Dem Wirkstoff wurde viel Interesse zuteil, nachdem sich US-Präsident Donald Trump im Oktober 2020 mit SARS-CoV-2 infiziert hatte. Trump erhielt das Präparat als Teil einer Therapie, die außerdem Remdesivir von Gilead, Antikörper von Regeneron sowie Zink, Aspirin und ein Mittel zur Regulierung der Magensäure umfasste, wobei die drei letzteren wohl keinen therapeutischen Nutzen hatten.
Tief im Gehirn liegt die Zirbeldrüse, etwa so groß wie eine Erbse, die vor allem das Hormon Melatonin produziert. Sie tut dies als Reaktion auf die Veränderung des Tageslichts, indem sie das Molekül am Abend langsam freisetzt. Am Morgen lässt die Freisetzung wieder nach. Abgesehen davon, dass das Hormon den Schlaf steuert, ist es mit vielen anderen biologischen Prozessen verbunden.
Im Hinblick auf das Immunsystem könnte Melatonin daran beteiligt sein, die Entzündungsreaktion des Körpers in Schach zu halten, wie in einer 2019 auf der Website von ScienceDirect veröffentlichten Studie beobachtet wurde. Die Studie fand heraus, dass das Hormon zusammen mit einem antiviralen Medikament dazu in der Lage ist, Mäusen, die mit Influenza A infiziert sind, das Leben zu retten.
Auf der Suche nach einem Mittel gegen das Coronavirus wurden im Rahmen einer am 6. November 2020 veröffentlichten Studie der Cleveland Clinic in Ohio 34 Medikamente unter die Lupe genommen, die bereits zur Behandlung anderer Erkrankungen zugelassen sind, darunter auch das Schlafmittel Melatonin. Es wurde beobachtet, dass die Einnahme des Wirkstoffs die Wahrscheinlichkeit eines positiven Coronatests um ca. 28 % senkt. Die Studie untersuchte außerdem verschiedene Untergruppen von Patienten. So zeigte sich bei schwarzen Patienten ein um 52 % reduziertes Risiko. Auch bei Patienten mit Diabetes zeigte sich ein ähnliches Bild. Bei Asthma und Hypertonie war der Nutzen nicht ganz so hoch.
Auch wenn die Daten Grund zu leiser Hoffnung geben, sind noch viele Fragen offen. Zu beachten ist vor allem, dass es sich nur um eine Beobachtungsstudie handelt. Diese deutet zwar auf einen möglichen Nutzen von Melatonin bei COVID-19 hin, doch erst durch randomisierte kontrollierte Studien kann sich zeigen, ob es wirklich so ist. Die Autoren der Studie räumten das auch ein.
Dr. Feixiong Cheng, der Hauptautor der Studie, teilte im November 2020 mit: „Es ist sehr wichtig, zu verstehen, dass die Ergebnisse nicht besagen, dass man mit der Einnahme von Melatonin beginnen sollte, ohne einen Arzt zu konsultieren. […] Es werden randomisierte kontrollierte Studien erforderlich sein, um den klinischen Nutzen für Patienten mit COVID-19 zu validieren, aber wir sind fasziniert von den Zusammenhängen, die in dieser Studie gezeigt wurden, und der Möglichkeit, sie weiter zu erforschen.“
Die Aussage, dass sich Melatonin zur Therapie von COVID-19 eignen könnte, ist zwar nicht aus der Luft gegriffen, kann aber ohne den richtigen Kontext in die Irre führen. Eine Studie der Cleveland Clinic fand heraus, dass die Einnahme von Melatonin mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit eines positiven Coronatests verbunden ist. Da da es sich jedoch um eine Beobachtungsstudie handelt, kann sie keinen Nutzen beweisen. Dafür sind randomisierte, kontrollierte Studien erforderlich.
Die Einnahme des Mittels auf eigene Faust ist keine gute Idee. Zum Einen hat auch Melatonin Nebenwirkungen und die Wirkung gegen COVID-19 ist noch nicht erwiesen. Zum Anderen sind Berichte über angebliche „Wundermittel“ in sozialen Medien immer mit Vorsicht zu genießen.