Krankenkassen sollen nicht für geringe Innovationskraft der Arzneimittel bezahlen

Die Pharmaindustrie sieht sich als hoch innovativ
und unverzichtbar für den Standort Deutschland. Darauf wird im Rahmen
des Pharmadialogs gern hingewiesen. Auswertungen, die Wissenschaftler
der Universität Bremen mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse
(TK) in den vergangenen Jahren durchgeführt haben, kommen zu einem
differenzierteren Ergebnis. Neue und patentgeschützte Präparate sind
oft sehr teuer, können aber häufig gegenüber den bereits verfügbaren
Mitteln keinen wesentlichen Zusatznutzen für den Patienten
nachweisen.

„Die Forschung und Entwicklung von Medikamenten ist wichtig. Auch
wenn die Pharmaindustrie in Deutschland viele Arbeitsplätze bietet,
dürfen Gewinne mit Arzneimitteln ohne Zusatznutzen aber nicht auf dem
Rücken der Versicherten gemacht werden“, so Dr. Jens Baas,
Vorsitzender des Vorstands der TK.

In den Innovationsreporten 2013 und 2014 und im
Bestandsmarktreport wurden 57 Wirkstoffe anhand von Kriterien der
evidenzbasierten Medizin und der TK-Verordnungsdaten analysiert. In
der Ampelbewertung schafften es nur vier Präparate auf „grün“. 27
Arzneimittel wurden mit „gelb“ gewertet und 26 mit „rot“. In die
Bewertung flossen drei Dimensionen ein: Erstens, ob es bereits
verfügbare Therapien zur Behandlung der jeweiligen Krankheit gibt.
Zweitens, ob der Wirkstoff tatsächlich einen relevanten
(Zusatz-)Nutzen vorweisen kann. Und drittens, ob die Kosten im
Vergleich zu vorhandenen Therapien höher oder niedriger ausfallen.
Trotz der geringen Innovationskraft verursachten diese Arzneimittel
2014 etwa zwölf Prozent der Bruttoarzneimittelausgaben der
gesetzlichen Krankenkassen. Eigentlich soll dies seit 2011 durch das
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) verhindert werden.

„Das AMNOG soll dem Arzt eine Orientierung im Versorgungsalltag
bieten. Wenn weiter teure Arzneimittel ohne Zusatznutzen für den
Patienten verschrieben werden, ist das AMNOG noch immer nicht in der
Arztpraxis angekommen“, so Baas.

AMNOG muss im Versorgungsalltag ankommen

Trotz der frühen Nutzenbewertung, die der Gesetzgeber mit dem
AMNOG eingeführt hat, zeigt sich, dass zum Zeitpunkt der
Markteinführung oftmals noch keine ausreichenden Erkenntnisse darüber
vorliegen, welchen therapeutischen Fortschritt neue Arzneimittel im
realen Versorgungsalltag darstellen. Daher sollte die Industrie auch
nach Zulassung zur Durchführung von qualitativ hochwertigen
Versorgungsstudien verpflichtet werden.

AMNOG muss verbessert werden

Im Gegensatz zum starren AMNOG-System, sollten die Kassen zudem
mehr Möglichkeiten bekommen individuelle Preisverhandlungen mit den
Herstellern zu führen. Geheime Arzneimittelpreise und Rabatte
schützen die internationalen Verhandlungspositionen der
Pharmahersteller und flexible Lösungen können verhindern, dass
Produkte aus rein wirtschaftlichen Gründen vom Markt genommen werden.
Beides führt zu einer besseren Versorgung und zu niedrigeren Preisen.

Im Mai 2015 ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in die
Situation geraten, dass er dem Arzneimittel Glybera (Wirkstoff:
Alipogentiparvovec, Therapiekosten etwa eine Millionen Euro) per
Gesetz zunächst einen Zusatznutzen attestieren musste, obwohl das
Nutzen-Risiko-Verhältnis von der Europäischen Arzneimittelagentur
noch nicht abschließend bewertet werden kann. Arzneimittel, die wie
Glybera zur Behandlung von seltenen Erkrankungen (Orphan Drugs)
eingesetzt werden, bekommen per Gesetz automatisch einen Zusatznutzen
attestiert, wenn sie die Umsatzgrenze von 50 Millionen Euro im Jahr
nicht überschreiten. Das macht fachlich keinen Sinn. Denn auch wenn
ein Arzneimittel für die Therapie einer seltenen Erkrankung
entwickelt wurde, sollte es nur dann eingesetzt werden, wenn es einen
wirklichen Zusatznutzen für die Patienten hat.

Die Industrie ist zudem aufgefordert, die Qualität der Studien zu
verbessern und die Ergebnisse transparenter zu machen. „Wer ein
wirklich innovatives Arzneimittel entwickelt hat, muss vor
wissenschaftlicher Evidenz nicht zurückschrecken und den Vergleich zu
bewährten Präparaten nicht scheuen“, so Baas.

Hintergrund für die Redaktionen

Die TK stellt niedergelassenen Medizinern umfangreiche
Informationsangebote zu neuen Arzneimitteln zur Verfügung. Dazu
gehören der TK-Arzneimittelreport (TK-AMR), die Innovationsreports
2013 und 2014 sowie der Bestandsmarktreport. Auf Wunsch erhalten
niedergelassene Ärzte für jedes Quartal einen individuellen
Verordnungsreport. Dieser zeigt den Ärzten unter anderem an, ob sie
neue Arzneimittel tatsächlich bei solchen Erkrankungen verordnet
haben, bei denen das Präparat einen echten Zusatznutzen aufweist.
Zudem erhalten Abonnenten des Arzneimittelreports praxisrelevante
Zusammenfassungen der Ergebnisse zur frühen Nutzenbewertung, die
sogenannten AMNOG-News. Darüber hinaus etabliert die TK derzeit
zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe ein
Projekt, um die am Zusatznutzen orientierte Verordnung neuer
Arzneimittel zu fördern.

Die digitalen Pressemappen mit den vollständigen Reports,
Statements und Pressemitteilungen stehen unter www.presse.tk.de zum
Download zur Verfügung:

Bestandsmarktreport (Webcode 656576)
Innovationsreport 2014 (Webcode 641152)
Innovationsreport 2013 (Webcode 520628)

Pressekontakt:
Dennis Chytrek, TK-Pressestelle
Tel.040-6909 3020, E-Mail dennis.chytrek@tk.de
Social Media Newsroom: www.newsroom.tk.de,
Twitter: www.twitter.com/TK_Presse

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