Ethikrat rückt den Patienten in den Fokus der personalisierten Medizin

Können Patienten und Gesundheitssystem sich künftig
auf eine maßgeschneiderte Medizin freuen, die mit diagnostischen
Tests für jeden die individuell beste Therapie ermittelt? Dieser
Frage ging der Deutsche Ethikrat im Verlauf seiner Jahrestagung am
24. Mai nach und stellte dabei den Patienten in den Vordergrund.

Elf Referenten und über 400 Teilnehmer brachten in teils lebhaften
Diskussionen ihre Hoffnungen und Befürchtungen zur fortschreitenden
Individualisierung der Medizin zum Ausdruck.

„Werden Patienten auf dem Prunkwagen der personalisierten Medizin
in das Paradies medizinischen Fortschritts gefahren oder werden sie
vor den Karren der molekularbiologischen Forschung und der
Pharmaindustrie gespannt?“, fragte Christiane Woopen, die Vorsitzende
des Ethikrates, zu Beginn der Veranstaltung.

Die Vision einer personalisierten Medizin verspricht, die
molekularen Besonderheiten, deretwegen Menschen verschiedene
Krankheitsverläufe zeigen und unterschiedlich auf Medikamente
reagieren, besser zu erfassen und bei der Behandlung und Prognose von
Krankheiten zu berücksichtigen. Für Patienten, Ärzte,
Solidargemeinschaft und Forschung ergeben sich durch die gewünschte
Individualisierung allerdings neue Herausforderungen.

Der Pharmakologe Heyo Karl Kroemer stellte in seinem
Einführungsvortrag heraus, dass eine molekulargenetische Betrachtung
für den Fortschritt der personalisierten Medizin nicht ausreiche,
sondern mit anderen klinischen Daten verbunden werden müsse, für die
die Referenzwerte teilweise noch zu erarbeiten seien.

Den Patienten eröffneten sich, so die Politikwissenschaftlerin
Barbara Prainsack, einerseits zwar neue Möglichkeiten, die
individuellen medizischen Daten über Online-Portale direkt in
Forschungsprojekte einfließen zu lassen und individuelle Handlungs-
oder Therapieempfehlungen einzuholen. Solche Ansätze brächten jedoch
andererseits das Risiko mit sich, den Patienten zu überfordern.
Überdies seien sie anfällig für Mängel bei der Datensicherheit und
Qualitätskontrolle.

Gerade in der Krebsmedizin seien von personalisierten
Therapieansätzen große Fortschritte zu erwarten, betonte der Onkologe
Jürgen Wolf. Entscheidend für den Erfolg sei in erster Linie das
Verständnis der biologischen Mechanismen, von denen die
Medikamentenwirkung abhängt. Um dies voranzutreiben, müssten die
Ärzte sich stärker interdisziplinär vernetzen; viele Praxen und
Krankenhäuser müssten dabei zusammenarbeiten.

Hardy Müller von der Techniker Krankenkasse betonte die Bedeutung
der Gesundheitsbildung der Patienten und forderte eine
sozialrechtliche Beurteilung vor Einführung neuer Technologien.
Problematisch seien hohe Kosten bei schwierig nachzuweisendem Nutzen
für die Patienten. Es sei daher wichtig, diese Bedenken rechtzeitig
gesellschaftlich breit zu diskutieren.

Auch der Sozialmediziner Heiner Raspe hält den vorschnellen
Einsatz individueller diagnostischer Tests und Therapien in vielen
Fällen für bedenklich. Die Aussicht auf Profit führe insbesondere bei
von Patienten individuell zu bezahlenden Zusatzleistungen oft zu
überzogenen Versprechungen der Anbieter bei gleichzeitiger Entwertung
des Angebots der gesetzlichen Krankenkassen. Eine Finanzierung der
häufig sehr teuren Maßnahmen durch die Kassen jedoch bringe Probleme
für die Solidargemeinschaft mit sich. Es fehlten nicht nur Ressourcen
in anderen Bereichen; die Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit von
Krankheiten werde überschätzt und – darauf aufbauend – gerieten
Patienten und Ärzte unter einen zunehmenden, wissenschaftlich jedoch
kaum haltbaren Druck.

Welche Herausforderungen die personalisierte Medizin für die
Forschung bedeutet, diskutierten Hagen Pfundner von der Pharmafirma
Roche und Jürgen Windeler vom Institut für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.

Aus Sicht der Industrie sei die Entwicklung und Vermarktung von
Arzneimitteln für kleinere Patientengruppen dann sinnvoll, wenn der
klinische Nutzen durch den individuellen Zuschnitt der Therapie
stärker zunehme, als die Zielgruppe kleiner werde, erklärte Pfundner.
Höhere Kosten durch die komplexe und aufwendige Forschung zur
Ermittlung der Patientengruppen, für die ein bestimmter
Therapieansatz geeignet ist, ließen sich im Idealfall durch die
Vermeidung von Fehlbehandlungen und die dadurch gesteigerte
Systemeffizienz und Versorgungsqualität ausgleichen. In jedem Fall
könnten und sollten die etablierten Methoden der evidenzbasierten
Medizin bei der Evaluierung der neuen Ansätze unvermindert zum
Einsatz kommen, forderte Windeler.

Zum Abschluss der Tagung diskutierten die Humangenetikerin Daniela
Steinberger, der Medizinethiker Giovanni Maio, der Patientenvertreter
Wolfram-Arnim Candidus und der Pathologe Manfred Dietel in einer
Podiumsrunde und unter Mitwirkung des Publikums über den „Patienten
der Zukunft“. Konsens herrschte dabei in der Frage, dass sich die
vielen Facetten des Themas nur schwer in einem präzisen Begriff
fassen lassen. Auf den Begriff „personalisierte Medizin“ sollte man
daher verzichten und stattdessen stärker präzisieren, worüber man
gerade spricht. In einer gemeinsamen Anstrengung sollten biologische,
psychologische und soziale Ansätze die auf das Individuum
ausgerichtete medizinische Forschung und Versorgung vorantreiben –
dann seien Patienten Nutznießer des Fortschritts, so Christiane
Woopen in ihrem Schlusswort.

Das Programm der Jahrestagung sowie die Vorträge und
Diskussionbeiträge können unter http://ots.de/ADDRP abgerufen werden.

Pressekontakt:
Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat
Jägerstraße 22/23
D-10117 Berlin

Tel: +49 (0)30 203 70-246
Fax: +49 (0)30 203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: http://www.ethikrat.org

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