Das Recht der Berufskrankheiten soll
weiterentwickelt werden. Das hat die Mitgliederversammlung des
Verbandes der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, der Deutschen
Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) heute in Berlin beschlossen.
In ihrem Weißbuch schlagen die Vertreterinnen und Vertreter der
Arbeitgeber und Versicherten unter anderem vor, den
Unterlassungszwang abzuschaffen, der bei einigen der häufigsten
Berufskrankheiten Voraussetzung für eine Anerkennung ist. Zudem regen
sie verschiedene Änderungen an, die die Transparenz des Rechts und
Verwaltungshandelns für die Versicherten erhöhen.
„Arbeitgeber und Versicherte in der Selbstverwaltung haben sich
auf Vorschläge geeinigt, mit denen das Recht zeitgemäß
weiterentwickelt werden kann, ohne seine bewährten Grundfesten
anzutasten“, so DGUV-Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Breuer.
Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit bleibe, dass
die Arbeit Ursache der Erkrankung sei. „Wir wollen das bestehende
Recht anpassen, nicht ersetzen.“
Breuer wies zudem darauf hin, dass es sich bei den vorgeschlagenen
Änderungen um eine austarierte Lösung handele, die der Komplexität
dieses Rechtsgebiets Rechnung trage. „Zwischen Arbeitgebern und
Versicherten herrscht Konsens, dass diese Vorschläge ein
hervorragendes Fundament für die Weiterentwicklung des Rechts der
Berufskrankheiten bilden.“ Auf dieser Grundlage könne die Politik nun
aufbauen.
Fünf Punkte für die Weiterentwicklung des Rechts
Die Vorschläge des Weißbuches konzentrieren sich auf fünf
Themenbereiche:
1. Ursachenermittlung verbessern
Um entscheiden zu können, ob Versicherte an einer Berufskrankheit
leiden, müssen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen unter anderem
ermitteln, welchen schädigenden Einwirkungen die Versicherten bei der
Arbeit ausgesetzt waren.
Schwierig sind diese Ermittlungen vor allem, wenn die Ursachen für
eine Berufskrankheit lange Zeit zurückliegen. Unternehmen existieren
nicht mehr, Unterlagen fehlen, Erinnerungen sind nicht immer
verlässlich.
Bereits in der Vergangenheit hat die Unfallversicherung eine Reihe
von Maßnahmen ergriffen, um die Qualität der Ermittlung zu
verbessern. Dazu zählen zum Beispiel Schulungen für Ermittler und
Ermittlerinnen und der Aufbau von Katastern, die vergleichbare
Messdaten aus einzelnen Berufen zusammenfassen. Dies hat bereits dazu
geführt, dass die Unfallversicherungsträger leichter ermitteln
können, ob Versicherte in der Vergangenheit schädlichen Einwirkungen
bei der Arbeit ausgesetzt waren.
Um diesen Prozess weiter zu verbessern, schlägt die
Unfallversicherung folgende Schritte vor:
– In einem Projekt werden einheitliche Qualitätsstandards und
Werkzeuge für die Ermittlung im Berufskrankheitenverfahren
beschrieben. Diese Hinweise werden allen
Unfallversicherungsträgern zur Verfügung gestellt.
– Der Gesetzgeber schafft den gesetzlichen Rahmen dafür, dass
Daten für weitere Expositionskataster erhoben und genutzt werden
können.
– Ein weiterer Schritt betrifft die Versicherten direkt: Bevor
über ihren Fall entschieden wird, sollen sie vom
Unfallversicherungsträger die Angaben zu ihrer Tätigkeit
erhalten, die der Entscheidung zugrundgelegt werden sollen. So
können sie prüfen, ob ein vollständiges und zutreffendes Bild
ihrer Arbeitstätigkeiten vorliegt oder möglicherweise ein
wichtiger Aspekt vergessen wurde.
2. Unterlassungszwang abschaffen
Neun von derzeit 77 Berufskrankheiten können laut Gesetz nur
anerkannt werden, wenn die Betroffenen so schwer erkrankt sind, dass
sie die Tätigkeiten aufgeben müssen, die „für die Entstehung, die
Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können“. Auf diese neun Berufskrankheiten beziehen
sich rund 50 Prozent aller Verdachtsanzeigen. Gemeinsam ist diesen
Krankheiten, dass Symptome und Auslöser zeitlich eng verknüpft sind.
Das heißt: Entfällt die schädigende Einwirkung kommt es häufig zu
einer Verbesserung. Zwei Hauptgründe gab es für die Einführung des
Unterlassungszwangs: 1. Er verhindert, dass bei weniger
schwerwiegenden Erkrankungsbildern direkt ein aufwändiges
Verwaltungsverfahren ausgelöst wird. 2. Die Aufgabe des Berufs führt
dazu, dass Versicherte nicht weiter gefährdet sind, und schützt die
Versicherten damit vor einer Verschlimmerung der Krankheit. Welcher
Grund überwiegt, ist bei den neun betroffenen Krankheitsbildern sehr
unterschiedlich.
Die Konsequenzen des Unterlassungszwangs zeigt folgendes Beispiel:
Eine Pflegekraft leidet an einer schweren Wirbelsäulenerkrankung
aufgrund schweren Hebens und Tragens. Dank der angebotenen
Präventionsmaßnahmen kann sie ihre Tätigkeit weiter ausüben. Nach
geltender Rechtslage kann ihre Erkrankung nun allerdings nicht
anerkannt werden, denn dafür müsste sie ihre Tätigkeit aufgeben. Die
Berufsaufgabe wäre jedoch sowohl für die Versicherte als auch ihren
Arbeitgeber ein schlechtes Ergebnis. Daher sollte diese
Anerkennungshürde fallen.
Damit die Abschaffung des Unterlassungszwangs positive Wirkung
entfalten kann, müssen folgende Maßnahmen flankierend umgesetzt
werden:
– Versicherte sollen über mögliche Schutzmaßnahmen aufgeklärt und
gesetzlich zur Mitwirkung verpflichtet werden. Ähnliche
Regelungen gelten zum Beispiel heute schon für die Teilnahme an
Rehabilitationsmaßnahmen.
– Gleichzeitig wäre es die Aufgabe des Gesetzgebers, die
Tatbestände der einzelnen Berufskrankheiten zu präzisieren –
insbesondere den Schweregrad der Erkrankung.
3. Rückwirkung regeln
Wenn eine Krankheit in die BK-Liste aufgenommen wird, muss auch
geregelt werden, wie mit Erkrankungsfällen umgegangen werden soll,
die vor der Aufnahme der Krankheit in die Liste aufgetreten sind. In
der Vergangenheit hat die Bundesregierung sich hier häufig mit einer
Stichtagsregelung beholfen. Diese erleichterte zwar die
Verwaltungsarbeit, konnte aber dazu führen, dass gerade die
Erkrankten von einer Anerkennung ausgeschlossen wurden, deren
Erkrankungen die notwendigen wissenschaftlichen Erkenntnisse gebracht
hatten. Im Sinne einer Gleichbehandlung aller Erkrankungsfälle sollte
hier eine einheitliche gesetzliche Lösung gefunden werden. Unabhängig
vom Zeitpunkt ihres erstmaligen Auftretens sollten alle Erkrankungen
anerkannt werden, sobald ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse
vorliegen.
4. Ärztlicher Sachverständigenbeirat (ÄSVB)
Was eine Berufskrankheit ist, entscheidet die Bundesregierung. Sie
lässt sich dabei wissenschaftlich vom Ärztlichen
Sachverständigenbeirat im Bundesarbeitsministerium beraten. Der ÄSVB
ist gesetzlich nicht verankert; wer ihm angehört, war bislang nicht
öffentlich. Es wird immer wieder bemängelt, dass der Prozess seiner
Entscheidungsfindung nicht transparent ist. Die Unfallversicherung
schlägt deshalb vor, den ÄSVB im Gesetz zu verankern. So könnte seine
rechtswirksame Tätigkeit gegenüber einer reinen Beratung abgegrenzt
werden.
5. Forschung vorantreiben
Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, die Forschung
zum Thema Berufskrankheiten voranzutreiben. Hier möchte sie künftig
weitere Anreize setzen, um die Wissenschaft für neue Forschungsthemen
aus diesem Bereich zu gewinnen. Die Forschungsförderung soll
insgesamt transparenter werden.
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