Eine kleine Spritze oder ein Skalpell, für wenige Augenblicke verwendet, landen wie fast alle chirurgischen Einmalinstrumente im Müll und werden als kontaminierter Abfall verbrannt. Nicht verwunderlich also, dass Kliniken heute der fünftgrößte Müllproduzent des Landes sind. Das muss aber nicht so bleiben. Die Partner von SustainMed sind angetreten, um innovative und nachhaltige Lösungsansätze für den Krankenhausbetrieb zu entwickeln, damit zukünftig deutlich weniger Müll in Kliniken anfällt. Die Anforderungen an Hygiene und Sterilität sowie die Umsetzbarkeit fürs Klinikpersonal im Arbeitsalltag dürfen dadurch selbstverständlich nicht relativiert werden.
Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg stellte den vier Projektpartnern insgesamt rund 500.000 Euro zur Verfügung, um ein Nachhaltigkeitsinstrument zu schaffen, das zur ganzheitlichen ökologischen Transformation der Gesundheitswirtschaft beitragen soll. Als Entwickler von biotechnologischen Konzepten zur Nutzung von Reststoffen analysierte die Novis GmbH Wertstoffströme sowie Anwenderverhalten; FREESIXTYFIVE entwickelte eine Online-Plattform, auf der alle erhobenen Daten gesammelt, analysiert und visualisiert wurden. Diese stellte die Basis für einen digitalen Zwilling der klinischen Prozesse dar; die BG Klinik Tübingen war Pilotanwender und die BioRegio STERN Management GmbH Koordinator des Projektes.
Für die Studie, die nun unter dem Titel „Marktkompass SustainMed. Nachhaltige Transformation im Gesundheitswesen“ veröffentlicht wurde, befragte das Projektteam Mitarbeitende der BG Klinik Tübingen sowie Verantwortliche von Medizintechnikunternehmen. Außerdem wurde das Produktportfolio der BG Klinik Tübingen intensiv analysiert. Dafür wurde zunächst die gesamte Wertschöpfungskette der Klinik durch den digitalen Zwilling abgebildet, der mittels KI sämtliche Daten zu Warenbeständen und Verbrauchsmengen in Echtzeit lieferte und auch die Mitarbeiterbefragung zum Thema Nachhaltigkeit und zu den damit verbundenen Herausforderungen und Verbesserungsvorschlägen im Klinikalltag unterstützte.
Auf Basis der Befragung und der Analyse des Produktportfolios wurden vier typische Produkte für die Studie ausgewählt: Untersuchungshandschuhe, chirurgische Einweginstrumente, Sterilverpackungen im OP und Falthandtücher. Letztere sind, nach Verbrauchsmenge, die am häufigsten verwendeten Produkte – im dreimonatigen Untersuchungszeitraum wurden über sechs Millionen Tücher verbraucht. Die Analyse der möglichen Einsparungs- bzw. Wiederverwendungspotenziale brachte überraschende Ergebnisse. Die Klinik stellte beispielsweise von Einweg-Falthandtüchern auf recyclebare Rollenhandtücher um. Schulungen zur korrekten Verwendung von Einmalhandschuhen, deren CO2-Abdruck höher ist als der des Händewaschens und Desinfizierens, reduzierten den Verbrauch unter Einhaltung sämtlicher Hygienevorschriften. Für das Blutdruckmessen bei einem Patienten oder einer Patientin ohne offene Wunden, bei administrativen Tätigkeiten oder beim Anreichen von Tabletten kann problemlos auf Einmalhandschuhe verzichtet werden.
Bei chirurgischen Einweginstrumenten muss das Metall, das beim Verbrennen übrigbleibt, bisher aus der Schlacke aussortiert und separat entsorgt werden. Allein über 250 Kilogramm Metall fallen dadurch jährlich auf nur einer Station in der BG Klinik Tübingen als wiederverwendbarer Rohstoff an. Langfristig soll die Verwendung von Mehrwegprodukten analysiert werden – unter Berücksichtigung der Personal- und Energiekosten, die durch die Sterilisation anfallen. Ein beeindruckendes Ergebnis erbrachte die Analyse des OP-Abfalls. Bisher werden sämtliche Verpackungen als Verbrennungsmüll behandelt, obwohl bei der OP-Vorbereitung viele Verpackungen nicht kontaminiert sind, wenn sich die Patienten noch gar nicht im OP-Saal befinden. Durch die separate Sammlung können große Mengen an Abfall einfach im Gelben Sack entsorgt und anschließend recycelt werden. Die Projekterkenntnisse zur Verbesserung der Mülltrennung im OP werden nun flächendeckend für alle OP-Säle und Anästhesievorbereitungsräume der BG Klinik Tübingen in der Praxis umgesetzt.
Im Rahmen einer qualitativen Onlinebefragung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der BG Klinik Tübingen hat sich gezeigt, dass ihnen das Thema Nachhaltigkeit sehr wichtig ist. Viele von ihnen sehen Möglichkeiten zur Reduktion von Abfall – ungeachtet der Tatsache, dass Zeitmangel und fehlende Planbarkeit im Klinikalltag nachhaltiges Handeln erschweren. Auch die Medizintechnikunternehmen, die im Rahmen der Studie befragt wurden, betonen die Bedeutung von sozialer Verantwortung, Ressourceneffizienz und Abfallmanagement. Sie sehen jedoch in regulatorischen Vorgaben und den damit verbundenen hohen Produktions- und Entwicklungskosten Hemmnisse bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien. Ebenso wie die Mitarbeitenden in der BG Klinik Tübingen, sehen auch die Hersteller großes Potenzial in Schulungen und mehr Know-how zum Thema Müllvermeidung und Wiederverwertbarkeit.
So ist der Abschluss des Projektes SustainMed für alle Beteiligten vor allem ein Anfang: Die Studie belegt eindeutig, dass der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit vorhanden ist. Aber es müssen innovative und praxisnahe Lösungen entwickelt und Kompetenzen aufgebaut werden, um dieses Ziel zu realisieren. Alle vier Partner lieferten Antworten auf die Frage, wie nachhaltige Transformation im Gesundheitswesen gelingt: Durch den gezielten Einsatz digitaler Werkzeuge und die enge Einbindung aller Akteure, vom Einkauf der Klinik bis zur Anwendung des Medizinproduktes, von seiner Herstellung bis zur Entsorgung, vom Mitarbeitenden bis zu den Patienten und Patientinnen.
Link zum Download der Studie „Marktkompass SustainMed. Nachhaltige Transformation im Gesundheitswesen“: https://www.bioregio-stern.de/sites/default/files/documents/2025- 06/BG_BioRegio_18_06_25_WEB.pdf