolfgang Urban, Direktor Nationalpark Hohe Tauern Salzburg und derzeitiger Direktoriumsvorsitzender des Nationalparkrates Hohe Tauern: „Gleichzeitig mit dem Abschmelzen der Gletscher werfen sich eine Vielzahl an Fragen auf, zu deren Beantwortung der Nationalpark Hohe Tauern einen international anerkannten Beitrag leistet. In teilweise europaweit einzigartigen Projekten beobachten wir nicht nur das Ausmaß des Rückgangs, sondern untersuchen auch, wie sich die Natur auf die sich verändernden Umstände einstellt.“
Nicht zuletzt durch die im Nationalpark durchgeführten Arbeiten zählen die österreichischen Gletscher zu den weltweit am besten beobachtetsten. So werden am Gletscher verschiedenste Parameter der Gletscherentwicklung gemessen: Jährlich wird die Entwicklung der Gletscherlänge verfolgt, sowie Änderungen der Massebilanz – d. h. des im Eis gespeicherten Wassers – und Flächenänderungen erhoben. Die durch die Messungen gewonnenen Daten werden aber nicht nur gesammelt, sondern bieten die Grundlage, um das Verhalten der Gletscher nachvollziehen und auch prognostizieren zu können. So werden mithilfe dieser Daten von den WissenschafterInnen Computermodelle entwickelt und getestet, die helfen sollen, die Gletscherschmelze besser zu verstehen und so einen essenziellen Beitrag zur Gletscherforschung weltweit leisten.
Bei der Erforschung der abschmelzenden Gletscher beschäftigen sich die ExpertInnen des Nationalparks aber nicht nur mit dem Eis selbst. Durch den Rückzug des Eises werden Holz- und Torffragmente freigegeben. Mittels dendrochronologischer Analysen, physikalischer Datierungsmethoden und Pollenanalysen können Rückschlüsse auf die Vegetation von vor der Vereisung gezogen werden – und so auch Aspekte der Klimaentwicklung bis vor rund 10.500 Jahren rekonstruiert werden. Die dadurch gewonnenen Informationen sind Teil der bewegten Geschichte der Gletscher. Mit zunehmender Schmelze werden die Fundstücke – und so die Informationen – immer zahlreicher werden und die Basis für weiterführende Untersuchungen bilden.
Einhergehend mit der Freigabe spannender Fundstücke wird aber auch Land freigelegt, das über Jahrtausende vom Eis versiegelt war. Das Ergebnis: Flächen, die großteils frei von anthropogener Veränderung sind – Wildnis in ihrer ursprünglichsten Dynamik und Form. Diesen chancenreichen Lebensraum in seiner Ursprünglichkeit zu bewahren, hat sich der Nationalpark durch die Ausweisung eines einzigartigen Wildnisgebiets zum Ziel gesetzt. Das international anerkannte Projekt soll auf einer Fläche von 10.000 ha eine primäre Wildnis und die ihr eigenen Prozesse in vollkommener Ursprünglichkeit ermöglichen und zeigt, dass auch am Rande des ewigen Eises Innovationen möglich sind. Dieses außergewöhnliche Gebiet dürfen die nun ausgewählten JournalistInnen als ErstbesucherInnen erkunden.