Hypoxie im Fokus des Pflegekongress in Hamburg / Der Umgang mit chronischen Wunden war einer der Schwerpunkte des Springer Gesundheits- und Pflegekongresses in Hamburg

Während in den letzten Jahrzehnten mit
der Feuchtversorgung ein therapeutischer Ansatz im Mittelpunkt der
modernen Wundversorgung stand, steht bei neueren Untersuchungen
wieder die Hypoxie im Mittelpunkt. Sie ist bei chronischen Wunden der
gemeinsame ursächliche Nenner: Ein mikrozirkuläres Sauerstoffdefizit
und verhindert die Heilung des Gewebe.

Vier pflegerische und ärztliche Referenten schilderten hierzu ihre
Erfahrungen. Kerstin Protz, Pflegeexpertin aus Hamburg verdeutlichte,
unterstützt durch ein eindrucksvolles Patienteninterview, welche
konkreten Einschränkungen Patienten mit chronischen Wunden in ihrem
täglichen Leben ertragen müssen. Diese erstrecken sich von einer
Reduktion der Mobilität bis hin zur Erlahmung sozialer Kontakte.
Primärwunsch dieser Patienten, so Protz, sei die möglichst rasche
Abheilung der Wunden, um danach wieder am normalen Alltag teilnehmen
zu können.

Einen Überblick über die Vielfältigkeit und Komplexität der
unterschiedlichen Ausprägungen chronischer Unterschenkelgeschwüre
(offenes Bein) gab Prof. Joachim Dissemond, Dermatologe an der
Uniklinik Essen. Eine fachgerechte Diagnose des Patienten sei daher
entscheidend für den Erfolg der anschließenden Behandlung. Die
bestätigte Prof. Kröger, Angiologe der Helios-Klinik in Krefeld, und
bot ebenso wie sein Vorredner neue Erkenntnisse zur Entstehung
chronischer Wunden an. Die gemeinsame Endstrecke, so die Referenten,
sei eine Sauerstoffmangelversorgung des Gewebes. Wir befragten die
Ärzte im Anschluss der Vortragsreihe zu diesem Thema, das Interview
befindet sich im Anschluss dieses Berichtes.

Zeynep Hardt, Inhaberin eines Pflegedienstes und einer Akademie in
Duisburg kooperiert mit beiden Klinikärzten und schilderte erste
Erfahrungen mit einem therapeutischen Ansatz, der das Problem der
Hypoxie chronischer Wunden adressiert. Sie behandelt chronische
Wunden mit einem neuartigen Hämoglobinspray, welches es in einem
konkreten Behandlungsfall einem Familienvater ermöglichte, nach
diversen jahrelangen erfolglosen Therapieversuchen durch relativ
raschen Wundverschluss wieder mit seinen Kindern schwimmen gehen zu
können. Mit diesem neuartigen Lösungsansatz führten die Vortragenden
das Thema zurück auf die eingangs von Kerstin Protz geforderte
schnelle Abheilung von Wunden, um so dem größten Wunsch der Patienten
gerecht zu werden, die Wunde zügig zur Abheilung zu bringen und damit
die Lebensqualität wieder herzustellen.

Hypoxie und Wundheilung: Interview mit Prof. Knut Kröger und Prof.
Joachim Dissemond

Herr Prof. Kröger, auf vielen Kongressen wird neuerdings von
erfolgreichen Einsätzen von Hämoglobin bei chronischen Wunden
berichtet, welches Potential hat dieser Ansatz?

Kröger: Zunächst muss man mal klarstellen, dass dieser Ansatz
nicht wirklich neu ist. George Winter persönlich, in den 60er Jahren
Begründer der Feuchttherapie hat in den 70ern auch über Hypoxie
veröffentlicht. Zahlreiche Kollegen setzten zur Heilung chronischer
Wunden schon vor Jahren erfolgreich Bluttamponaden ein, die aber im
Handling problematisch waren. Denken Sie z.B. an die
Gerinnungsproblematik. Neu ist die Applikation von
sauerstofftransportierendem Hämoglobin in einer Spraydose, und dies
ist letztlich praktischer und effektiver als Tamponaden und die
Unterdruckkammern, die vor einigen Jahren en vogue waren.

Herr Prof. Dissemond, ersetzt das Hämoglobin die Feuchttherapie?

Dissemond: Nein, und das ist auch gar nicht beabsichtigt. Bei der
Anwendung von Hämoglobin wird die Feuchttherapie als Abdeckung
fortgesetzt, sie ist somit nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu
sehen.

Wozu dann die zusätzliche Applikation von Hämoglobin?

Dissemond: Hämoglobin vermag es, die sich auf der Oberfläche
chronischer Wunden befindliche Sauerstoffsperre aus Exsudat zu
durchbrechen. Sie müssen sich das so vorstellen: Das Hämoglobin dient
dem Sauerstoff als Transportvehikel durch die Sperrschicht. Es bildet
eine Art Tunnel durch das Exsudat.

Aber wird das Gewebe nicht über das körpereigene Blut von innen
mit Sauerstoff versorgt?

Kröger: Nein, und genau das ist der Kern des Problems. Die
chronische Wunde ist eine ischämische Wunde. Wegen des zu niedrigen
Sauerstoffpartialdrucks werden randständige Areale der Extremitäten
nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Das Gewebe geht infolge
dieses Mangels unter. Die entstandene Wunde wird sich, ebenfalls
bedingt durch den fehlenden Sauerstoff gar nicht oder nur extrem
langsam wieder verschließen.

Wo sehen Sie die Möglichkeiten und Grenzen dieser Therapiemethode?

Dissemond: Nun, nicht alle Wunden reagieren unmittelbar auf das
erhöhte Angebot an Sauerstoff. Manche scheinen erst konditioniert
werden zu müssen, entwickeln sich dann aber sprungartig weiter.
Einige Wunden reagieren aber auch gar nicht. Es ist natürlich kein
Wundermittel, aber das erwartet man bei einem so komplexen Vorgang
wie der Wundheilung auch gar nicht. Der offensichtliche Vorteil liegt
in der Handhabung. Unter allen aktuellen innovativen Therapiemethoden
läßt sich diese sowohl in der Klinik als auch im ambulanten Bereich
und von Pflegediensten problemlos anwenden. Wir sprechen hier von
einer Spraydose, vom Handling her nicht zu toppen. Deshalb setzt es
sich deutlich von solchen Methoden ab, die hochspezialisierten
Therapiezentren vorbehalten sind, wie Plasmastrahler oder
Keratinozyten-Plantagen.

Kröger: Kollegen aus Kliniken und dem niedergelassenen Bereich
beobachten eine allgemein schnellere Abheilung chronischer Wunden
unter Hämoglobin sowie auch eine Wiederaufnahme der Heilungstendenz
therapierefraktärer Wunden. Wie Professor Dissemond bereits sagte,
gibt es auch Wunden, die über das zusätzliche Angebot an Sauerstoff
zunächst auf zellularer Ebene reagieren. Von außen sieht man dann
zunächst nichts. Andere Wunde reagieren unmittelbar und heilen
deutlich schneller.

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