Kinder treffen Entscheidungen

(Von Katharina Dreiling – Optimus Redaktion) Die Flut an Informationen konfrontiert uns täglich mit Entscheidungen. Angefangen beim Schuhkauf über Geldinvestitionen bis hin zur Partnerwahl, Entscheidungen verlangen häufig das kompetente Urteilsvermögen eines reifen Erwachsenen. Doch sind auch Kinder in der Lage, gute Entscheidungen zu treffen? Ja, das sind sie! Schon der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget, auch bekannt als der „Übervater der Entwicklungspsychologie“, betonte die Eigenleistung von Kindern bei ihrer kognitiven Entwicklung: Kinder lernen, indem sie sich aktiv mit der Umwelt auseinandersetzen. So weiß jedes Elternteil, dass es sein Kind nicht immer so beeinflussen kann, wie es sich wünschen würde. Im Gegenteil: Ob es beim Erlernen eines Instruments ist oder bei der Entscheidung, eine bestimmte Sportart auszuüben, Kinder machen häufig, was sie wollen. Einige wenige Untersuchungen zeigen, dass Kinder durchaus schon sehr früh informierte Entscheidungen treffen können, indem sie Informationen aus der Umwelt berücksichtigen und in ihren Entscheidungsprozess integrieren. Doch die Frage, wie sich diese Fähigkeiten und Prozesse bei zunehmendem Alter entwickeln, ist bislang wenig geklärt.
Anders als bei Erwachsenen steckt die wissenschaftliche Betrachtung des kindlichen Entscheidungsverhaltens noch in ihren Anfängen, sodass Dr. Stefanie Lindow mit ihrer Dissertation „Entscheidungen bei Kindern – (Wie) Entwickeln sich Entscheidungsstrategien?“ nicht nur an eine bestehende Forschungstradition anknüpft, sondern sich einem neuen Feld in diesem Bereich widmet.
Gut etablierte und theoretisch fundierte Ansätze der Entscheidungsforschung erweitert die promovierte Psychologin, indem sie den Blickwinkel auf die bisher wenig betrachteten kindlichen Entscheidungsprozesse wirft. Im Mittelpunkt steht dabei die aktuelle Debatte, ob sich die Kompetenz zum guten Entscheiden daraus ergibt, dass man gekonnt aus einer ganzen Sammlung an vielfältigsten Entscheidungsstrategien wählen kann, oder stattdessen allem Entscheiden derselbe, automatisch ablaufende Prozess zugrunde liegt. Geht man von der Verwendung vielfältiger Entscheidungsstrategien aus, ist es plausibel anzunehmen, dass Kinder den gekonnten Strategieeinsatz erst erlernen müssen. Dem stellt Dr. Lindow die Annahme gegenüber, dass auch Kinder zum Entscheiden über einen extrem leistungsstarken, automatisch ablaufenden kognitiven Mechanismus verfügen. Dieser würde es ihnen unter bestimmten Bedingungen ermöglichen, alle für die Entscheidung notwendigen Informationen schnell und einfach zu integrieren, um eine gute Entscheidung zu treffen. In diesem Zusammenhang wird die Bedingung, dass dem Kind alle zum Entscheiden notwendigen Informationen vorliegen oder erst durch eine bewusste Suche einzeln zusammengetragen werden müssen, näher betrachtet. Die Frage, welche Such- und Integrationsstrategien verschiedene Altersgruppen bei ihrer Entscheidungsfindung entwickeln, bildet damit den Kernpunkt in Dr. Lindows Arbeit. Verhält sich eine 9-Jährige beim Kauf von neuen Schuhen anders als ein Erwachsener? Zur Annäherung an die Fragestellung wählt Dr. Stefanie Lindow einen praxisnahen Zugang und stützt ihre Ausführungen auf empirische Daten, die sie im Rahmen von acht Experimenten erhoben hat. Mithilfe des sogenannten „Sparschweinspiels“, bei dem die Probanden ein Sparschwein zum Einkauf auswählen, vergleicht die Autorin die Anwendung von Entscheidungsstrategien zwischen Schulkindern und Erwachsenen. Die Befunde dieser Untersuchung leisten einen nicht unerheblichen Beitrag sowohl zum Verständnis allgemeiner Entscheidungsprozesse als auch – und das zeichnet diese Arbeit bedeutend aus – zur Diskussion über den kindlichen Entscheider.
Mit kritischen Augen und methodischer Sicherheit führt Dr. Stefanie Lindow dem Leser aufschlussreiche Erkenntnisse auf dem Gebiet der Entscheidungsforschung vor und setzt zudem Impulse für eine theoretische und praktische Herangehensweise in der Forschung mit Kindern.
Damit profitiert nicht nur die Wissenschaft von einer Beschäftigung mit Dr. Lindows Ergebnissen. Die Befunde haben durchaus auch für fachlich kundige Eltern eine hohe praktische Relevanz, die ein Interesse für die Frage hegen, wie sie ihre Kinder in der kognitiven Entwicklung besser begleiten können. Dem wohl informierten und anspruchsvollen Lesepublikum, das einmal über den Horizont der Entscheidungsforschung mit Erwachsenen hinausblicken will, bietet diese Studie also genau den richtigen Zugang.

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