Versorgungs-Report 2012: Schwerpunktthema „Gesundheit im Alter“ / Medizin und Pflege für eine alternde Gesellschaft

Die Lebenserwartung steigt. Und mit ihr die Zahl
altersbedingter Krankheiten. So wird sich bis 2050 die Zahl der
Demenzkranken in Deutschland auf bis zu drei Millionen erhöhen.
Dennoch wird der demografische Wandel die Finanzen der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) weit weniger belasten als vielfach
angenommen. Das geht aus dem jetzt veröffentlichten
Versorgungs-Report 2012 hervor. Danach steigen die
Gesundheitsausgaben aufgrund des zunehmenden Anteils Älterer an der
Bevölkerung bis 2050 um 19 Prozent (0,4 Prozent pro Jahr). Das Thema
„Gesundheit im Alter“ ist Schwerpunkt des neuen Versorgungs-Report,
den das Wissenschaftliche Institut der AOK herausgibt. Darin
analysieren 42 Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen die
ambulante und stationäre Versorgung, die Arzneimitteltherapie,
Pflege, Prävention und Palliativmedizin unter dem Blickwinkel der
alternden Gesellschaft. Tenor: Deutschland braucht keine andere
Medizin für ältere Menschen, aber eine deutlich bessere geriatrische
Qualifizierung der Gesundheitsberufe.

Als Ausgangspunkt ist den Analysen des Versorgungs-Reports eine
Darstellung der demografischen Entwicklung in Deutschland bis 2060
vorangestellt. Danach verändert sich der Altersquotient in den
nächsten fünfzig Jahren dramatisch. „Derzeit kommen im Bundesschnitt
34 über 65-Jährige auf 100 erwerbsfähige Männer und Frauen im Alter
zwischen 20 bis 65 Jahren“, erläutert WIdO-Geschäftsführer Jürgen
Klauber. „Bis 2060 wird sich das dramatisch verändern. Dann weist
Bremen mit einem Verhältnis von 63 zu 100 noch den günstigsten
Altersquotienten auf. In Ostdeutschland wird der Wert durchweg über
72 liegen – an der Altersspitze Brandenburg mit 78 Menschen über 65
je 100 Erwerbsfähige.“

Die zu erwartenden Folgen dieses Wandels spiegeln sich in den
Prognosen zur Entwicklung der Zahl der Demenzerkrankungen wider.
Klauber: „Bis zu 1,4 Millionen Deutsche leben heute mit einer
Demenzerkrankung. Von 100 Menschen über 80 Jahre ist jeder Fünfte
betroffen. 2050 werden wir es mit bis zu drei Millionen Demenzkranken
zu tun haben – 90 Prozent davon pflegebedürftig.“

Im Alter von 60 bis 64 Jahren ist derzeit ein Prozent der
Bevölkerung von Demenz betroffen. Die Krankheitshäufigkeit verdoppelt
sich laut Versorgungs-Report in Schritten von fünf bis sechs Jahren.
Im Alter von 75 und 79 Jahren liegt sie bei 7,5 Prozent, zwischen 85
und 89 Jahren bei 22,5 Prozent und ab dem 100. Lebensjahr bei 40
Prozent. Aktuell haben Frauen ab 80 Jahren noch eine Lebenserwartung
von knapp 8,8 Jahren. Davon verbringen sie im Schnitt noch fast
sieben Jahre ohne Demenz. Männer ab 80 leben durchschnittlich noch
sieben Jahre und verleben davon etwa sechs Jahre demenzfrei. Bei der
Prognose, wie sich die Zahl der Demenzerkrankungen bis 2050
entwickeln wird, spielt die Entwicklung der Lebenserwartung eine
wesentlich Rolle: Steigt die Lebenserwartung stark an, wird mit der
größeren Zahl alter Personen die Zahl der Demenzkranken auf bis zu
drei Millionen steigen, was bei im gleichen Zeitraum schrumpfender
Bevölkerungszahlen einem Anteil von 4,2 Prozent der Deutschen
entsprechen würde.

Klauber: „Aus wissenschaftlicher Sicht – und das ist sicherlich
auch gesellschaftlich ratsam – gibt es ein klares Ziel: Demenz muss
in der Wahrnehmung der Menschen eine normale Erkrankung werden. Trotz
aller Aufklärung ziehen sich noch immer viele Betroffene und
Angehörige aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Erste Symptome
einer Erkrankung werden oft verleugnet und selbst von den Hausärzten
nicht richtig eingeordnet, weil das Thema sehr negativ und
vorurteilsbehaftet diskutiert wird.“

Vier Millionen Ältere erhalten problematische Medikamente

Besorgnis erregende Erkenntnisse liefert der Versorgungs-Report zu
den gesundheitlichen Risiken für Ältere durch ungeeignete Medikamente
und das gleichzeitige Einnehmen vieler Arzneimittel. Rund vier
Millionen Patienten über 65 erhalten mindestens ein problematisches
Medikament, bei dem die Nachteile den Nutzen übersteigen. 5,5
Millionen sind Risiken durch gleichzeitige Einnahme verschiedener
Medikamente ausgesetzt. „Die Arzneimitteltherapie für Ältere muss
dringend verbessert werden“, fordert deshalb Jürgen Klauber. „Dazu
können evidenzbasierte Therapieempfehlungen, hausärztliche
Therapiezirkel und eine auf ältere Menschen zugeschnittene
Pharmakotherapieberatung für Ärzte beitragen.“

Prävention lohnt sich

Der Versorgungs-Report 2012 zeigt zudem gelungene Beispiele für
eine auf die Belange Älterer zugeschnittene Prävention. Dazu zählen
die von der AOK unterstützten Sturzprophylaxe-Projekte in
Pflegeheimen. Sie können 20 Prozent aller Hüftfrakturen bei
Heimbewohnern verhindern.

Keine „Kostenexplosion“

Nach Berechnungen des Gesundheitsökonomen Prof. Stefan Felder von
der Universität Basel steigen die GKV-Ausgaben aufgrund des
zunehmenden Anteils Älterer an der Bevölkerung bis 2050 um bis zu 20
Prozent. Das entspricht einem Ausgabenplus von 0,4 Prozent pro Jahr.
Zum Vergleich: Zwischen 2005 und 2009 sind die Ausgaben der GKV im
Jahresmittel um 3,7 Prozent gestiegen. Felders Berechnungen für den
Versorgungs-Report 2012 haben ergeben, dass die steigende
Lebenserwartung zwar durchaus höhere Ausgaben nach sich zieht, aber
bei weitem nicht im Ausmaß einer Kostenexplosion. Klauber: „Den
Berechnungen liegt die Beobachtung zugrunde, dass die
Behandlungskosten vor dem Tod eines Menschen besonders hoch sind –
unabhängig, ob er mit 70, 80 oder 90 Jahren stirbt.“

Umfassende Daten zu Gesundheitskosten im Alter

Der Versorgungs-Report stützt sich auf Daten von 24 Millionen
AOK-Versicherten. „Die umfangreichen Angaben über die häufigsten
Krankheiten, die Inanspruchnahme von Ärzten oder Sonderanalysen für
ausgewählte Erkrankungen besitzen besonderes Gewicht für die
Versorgungsforschung, weil das WIdO Diagnosen und die Inanspruchnahme
von Leistungen sektorübergreifend zusammenführt“, betont Jürgen
Klauber.

So stellt der Versorgungs-Report 2012 – bisher einmalig – die
Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im Alter auf der Grundlage
der gesamten Leistungsdaten für ambulante und stationäre Versorgung
sowie Medikamente dar und liefert Auskunft über die häufigsten
Krankheiten bei älteren Menschen.

Hinweis für die Redaktionen

Der Versorgungs-Report 2012 ist auch Thema in der neuen Ausgabe
des AOK-Medienservice:
http://www.aok-bv.de/presse/medienservice/thema/index_06920.html

Christian Günster, Joachim Klose, Norbert Schmacke (Hrsg.).
Versorgungs-Report 2012. Schwerpunktthema: Gesundheit im Alter. 440
Seiten, 84 Abb., 64 Tab.; 51,40 EUR; ISBN 978-3-7945-2850-9

Pressekontakt:
Wissenschaftliches Institut der AOK
Christian Günster
Tel.: 030/34646-2128
Joachim Klose
Tel.: 030/34646-2129

Fax.: 030/34646-2144
E-Mail: wido@wido.bv.aok.de
Infos unter: www.wido.de

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