(Reutlingen/Tübingen) – Der erste Retinitis pigmentosa Patiententag am Department für Augenheilkunde der Universitäts-Augenklinik in Tübingen war ein riesiger Erfolg. Unter dem Motto „Meet the Experts“ boten weltweit anerkannte Spezialisten Blinden, Sehbinderten und ihren Angehörigen am vergangenen Samstag einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung. Patienten, die mittels Transkornealer Elektrostimulation therapiert werden oder ein elektronisches Netzhautimplantat erhalten haben, berichteten live von ihren Erfahrungen.
„Morgen beginnt die „Woche des Sehens““, begrüßte Prof. Dr. med. Eberhart Zrenner die Zuhörer des ersten Retinitis pigmentosa Patiententages am vergangenen Samstag in Tübingen. Diese außergewöhnliche Veranstaltung, zu der das Zentrum für seltene Augenerkrankungen (ZSA) des Departments für Augenheilkunde der Universitäts-Augenklinik eingeladen hatte, passte perfekt in die bundesweite Kampagne, die vom 8. bis zum 15. Oktober 2017 Veranstaltungen unter dem Leitthema „Blindheit verstehen und verhüten“ zusammenführt. Über 500 Teilnehmer, Menschen mit Sehbehinderung und ihre Angehörigen, waren der Einladung nach Tübingen gefolgt. Aufgrund des großen Interesses musste bereits im Vorfeld der Veranstaltung in einen deutlich größeren Hörsaal in der Nähe der neuen Tübinger Augenklinik gewechselt werden.
„Meet the Experts“ – das Motto des Patiententages durfte man wörtlich nehmen. Mit Prof. Zrenner sowie PD Dr. med. Katarina Stingl, Prof. Dr. med. Karl Ulrich Bartz-Schmidt, PD Dr. med. Andreas Schatz und Prof. Dr. med. Dr. phil Dominik Fischer waren weltweit anerkannte Spezialisten aus Medizin und Forschung des Universitätsklinikums Tübingen versammelt, um den Teilnehmern ganz persönlich Rede und Antwort zu stehen.
Dr. Stingl, die die Sprechstunde für erbliche Netzhauterkrankungen an der Universitäts-Augenklinik Tübingen als Nachfolgerin von Prof. Zrenner leitet, hatte wenige Tage vorher vom Patientenverband PRO RETINA den Retinitis-Pigmentosa-Forschungspreis 2017 erhalten. Die Fachärztin für Augenheilkunde referierte unter anderem über aktuelle Studien zu Netzhautimplantaten. Einigen der bereits erblindeten Patienten können Netzhautimplantate helfen, einen Teil der Sehfähigkeit wieder zu gewinnen. Prof. Dominik Fischer informierte die interessierten Besucher über die Möglichkeiten der Gentherapie, die allerdings zurzeit noch in der Studienphase sind. Prof. Bartz-Schmidt, der ärztliche Direktor der Tübinger Universitäts-Augenklinik, der zu den weltweit wenigen Spezialisten gehört, die diese Operation durchführen können, erläuterte anschließend, wie die Implantation eines subretinalen Sehchips durchgeführt wird. Er stellte auch andere Sehprothesen, die in Köln implantiert wurden, vor. Aufmerksam folgten die Zuhörer auch den Ausführungen von Prof. Zrenner. Er beschrieb den Stand der Forschung in Bezug auf Therapiemöglichkeiten bei RP. Je nach Patient und Krankheitsverlauf müsse entschieden werden, ob Prävention, Erhalt oder Wiederherstellung angezeigt seien. Entsprechend könnten medikamentöse oder Gentherapie sowie Elektrostimulation oder elektronische Implantate in Fragen kommen. Dr. Schatz, unter anderem Studienleiter in der Abteilung „Experimentelle Elektrophysiologie“ der Augenklinik, erklärte in seinem Vortrag „Die Transkorneale Elektrostimulation (TES) – ein erster Therapieansatz bei RP“ welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit bei RP-Patienten mit ausreichendem Restsehvermögen der Verlauf der Erkrankung mittels Elektrostimulation verlangsamt werden kann.
Was den Patiententag für die Betroffenen so außergewöhnlich machte, waren neben den Vorträgen der Experten vor allem die Berichte von Betroffenen wie Verena Heier. Die 26-jährige RP-Patientin war aus Köln angereist, um über ihre persönlichen Erfahrungen mit der Elektrostimulation zu erzählen: „Die TES Therapie gibt mir die Sicherheit, etwas gegen das Voranschreiten der Erkrankung zu tun.“ Das Gefühl zu haben, etwas gegen die Krankheit tun zu können, war auch für Peter Böhm wichtig, als er sich das Implantat mit 47 Jahren einsetzen ließ. Der IT-Berater schilderte seine Erfahrungen mit dem Chip: „Der Chip half mir, mich im Dunkeln besser zu orientieren, vor allem bei starken Lichtquellen und Kontrasten. Das geht allerdings nicht ohne Training.“ Miikka Terho wurde von Prof. Zrenner als echter Pionier vorgestellt, da ihm 2008, als einer der ersten Patienten weltweit, der Chip der Retina Implant eingesetzt worden war. Der Finne konnte seinen Namen, der in 8 cm großen weißen Lettern auf schwarzem Grund vor ihm geschrieben stand, nicht nur entziffern, sondern sogar korrigieren: „Ein bis dato Blinder weist auf einen Schreibfehler in seinem Namen hin“, beschrieb Prof. Zrenner den damals Aufsehen erregenden Forschungserfolg. Inzwischen trägt der vollständig erblindete RP-Patient nach einer erfolgreichen Reimplantation die Weiterentwicklung des Chips: den RETINA IMPLANT Alpha AMS, der das CE-Kennzeichen besitzt.
Dass, bei allen Fortschritten in der Medizin, die Diagnose Retinitis pigmentosa zunächst ein Schock ist, beschrieb Karin Papp als Vertreterin der Selbsthilfeorganisation PRO RETINA Deutschland e.V. sehr eindrücklich. Sie ist selbst Betroffene und schilderte, wie es sich anfühlt, wenn einem der Arzt erklärt, dass man an einer unheilbaren Krankheit leidet, die zur Zerstörung der Netzhaut und im Endstadium meist zur vollständigen Erblindung führen wird. Sich mit dem scheinbar unausweichlichen Verlauf der erblich bedingten degenerativen Netzhauterkrankung nicht abfinden zu wollen, war sicherlich die Triebfeder für viele der angereisten Teilnehmer. Und auch wenn die Experten ihnen keine Wunder versprechen konnten – und wollten -, so konnten sie ihnen doch eindrucksvoll vermitteln, dass es so viele aussichtsreiche Forschungsansätze zum Verständnis und zur Verhütung von Blindheit gibt, wie nie zuvor.