Im September 2022 startete das King s College of London im Vereinigten Königreich unter dem Titel „Cannabis & Me“ eine wissenschaftliche Studie über die Auswirkungen von Cannabis auf die psychische Gesundheit, die als die bisher größte Cannabis-Studie ihrer Art gilt.
An der Cannabis-Studie sollen insgesamt 6000 Personen teilnehmen. Im Fokus stehen umweltbedingte und biologische Faktoren, die für die Auswirkungen des Cannabiskonsums auf das menschliche Gehirn verantwortlich sind. Die Ergebnisse könnten unter anderem Ärzten helfen, die entscheiden müssen, ob sie einem Patienten Cannabis verschreiben sollten oder nicht.
Die leitende Forscherin von Cannabis & Me, Dr. Marta di Forti, verfügt über umfangreiche Erfahrungen bei der Untersuchung von Cannabis aus psychiatrischer Sicht. Sie hat bereits mehrere Studien über kausale Zusammenhänge zwischen Cannabiskonsum und psychotischen Störungen veröffentlicht. 2019 erhielt sie eine Finanzierung von der Maudsley Charity, um die erste Cannabisklinik für Patienten mit Psychosen in Großbritannien aufzubauen.
Die Cannabis-Studie beginnt für die Teilnehmer mit einer 40-minütigen Online-Umfrage. Diese zielt in erster Linie darauf ab, die verschiedenen Wirkungen zu erfassen, die der Cannabiskonsum auslöst. Sie soll auch Zusammenhänge mit anderen konsumierten Substanzen, Lebensereignissen und sozialem Kontext dokumentieren. Außerdem wollen die Forscher verstehen, wie interne und externe Faktoren den Cannabiskonsum beeinflussen und umgekehrt.
Die Teilnehmer der Cannabis-Studie werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Gruppe 1 beinhaltet diejenigen, die derzeit Cannabis konsumieren. Die Teilnehmer der Gruppe 2 haben es noch nie oder höchstens dreimal in ihrem Leben konsumiert. Beide Gruppen wurden nacheinander zu einem Treffen mit dem Forschungsteam eingeladen, um eine persönliche Bewertung vorzunehmen.
Zugelassen sind nur Personen, die über 18 Jahre alt sind, ihren Wohnsitz im Großraum London haben, fließend Englisch sprechen, einer persönlichen Untersuchung zustimmen, eine Blutprobe abgeben und an einer Virtual-Reality-Erfahrung (VR) teilnehmen. Sie dürfen auch in ihrer Anamnese keine psychotischen Störung aufweisen.
Um die Bedeutung der Cannabis-Studie zu verstehen, ist es notwendig, einen Blick auf den rechtlichen Status von Cannabis in der ganzen Welt zu werfen.
In der EU haben in den letzten Jahren mehrere Staaten den Gebrauch von Cannabisprodukten für medizinische Zwecke legalisiert (siehe zum Beispiel Cannabis bei Migräne oder Cannabis bei neuropathischen Schmerzen). Gleichzeitig hat eine öffentliche Debatte über die Legalisierung für den Freizeitgebrauch begonnen. In den Niederlanden und in Portugal können Erwachsene schon heute legal Cannabis kaufen. Einige Länder versuchen, den Konsum zumindest zu entkriminalisieren. Infolgedessen ändert sich die Wahrnehmung der Substanz auf gesellschaftlicher Ebene. Jüngste Berichte zeigen eine Zunahme des Konsums. Doch auch wenn die Forschung Fortschritte macht, weiß man immer noch zu wenig über die Risiken und wie man sie vermeiden kann.
Dr. Di Forti erklärte, dass die Cannabis-Studie vor allem darauf abzielt, belastbare Daten im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit zu liefern. Sie soll dazu beitragen, die Risiken zu bewerten und zu minimieren. Außerdem soll sie Menschen ermöglichen, fundierte Entscheidungen zu treffen, wenn sie Cannabis medizinisch oder zu Freizeitzwecken konsumieren.
Ärzten wollen die Forscher durch die Cannabis-Studie eine Reihe von Instrumenten an die Hand geben, die sie sicherer machen, wenn es darum geht, medizinische Cannabisprodukte zu verschreiben, Nebenwirkungen zu überwachen und sich der Risiken bewusst zu sein.
Dr. Di Forti sagt dazu: „Als Psychiaterin interessieren mich vor allem die Schäden, die mit dem Gehirn zusammenhängen. Eine Minderheit der Konsumenten entwickelt eine vorübergehende oder länger anhaltende Psychose. Ich möchte herausfinden, wie wir die Patienten herausfiltern können, die von Cannabis profitieren und gleichzeitig jene schützen, die zu psychotischen Symptomen neigen“.
An der Studie sind rund ein Dutzend Forscher und Forscherinnen mit einem breiten Spektrum an Fachwissen und Spezialisierungen beteiligt.
Die Daten der Nicht-Konsumenten werden zum Verständnis der Epigenetik beitragen. Dieses Fachgebiet untersucht, inwiefern Verhaltens- und Umwelteinflüsse von Menschen Veränderungen bewirken können, die sich auf die Gene auswirken. Die Forscher möchten verstehen, ob Cannabis, ähnlich wie Tabak und Alkohol, das epigenetische Profil beeinflusst, und ob diese Veränderungen reversibel sind.
Einzelne Abschnitte der DNA können in Abhängigkeit von inneren und äußeren Faktoren ein- und ausgeschaltet werden. Die Daten werden zeigen, wie es sich im Zusammenhang mit Cannabiskonsum verhält. Auch erhofft man sich Erkenntnisse darüber, worin der Unterschied zwischen denjenigen besteht, die positive Auswirkungen haben, und denjenigen, die psychotische Störungen entwickeln.
Laut Dr. Di Forti besteht die einschlägige wissenschaftliche Literatur hauptsächlich aus epidemiologischen Studien. Obwohl einige Arbeiten auch genetische Aspekte umfassen, sind die Ergebnisse relativ uneinheitlich. „Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Psychose zu entwickeln, steigt, wenn man dafür eine genetische Veranlagung hat oder in der Familie eine Psychose aufgetreten ist und zusätzlich Cannabis konsumiert. Aber wir wissen nicht, ob diese Substanz die Art und Weise verändert, wie sich die DNA je nach Umwelteinfluss ein- und ausschaltet“, sagte sie.
Außerdem deuten einige Studien darauf hin, dass Menschen mit Psychosen Anomalien im Endocannabinoid-System aufweisen. Durch einen Bluttest werden die Forscher die DNA-Struktur untersuchen. Dies wird zeigen, ob die Wirkung des Cannabiskonsums auch mit der biologischen Interaktion zwischen dem Endocannabinoidsystem und den Cannabisverbindungen zusammenhängt. „Es besteht die Möglichkeit, dass einige Menschen aufgrund ihrer Genetik oder ihres Endocannabinoidsystems nicht in der Lage sind, Cannabis zu verstoffwechseln“, sagte Dr. Di Forti.
Was den Einfluss des sozialen Umfelds betrifft, so werden die Forscher die Teilnehmer fragen, ob sie in der Vergangenheit ein Trauma erlitten haben und ob sie psychologische Linderung in Cannabis suchen, um zu verstehen, ob die Konsumenten davon profitieren.
Darüber hinaus werden die Teilnehmer der Cannabis-Studie in Virtual-Reality (VR)-Erfahrungen einbezogen. Dort finden sie sich zum Beispiel in einem alltäglichen sozialen Kontext wieder. Das Experiment soll zeigen, wie Cannabiskonsum die Wahrnehmung der äußeren Umgebung verändert und wie diese Veränderung zu bewerten ist. Die Teilnehmer werden verschiedene VR-Szenarien durchlaufen, um ihre Reaktionen messen. Das soll dazu beitragen, negative Auswirkungen des Konsums, wie etwa Paranoia, zu erklären.
Das Medical Research Council (MRC) hatte für die Cannabis-Studie bereits 2020 eine Finanzierung mit 2,5 Millionen Pfund (2,9 Millionen Euro) bewilligt. Der Großteil der Kosten entfällt auf die Gehälter der Forscher sowie auf (epi-)genetische Test, Bluttests und Infrastruktur. Geplant war einer Laufzeit bis 2025. Die COVID-19-Pandemie sorgte jedoch für eine Verzögerung. Eine Verlängerung der Laufzeit wurde bereits beantragt.
Die Forscher werden die ersten Daten in eineinhalb Jahren veröffentlichen. Die biologischen Daten sollen voraussichtlich in zwei Jahren vorliegen. Die Online-Umfrage zur Teilnahme an dieser Studie wird in 18 Monaten abgeschlossen sein. Im September haben sich über 280 Personen für die Cannabis-Studie gemeldet. Die Forscher führen bereits Telefoninterviews durch, um psychologische Daten zu erhalten.
Die Studie „Cannabis & Me“ wurde bereits im Vorfeld von Aktivisten, die für eine Cannabislegalisierung sind, und von Insidern der Branche kritisiert, die Bedenken hinsichtlich der Unparteilichkeit äußerten. Aus ihrer Sicht hat die Arbeit von Dr. Di Forti dazu beigetragen, die Stigmatisierung von Cannabis zu verstärken.
Eine Studie von Dr. Di Forti, die 2015 in der Fachzeitschrift „The Lancet Psychiatry“ veröffentlicht wurde, ergab, dass „das Risiko einer psychotischen Störung bei Personen, die skunkähnliches Cannabis konsumieren, etwa dreimal so hoch ist wie bei Personen, die nie konsumieren.“ Eine weitere Studie, die 2019 in der gleichen Zeitschrift erschien, ergab, dass der tägliche Konsum von hochpotentem Cannabis „stark mit dem Risiko der Entwicklung einer Psychose verbunden ist.“
Auf die Kritik angesprochen, sagte Dr. Di Forti, dass die allgemeine Debatte polarisiert sei. Sie hofft, dass ihre Cannabis-Studie dazu beitragen wird, alle Seiten der Argumentation neu zu überdenken. Ihr Ziel sei, zu verstehen, warum eine Minderheit der Konsumenten psychologische und kognitive Störungen erleidet. Diesen Menschen müsse geholfen werden, sich vor schädlichen Auswirkungen zu schützen.