Die gewählten Volksvertreter in Deutschland
wollen viel ändern, schätzen ihren eigenen Einfluss auf
gesellschaftlichen Wandel aber sehr gering ein. Mehrheitsmeinung in
den Parlamenten ist statt dessen: Der einzelne Bürger muss selbst für
Veränderung sorgen.
Das ist eines der zentralen Ergebnisse der aktuell größten
Deutschen Parlamentarierstudie, die jetzt von der Change Centre
Foundation in Kooperation mit der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf veröffentlicht wurde.
Im Durchschnitt plädieren 46 Prozent der befragten Abgeordneten
dafür, dass die Bürger Veränderungen selbst in die Hand nehmen
sollen. Allerdings unterscheiden sich die Parteien deutlich in ihrem
Meinungsbild. Abgeordnete von CDU/CSU, FDP und auch der Grünen sehen
die Bürger sehr viel stärker in der Pflicht als die Parlamentarier
von SPD und der Linken. Diese präferieren ganz deutlich ein
Change-Konzept, nach dem für Veränderungen und Innovationen vor allem
der Staat zuständig ist.
Mehr als jeder dritte Abgeordnete hat mitgemacht
An der Studie hat mehr als jeder dritte Abgeordnete aus dem
Bundestag und den Länderparlamenten teilgenommen – bei
Parlamentsdebatten ist oft ein geringerer Anteil im Sitzungssaal.
Zunächst wurden bereits im Sommer 2010 die Abgeordneten aller
Landtage und des Deutschen Bundestags befragt – zum Teil per Post
sowie über einen Online-Fragebogen. Die Parteizugehörigkeit der knapp
900 Teilnehmer (über 35 Prozent Teilnahmequote) entspricht fast exakt
der realen Verteilung in den deutschen Parlamenten, so dass die
Befragung politisch repräsentativ ist. Seit Januar stehen ebenfalls
die Antworten von über tausend Abgeordneten der größten deutschen
Städte zur Verfügung – damit liegt mit etwa 2.000 Befragten mit
Abstand der größte Datenpool zur Veränderungsbereitschaft der
politischen Elite Deutschlands vor.
Linke Abgeordnete mit stärkstem Veränderungsbedarf
Die Abgeordneten wurden nach der Wichtigkeit von Veränderungen in
zehn Politikfeldern befragt – von Bildung über Arbeitsmarkt bis zur
Gesundheitspolitik. Insgesamt zeigen SPD und Linke dabei den größten
Gestaltungswillen, während die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP einen
viel geringeren gesellschaftlichen Veränderungsbedarf verspüren. „Die
Grünen gruppieren sich genau in der Mitte zwischen diesen beiden
Blöcken“, sagt Prof. Dr. Joachim Klewes von der gemeinnützigen Change
Centre Foundation, der die Studie konzipiert hat.
Und wo genau sehen die Parlamentarier den größten
Veränderungsbedarf? Die Studie zeigt: Das Schlagwort der
Bildungsrepublik hat seine Berechtigung, aus Sicht der Volksvertreter
ist es bis dahin jedoch noch ein langer Weg. So fordern jeweils mehr
als acht von zehn Abgeordneten Fortschritte in Erziehung, Bildung und
Ausbildung sowie in Wissenschaft und Technik. Auch Veränderungen in
Umwelt- und Klimaschutz (81%) sowie bei Infrastruktur und
Energieversorgung (79%) stehen ganz oben auf der Liste der
Parlamentarier.
In ihrem Gestaltungswillen fühlen sich die Parlamentarier
allerdings in der Realität der politischen Arbeit offenbar
ausgebremst – denn ihren eigenen Einfluss auf Veränderungen halten
sie für gering. Je nach Politikfeld bezweifeln zwischen 65 und 88
Prozent der Volksvertreter, selbst einen großen Einfluss zu haben.
„Dies mag an den vielfältigen Zwängen von Fraktionen und
Parteiapparaten liegen oder auch an der Arbeitsteilung im Parlament.
Dennoch bleibt die gefühlte Machtlosigkeit aus
demokratietheoretischer Perspektive bedenklich“, sagt der bekannte
Politikwissenschaftler Prof. Dr. Ulrich von Alemann zu den
Ergebnissen.
Einerseits meint eine klare Mehrheit aller Abgeordneten, die
Bürger seien selbst dafür verantwortlich, gewünschte Veränderungen
herbei zu führen. Dazu passt, dass sie eine bessere Information der
Bürger fordern – vor allem bei Informationsprogrammen über
Einwanderung und demografische Entwicklung sowie Bildung und
Ausbildung sehen die Abgeordneten Nachholbedarf. Insgesamt meint nur
jeder Fünfte, in Sachen Bürgerinformation werde genug getan! „Die
Forderung nach besseren Informationskampagnen ist nur konsequent“,
bewertet Joachim Klewes von der Change Centre Stiftung dieses
Ergebnis. „Allerdings sollten sich die Parlamentarier dann auch aktiv
dafür einsetzen und die Verantwortung hierfür nicht nachgelagerten
Behörden oder Ministerien überlassen“, formuliert Prof. Klewes seine
Forderung an die Politik.
Ein exklusiver Namensbeitrag von Ulrich von Alemann und Joachim
Klewes zu Kernbefunden der Umfrage findet sich in der neuen Ausgabe
von „Politik und Kommunikation“, http://www.politik-kommunikation.de.
Ein ausführlicher Bericht zur Studie, in dem auch auf Ergebnisse der
Kommunalbefragung eingegangen wird, steht unter
http://www.change-centre.org zum Download bereit.
Die als gemeinnützig anerkannte Change Centre Foundation ist
politisch und weltanschaulich unabhängig. Ziel der Stiftung ist die
Förderung von Wissenschaft und Forschung im Bereich
gesellschaftlichen Wandels sowie der Innovation und Transformation
von Organisationen und Institutionen. Initiator der Stiftung ist
Prof. Dr. Joachim Klewes, Vorsitzender des Kuratoriums Prof. Dr.
Ulrich von Alemann.
change centre, Ossum 14 / Schloß Pesch, D-40668 Meerbusch
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Fragen an die Redaktion:
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