Kurz vor der Eröffnung der Medizin-IT-Messe conhIT
am Dienstag in Berlin fordert die Biotechnologie-Industrie
Anpassungen des Entwurfs zum E-Health-Gesetz von
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Sie will die künftig auf der
elektronischen Gesundheitskarte (eGK) gespeicherten Patientendaten
für ihre Geschäfte nutzen. „Die erste Katze kommt nun aus dem Sack“,
sagte Dr. Silke Lüder, Sprecherin der Aktion „Stoppt die e-Card“, am
Freitag auf einem Treffen der bundesweiten Aktion in Hamburg. Die
zahlreichen Teilnehmer der Veranstaltung – beteiligte Verbände und
Organisationen, Patienten, Ärzte, Rechtsanwälte, Datenschützer und
IT-Experten – reagierten empört auf die Forderung der
milliardenschweren Biotech-Branche.
„Seit vielen Jahren warnen wir vor der Gefahr, dass Medizindaten
ein Geschäftsfeld werden“, so Lüder weiter. „Wir sehen jetzt, dass
das von Minister Gröhe angekündigte Gesetz genau diese
Begehrlichkeiten weckt. Während der Gesetzentwurf für Ärzte und
Patienten überwiegend finanzielle Strafen und den Zwang zum Anschluss
an eine zentrale Telematik-Infrastruktur bereithält, hat die
Medizinindustrie guten Grund, sich auf lukrative Geschäfte mit
Patientendaten zu freuen.“
Auch die angekündigten Vorteile des Notfalldatensatzes auf der eGK
wurden entzaubert. „Zum einen ist der Notfalldatensatz nur in
Deutschland nutzbar“, erläuterte der Berliner Gynäkologe Dr. Klaus
Günterberg. Eine deutlich bessere Alternative sei der Europäische
Notfallausweis auf Papier in neun Sprachen. Zum anderen sei der
e-Notfalldatensatz im Notfall kaum zu gebrauchen: „Welcher Notarzt
hat die Möglichkeit und Zeit, zunächst auf dem Kartenchip der eGK
nach eventuell vorhandenen Daten und dann etwa noch nach einer
Patientenverfügung im Haus eines lebensbedrohlich Erkrankten zu
suchen?“ Günterberg kritisierte zudem scharf die milliardenschwere
Geldverschwendung dieses Projekts: „Diese Gelder werden dringend für
gute Medizin gebraucht.“
Gabi Thiess, Patientensprecherin der Aktion „Stoppt die e-Card“,
berichtete vom kürzlich veröffentlichten Urteil des
Bundessozialgerichts (BSG). Das Gericht habe darin das Foto auf der
eGK für rechtens erklärt und stelle in seiner Begründung den Nutzen
der Allgemeinheit vor das Recht des Einzelnen. Mit keinem Wort aber
sei das BSG auf die unsichere Telematik-Infrastruktur eingegangen.
Thiess: „Eine zentral verwaltete Infrastruktur kann nicht sicher
sein. Weder vor dem BSG noch in den Vorinstanzen kam es aber zu einer
Beweisaufnahme.“
Die beim Treffen anwesenden IT-Sicherheitsexperten und
Informatiker betonten erneut, dass im eGK-Projekt dezentrale
Speicherung und sichere Verschlüsselung der Daten sowie die
Anonymisierung der Patienten ein Irrglaube seien. Zudem könnten die
Metadaten genutzt werden, um weitere Informationen zu generieren.
Letztlich kamen die Vertreter der an der Aktion beteiligten Verbände
zu dem Schluss: „Das E-Health-Gesetz von Minister Gröhe gehört auf
den Müllhaufen der Gesundheitspolitik.“
Über die Aktion „Stoppt die e-Card“
„Stoppt die e-Card“ ist ein breites Bündnis von 54
Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützern, Patienten- und
Ärzteverbänden. Unter anderem gehören dazu: Arbeitskreis
Vorratsdatenspeicherung, Digitalcourage, Chaos Computer Club, IPPNW,
Freie Ärzteschaft e. V., NAV-Virchowbund, Deutsche AIDS-Hilfe. Das
Bündnis lehnt die eGK ab und fordert, das milliardenschwere Projekt
einzustampfen. Sprecher der Aktion „Stoppt die e-Card“ sind Dr. Silke
Lüder, Gabi Thiess, Dr. Manfred Lotze und Kai-Uwe Steffens.
Pressekontakt:
Dr. Silke Lüder, Tel.: 0175 1542744;
Gabi Thiess,
E-Mail: gabi.thiess@gmx.de