Die Pandemie hat für viele Menschen das Homeoffice zum normalen Arbeitsplatz gemacht. Manche genießen die Vorteile, andere fühlen sich eher gestresster als früher. „Am wichtigsten ist es, konsequent die Impulse zu reduzieren und nicht ins permanente Multitasking zu verfallen“, sagt Sebastian Purps-Pardigol, der als Autor und Trainer die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung mit Methoden des Managementtrainings kombiniert.
Das Kind ignoriert das Schild „Mama arbeitet“ an der Bürotür, der Postbote klingelt, der Partner will wissen, ob es mit dem Theaterbesuch am Abend klappt. Und dann ist da noch das spannende Buch, das man am liebsten sofort weiterlesen würde. Wer im Homeoffice arbeitet, wird permanent mit allen möglichen Aufgaben und Versuchungen konfrontiert, die überhaupt nichts mit dem Job zu tun haben.
Wirklich multitaskingfähig?
Um das zu managen und dennoch erfolgreich zu sein, sollte man sich zunächst eines klarmachen, so Purps-Pardigol: „Dass wir multitaskingfähig sind, ist eine Mär.“ In seinem neuen Buch „Leben mit Hirn“ demonstriert er das an einem einfachen Beispiel: Reihen von Zahlen wie 1, 2, 3, 4, 5. 6, 7, 8 oder von Buchstaben wie A, B, C und so weiter lassen sich sehr schnell aufsagen, länger aber dauert es bei einer Reihe wie A1, B2, C3 etc.
Laut Purps-Pardigol liegt das daran, dass wir bei der Kombination von Zahlen und Buchstaben auf unterschiedliche neuronale Netzwerke zugreifen müssen. Bereits das ist eine Form des Multitaskings, die uns zeigt, dass das unser Gehirn verlangsamt. Der Präfrontale Cortex, ein Teil unseres Hirns, der für komplexe Denkprozesse verantwortlich ist, kann Aufgaben nicht parallel ausführen. „Wenn wir mehrere Dinge gleichzeitig machen, schalten wir eigentlich nur rasend schnell zwischen verschiedenen Bereichen unseres Gehirns hin und her. Das kostet viel Kraft.“
Nur eine Aufgabe gleichzeitig
Wie effektiv wir unseren Präfrontalen Cortex mit Multitasking überfordern, zeigt ein weiteres Beispiel. Als 2011 unter anderem im Mittleren Osten die BlackBerry-Server mehrere Tage ausfielen, sank die Zahl der Verkehrsunfälle in Abu Dhabi um 40 Prozent, weil sich die Autofahrer plötzlich allein auf den Straßenverkehr fokussierten. Und eines sei sicher, betont Purps-Pardigol: „Das menschliche Gehirn hat sich über hunderttausende von Jahren entwickelt. Es kann sich nicht in so kurzer Zeit an die neue, digitale Form der Kommunikation anpassen.“
Purps-Pardigol hat viele solche Beispiele parat, etwa auch die Studie von Professor Brian Bailey von der University of Illinois. Er stellte zwei Teilnehmer-Gruppen verschiedene Aufgaben wie das Zusammenfassen von Texten oder das Eingeben von Personendaten. Beide Gruppen wurden dabei immer wieder von ganz anderen Aufgaben unterbrochen. Während aber die einen stets erst ihr aktuelles Tun beenden durften, mussten die anderen mittendrin stoppen. Das Ergebnis: Letztere brauchten 27 Prozent mehr Zeit, machten doppelt so viele Fehler und fühlten sich deutlich genervter als die anderen.
Störungen konsequent ausschalten
Was also tun, wenn während der Arbeit das Kind stört oder der Postbote oder private Anrufe? Manches ist nicht änderbar. Anderes hingegen schon: „Weil bereits die Erwartung einer Störung die Leistung und das Wohlbefinden verringert, ist es eine gute Idee, seine Chats und E-Mail-Nachrichten etwa nur zu fixierten Zeitpunkten anzuschauen“, rät Purps-Pardigol. In der übrigen Arbeitszeit sollte es dann auch keine hörbaren Signale geben. „Einfach das Handy vom Internet trennen und am Computer alle Kommunikations-Tools schließen!“
Sehr sinnvoll sei auch die so genannte Pomodoro-Technik nach Francesco Cirillo. Dabei schreibt man sich die zu erledigenden Dinge auf und arbeitet dann eine nach der anderen ab, wobei jeweils eine Stoppuhr läuft. Geht natürlich auch mit einer Sanduhr. Mal eben zwischendurch was anderes zu machen, das funktioniere so nicht mehr, sagt Purps-Pardigol. „Der Sand läuft einfach weiter und ich werde dann nicht schaffen, was ich mir vorgenommen habe. Das diszipliniert ungemein.“
Ruhephasen boostern Kreativität
Eine zweite Sanduhr nutzt Purps-Pardigol, um die Länge seiner Pausen – natürlich erst nach Abschluss einer Aufgabe – zu kontrollieren. Und zwar nicht nur, um nicht zu lange Kaffee zu trinken oder Musik zu hören, sondern auch, um das überhaupt zu tun. „Wir brauchen zwischendurch die Ebbe im Gehirn, damit es neue Verknüpfungen bilden kann und wieder zu Kreativität fähig zu sein.“ Die Leistung steige laut einer Studie der Wissenschaftlerin Giada Di Stefano um bis zu 25 Prozent, wenn wir Pausen machen und reflektieren.
Letztlich gehe es im Homeoffice noch mehr als am Arbeitsplatz im Unternehmen darum, sich selbst zu Single-Tasking, der Reduzierung von Ablenkung und geplanten Ruhephasen zu zwingen. Und wenn der Stress dennoch zuschlägt, schafft laut Purps-Pardigol eine einfache Atemübung Abhilfe: Beim Einatmen bis vier zählen und anschließend so lange ausatmen, wie es dauert, um im gleichen Tempo bis sechs zu zählen. „Das aktiviert das parasympathische, entspannende Nervensystem und egal, was um einen herum geschieht, man beruhigt sich und wird kognitiv wieder leistungsfähiger!“