Das diesjährige multidisziplinäre Kolloquium der GEERS-Stiftung stand ganz im Zeichen der Kinderversorgung. HNO-Ärzte, Hörgeschädigtenpädagogen, Logopäden sowie Audiologen und Hörgeräteakustiker diskutierten im Februar über die Perspektiven der frühkindlichen Versorgung. Ein Vortrag stieß bei den Wissenschaftlern und Praktikern, die sich mit Hörgeräten beschäftigen, auf besonderes Interesse. Professor Dr. Elizabeth Walker von der Universität Iowa stellte ein gemeinsames Forschungsprojekt dreier wissenschaftlicher Einrichtungen in den Vereinigten Staaten vor. Sie begleiten über 300 schwerhörige Kinder – teilweise bereits seit 7 Jahren. Anhand der gewonnen Daten beschreiben sie nun einen Weg, wie ein normaler Spracherwerb für Kinder mit einer beidseitigen, leichten bis hochgradigen Schwerhörigkeit möglich ist. „Wir schließen damit eine Lücke in der Forschung, die sich sonst häufig auf Kinder mit einer Resthörigkeit oder auf Kinder mit einem Cochlea-Implantat konzentriert“, erklärte Walker vor den Teilnehmern des Kolloquiums in Berlin.
Die Forscher der Universität Iowa, dem Boys Town National Research Krankenhaus in Nebraska und der Universität von North-Carolina haben untersucht, wie sich die Qualität der Hörgeräteversorgung, die Tragedauer der Hörgeräte pro Tag und der sprachliche Input durch die Eltern auf die Sprachentwicklung des Kindes auswirken. Auf dem Kolloquium der GEERS-Stiftung, die alle zwei Jahre Wissenschaftler und Praktiker aus verschiedenen Disziplinen zu einem Austausch zusammenbringt, präsentierte Walker Zwischenergebnisse der Langzeituntersuchung. Die Studie belegt, dass Kinder mit Hörgeräten in ihrer Entwicklung zu normalhörenden Altersgenossen aufschließen können.
Bedeutung der Hörgeräteanpassung und Tragedauer
In einem ersten Schritt begutachteten die Forscher die Qualität der Hörgeräteversorgung bei den Kindern. Sie wollten sicherstellen, dass Kinder mit Hörgeräten tatsächlich die für sie optimale Verstärkung erhalten. Dabei wurde festgestellt, dass die Hörgeräte bei jedem dritten Kind in Bezug auf die durch die Schwerhörigkeit vorgegeben Zielwerte nicht optimal eingestellt waren. Durch das Wachstum der Kinder verändern sich die Rahmenbedingungen, auf welche die Hörgeräte programmiert sein sollten. Darum müssen Hörgeräte gerade bei einer Kinderversorgung wesentlich häufiger kontrolliert und feinjustiert werden, um die optimale Verstärkung zu erhalten.
Ein weiteres Kriterium, das die Wissenschaftler untersuchten, war die tatsächliche Nutzung der Hörgeräte im Alltag. Walker und ihr Team stellten fest, dass das Nutzungsverhalten kindbezogen sehr unterschiedlich war. Durchschnittlich trugen die Kinder bis zum Alter von zwei Jahren die Hörgeräte 4 Stunden pro Tag. In der Altersgruppe 2 bis 4 Jahre waren es bereits 7,5 Stunden, die bis 9-Jährigen nutzten ihre Hörgeräte durchschnittlich 10 Stunden. Auch wenn Kleinkinder viel schlafen, geht Elizabeth Walker von 8 bis 12 Stunden Wachzeit aus. Aus ihrer Sicht werden Hörgeräte gerade in diesem für die Entwicklung wichtigen Alter nicht kontinuierlich genug eingesetzt. „Auch wenn Ärzte immer dazu raten, dass Hörgeräte tagsüber die ganze Zeit getragen werden sollten, haben wir Kinder und Kleinkinder gesehen, die ihre Hörgeräte nicht tragen“, sagte Walker. Sie stellt eine Verbindung zwischen der Nutzungsdauer, dem zunehmenden Alter der Kinder, dem Grad der Schwerhörigkeit und dem Bildungsniveau der Mütter fest. Mit anderen Worten: Ein älteres Kind mit einer hochgradigen Schwerhörigkeit und Eltern, die einen hohen Bildungsabschluss vorweisen, tragen ihre Hörgeräte länger als jüngere Kinder mit einer leichteren Schwerhörigkeit und einem niedrigeren Bildungsabschluss der Eltern.
Normale Sprachentwicklung ist möglich
Im nächsten Schritt wurde untersucht, wie die tatsächliche Hörleistung und die Nutzungsintensität die Entwicklung der Sprachkompetenz der Kinder beeinflusst. Grundlage dafür war ein Sprachentwicklungstest. Die Testergebnisse zeigen, dass Kinder unabhängig vom Grad der Schwerhörigkeit mit einer guten Hörgeräteversorgung ihre Sprachkompetenz besser entwickeln. Hier zeigt sich auch, dass die intensive Nutzung der Hörgeräte und ein guter kommunikativer Input durch die Eltern einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder haben. „Diese Erkenntnis ist an sich nicht neu, nur fehlten uns bisher ausreichende empirische Untersuchungsergebnisse, die die Forscher aus Iowa mit einer großen Datenbasis nun eindrucksvoll liefern“, lobt Professor Dr. Gottfried Diller, Vorsitzender des wissenschaftlichen Vorstands der GEERS-Stiftung, die Studie.
Den Teilnehmern des Kolloquiums präsentierte Walker weitere Auswertungen, die zeigen, wie positiv sich Kinder mit Hörgeräten entwickeln können. Trägt ein Kind seine Hörgeräte mehr als 10 Stunden am Tag, steigt die gemessene Sprachkompetenz im Vergleich zu normalhörenden Kindern Jahr für Jahr an. Im Alter von 6 Jahren können einige Kinder das Niveau eines normalhörenden Gleichaltrigen erreichen. Anders bei Kindern, die ihre Hörgeräte weniger als 10 Stunden am Tag tragen. Sie sind in Gefahr, bei der Entwicklung ihrer Sprachkompetenz immer weiter zurückgeworfen zu werden.
All diese Ergebnisse legen nahe, dass das Potenzial einer Hörgeräteversorgung heute häufig nicht voll ausgeschöpft wird. Werden jedoch die Hindernisse aus dem Weg geräumt, sind mit modernen Hörgeräten enorme Verbesserungen möglich. Die Wissenschaftler um Elizabeth Walker haben gezeigt, was das Ziel sein kann. Nun ist es an allen an der Entwicklung der Kinder beteiligten Akteure, sich nicht mit weniger zufrieden zu geben.