Ethikrat informierteüber den aktuellen Stand der Arzneimittelforschung mit Kindern

Am gestrigen Mittwochabend diskutierte der Deutsche
Ethikrat im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe „Forum Bioethik“ in
Berlin mit Experten aus den Bereichen Medizin und Ethik die Frage,
inwieweit die Arzneimittelforschung mit Kindern ethisch geboten oder
bedenklich ist.

Kinder haben ebenso wie Erwachsene ein Recht auf eine angemessene
und sichere Versorgung mit Arzneimitteln. Täglich werden jedoch
Kinder mit Arzneimitteln behandelt, die nicht für sie zugelassen
sind. Klinische Studien mit Kindern, die notwendig wären, um dieses
Defizit zu beseitigen, sind indessen ethisch problematisch.
Einerseits ist von der Instrumentalisierung wehrloser Personen die
Rede, die keine rechtswirksame Zustimmung geben können; andererseits
koppele ein vollständiges Forschungsverbot gerade die Kinder von den
Fortschritten in der Medizin ab. In dieser Frage zeichnet sich
allerdings ein Paradigmenwechsel ab: Der Ausschluss von Forschung mit
Kindern mit der Begründung, sie vor der Forschung zu schützen, ist
der Auffassung gewichen, Kinder durch Forschung zu schützen.

Im einführenden Vortrag berichtete Wolfgang Rascher, Vorsitzender
der Kommission für Arzneimittel für Kinder und Jugendliche, über die
Schädigung von Kindern durch die Verwendung von für sie ungeprüften
Arzneimitteln. Durch die EU-Initiative „Better Medicines for
Children“ aus dem Jahr 2002 und die jüngsten Novellen des
Arzneimittelrechts seien auch schon erste Ansätze einer besseren
Versorgung von Kindern mit geprüften Arzneimitteln zu beobachten. Die
Zahl klinischer Studien mit Kindern steige insgesamt jedoch nur sehr
langsam.

Angelika Eggert, Direktorin des Westdeutschen Tumorzentrums,
berichtete über die Arzneimittelversorgung von Kindern in der
pädiatrischen Onkologie. Sie konstatierte, dass der sogenannte
Off-lable-Use von Medikamenten zur Tagesordnung gehört. Doch gerade
in der Kinderonkologie seien in den letzten Jahren sehr gute
Behandlungserfolge erzielt worden, da die meisten Kinder im Rahmen
nichtkommerzieller multizentrischer Therapieoptimierungsstudien
behandelt werden. Eggert bemängelte jedoch, dass die Entwicklung
neuer Therapien zu langwierig sei. Sie plädierte für die Beseitigung
administrativer Hürden bei der Entwicklung von Arzneimitteln,
stärkere Anreize für die pharmazeutische Industrie sowie die
Einrichtung von europäischen Netzwerken für die präklinische und
frühe klinische Forschung.

Jochen Taupitz, Mitglied des Deutschen Ethikrates, erläuterte die
rechtliche Situation der Arzneimittelforschung mit Kindern in
Deutschland. Vor dem Hintergrund, dass die informierte Einwilligung
des Betroffenen als zentrale Voraussetzung der Forschung im Falle von
Kindern oft nicht oder nur schwer zu erreichen sei, habe das
Arzneimittelgesetz Schutzkriterien für Minderjährige formuliert. Dazu
zählten nicht nur die Nutzen-Risiko-Abwägung, die vorherige
pharmakologisch-toxikologische Prüfung des Arzneimittels sowie die
erforderliche behördliche Genehmigung und das positive Votum einer
Ethikkommission, sondern auch auf das individuelle
Selbstbestimmungsrecht bezogene Kriterien wie die Aufklärung und
Einwilligung des Betroffenen bzw. seiner gesetzlichen Vertreter. Zu
den bei Minderjährigen anzusetzenden Schutzkriterien gehörten
außerdem das Erfordernis des unmittelbaren individuellen Nutzens für
den Betroffenen und/oder für die Gruppe der Patienten, die an der
gleichen Krankheit leiden.

Georg Marckmann, Direktor des Instituts für Ethik, Geschichte und
Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München,
erörterte im Anschluss daran die ethischen Aspekte der Forschung mit
Minderjährigen. Mit Blick auf die Risiken, die mit dem Einsatz
ungetesteter Medikamente verbunden sind, und die Notwendigkeit der
Bereitstellung nützlicher Therapien seien Studien mit Kindern
unverzichtbare Voraussetzung für wirksame und sichere Behandlungen
und ein Verzicht auf Studien mit Kindern ethisch unvertretbar. Die
Forschung mit Kindern sei jedoch insofern ethisch problematisch, als
Kinder psychisch und physisch besonders verletzlich und nur
eingeschränkt oder nicht einwilligungsfähig sind. Letztlich handele
es sich hierbei um einen ethischen Grundkonflikt, der nicht auflösbar
sei, sondern nur reguliert werden könne durch die Abwägung des
Nutzen-Schaden-Verhältnisses, die informierte oder stellvertretende
Einwilligung und das Kriterium der in erster Linie eigennützigen
Forschung.

Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und
Geschichte der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität
Göttingen, ergänzte diese Überlegungen um empirische Daten aus
Studien, die die Sicht der betroffenen Kinder und Jugendlichen und
ihrer Eltern untersucht haben. Sie resümierte, dass Eltern, die über
die Möglichkeit eines individuellen Heilversuchs unter Einsatz eines
für diesen Zweck noch nicht erprobten Arzneimittels informiert seien,
aufgeschlossener sind für die Beteiligung ihres Kindes an
Medikamentenstudien. Außerdem seien Eltern auch unter
Stressbedingungen einwilligungsfähig und -willig. Kinder wiederum
zeigten ein differenziertes Urteilsvermögen hinsichtlich der
Belastung durch Forschung. Wiesemann forderte weitere Untersuchungen
zu Einstellungen von Kindern und Jugendlichen zur Forschung mit
Kindern.

An der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben den
Referenten des Abends Siegfried Throm, Geschäftsführer des Verbandes
der forschenden Pharma-Unternehmen, und Dietrich Niethammer,
Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung für kranke Kinder
Tübingen, teil.

Siegfried Throm zufolge stellt sich nicht die Frage, ob Studien
mit Kindern durchgeführt werden dürfen – denn dies sei durch die
Gesetzgebung definiert -, sondern nur noch die Frage nach dem Wie.

Für Dietrich Niethammer setzt das Gebot der Arzneimittelforschung
mit Kindern ein sorgfältiges, auf die Risikominimierung
ausgerichtetes Studiendesign ebenso voraus wie die hohe Verantwortung
der beteiligten Forscher, Pädiater und Ethikkommissionen.

Gegenstand der weiteren, auch für das Publikum geöffneten
Diskussion waren Fragen der Nutzen-Risiko-Abwägung, des Umgangs mit
unterschiedlichen Meinungsäußerungen von Kindern und ihren Eltern und
des Verhältnisses von eigennütziger und gruppennütziger Forschung.
Außerdem wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit die Betroffenen und
ihre gesetzlichen Vertreter angemessenen und verständlich aufgeklärt
werden.

Interessenten können die einzelnen Beiträge nachhören und in Kürze
auch nachlesen unter http://www.ethikrat.org .

Pressekontakt:
Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Deutscher Ethikrat
Jägerstraße 22/23
D-10117 Berlin

Tel: +49 (0)30/203 70-246
Fax: +49 (0)30/203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: http://www.ethikrat.org

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