92 Prozent der Eltern unterschätzen den Zuckergehalt in einem
handelsüblichen 250-Gramm-Fruchtjoghurt. Durchschnittlich gehen sie
von nur vier statt der tatsächlichen elf Zuckerwürfel in einem
solchen Joghurtbecher aus. Diese Fehleinschätzung macht sich im
Gesundheitszustand der Kinder bemerkbar: Je stärker die Eltern den
Zuckergehalt unterschätzen, umso höher ist der Body-Maß-Index der
Kinder. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle wissenschaftliche
Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in
Zusammenarbeit mit der Universität Mannheim, die heute auf dem 1.
Deutschen Zuckerreduktionsgipfel in Berlin vorgestellt wurde. Dort
diskutieren auf Initiative des AOK-Bundesverbandes Vertreter aus
Politik, Industrie, Wissenschaft und Gesundheitsbranche über Wege,
den Anteil von Zucker, aber auch von Salz und Fett in Lebensmitteln
zu verringern.
Angesichts der starken Zunahme von Übergewicht in Deutschland – 18
Prozent der Elf- bis 17-Jährigen sind übergewichtig oder gar adipös –
fordert der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Martin
Litsch, von Politik und Lebensmittelindustrie deutlich mehr
Anstrengungen zur wirksamen Zuckerreduktion: „Wir brauchen einfach
mehr Transparenz über versteckten Zucker. Um angemessene
Ernährungsentscheidungen treffen zu können, müssen Eltern abschätzen
können, wie viel Zucker in Essen und Getränken enthalten ist. Aber
die Lebensmittelindustrie sträubt sich seit Jahren gegen eine
laienverständliche Lebensmittelkennzeichnung.“ Unterdessen verarbeite
sie weiter unnötig viel Zucker in den Produkten und werbe
flächendeckend mit gezieltem Kindermarketing.
Unter dem Motto „süß war gestern“ startet die AOK deshalb eine
nationale Kampagne zur Zuckerreduktion: „Wir liegen im europäischen
Zuckerranking weit vorne, und das kann zu einem Riesenproblem werden,
wenn wir jetzt nicht gegensteuern.“ Mit dieser Meinung stehe die
Gesundheitskasse nicht alleine da, betonte Litsch, deswegen werde sie
mit anderen Partnern eine Allianz zur Zuckerreduktion ins Leben
rufen, um nach dem Vorbild Großbritanniens endlich zu verbindlichen
Abmachungen und wirksamen Maßnahmen zu kommen.
Auch Dr. Dietrich Garlichs, Geschäftsführer der Deutschen Diabetes
Gesellschaft, die sich auch für das Aktionsbündnis engagieren will,
sieht den Zuckerkonsum hierzulande kritisch: „Die Strategie der
Politik, an den Einzelnen zu appellieren, sich gesund zu ernähren und
Übergewicht zu vermeiden, ist wirkungslos geblieben. Zu massiv hat
sich unsere Umwelt verändert: Fastfood und Snacks gibt es rund um die
Uhr an jeder Ecke. Die Industrie gibt für Süßwaren hundertmal mehr
Werbegeld aus als für Obst und Gemüse. Für Information und Aufklärung
steht nicht einmal ein Prozent allein der Süßwarenwerbung zur
Verfügung. Doch während wir im Straßenverkehr Gurt- und Helmpflicht
problemlos akzeptieren, fallen uns Regeln zur Gefahrenabwehr bei
Volkskrankheiten wie Adipositas und Diabetes immer noch schwer.“
Neben den Lebensmittelherstellern sieht AOK-Vorstand Litsch vor
allem die Politik in der Pflicht. Den kürzlich vom Bundesministerium
für Ernährung und Landwirtschaft vorgelegten Entwurf einer
„Nationalen Strategie für die Reduktion von Zucker, Fetten und Salz
in Fertigprodukten“ bewertet er skeptisch: „Es ist zwar erfreulich,
dass unser Ernährungsminister mit einer nationalen Strategie nun
endlich ungesunden Lebensmitteln den Kampf ansagen will. Aber kurz
vor Ende der Legislatur kommt diese Ansage reichlich spät und bleibt
in wesentlichen Teilen unverbindlich.“ Auf freiwillige
Selbstverpflichtungen der Lebensmittelindustrie könne man sich
jedenfalls nicht verlassen. „Das haben wir erst kürzlich auf EU-Ebene
feststellen müssen. Hier blieb das Bekenntnis der
Lebensmittelkonzerne, freiwillig auf Kindermarketingmaßnahmen zu
verzichten, völlig wirkungslos. Von daher wäre es fahrlässig, diese
Erfahrungen in der nationalen Strategie zu ignorieren und wieder nur
auf Vertrauen zu setzen.“
Hintergrund zur Studie: Wie gut können Eltern den Zuckergehalt von
Lebensmitteln einschätzen? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen
einer Unterschätzung von Zucker und dem Übergewichtsrisiko der
Kinder? Um diesen Fragen nachzugehen, haben Mattea Dallacker (M.Sc.),
Prof. Dr. Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut für
Bildungsforschung und Prof. Dr. Jutta Mata, Gesundheitspsychologin an
der Universität Mannheim, die Körpergröße und das Körpergewicht von
305 Kindern gemessen und deren Eltern den Zuckergehalt von
Lebensmitteln schätzen lassen. „Als bedeutsamen Befund im Kontext des
Bemühens um Zuckerreduktion“, sieht Ralph Hertwig die Tatsache, „dass
„Eltern dazu neigen, häufig den Zucker in diversen Lebensmitteln zu
unterschätzen“. Mattea Dallacker betont, „dass Eltern maßgeblichen
Einfluss auf die Essensauswahl ihrer Kinder haben und deshalb die
häufige Zuckerunterschätzung ein potentieller Risikofaktor für die
Entstehung von Übergewicht der Kinder darstellt“.
Alle Infos zum Zuckerreduktionsgipfel finden Sie unter folgenden
Links:
Präsentationen: http://aok-bv.de/engagement/index_18663.html
Pressemappe mit Statements und Grafik:
http://aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2017/index_18836.html
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