Essener Forscher identifizieren Ursache des
Burn-McKeown-Syndroms
Essen, 01.12.2014 – Das Burn-McKeown-Syndrom ist eine seltene Erkrankung, die in der Regel bereits im frühen Kindesalter diagnostiziert wird. Ihre genaue Ursache war bislang unbekannt. Prof. Dr. Dagmar Wieczorek und Dr. rer. nat. Hermann-Josef Lüdecke vom Institut für Humangenetik der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg Essen am Universitätsklinikum Essen (UK Essen) ist es nun gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern gelungen, das für die Erkrankung verantwortliche Gen zu identifizieren. Die Herangehensweise der Forscher kann zu einer generellen Verbesserung diagnostischer Verfahren und der genetischen Beratung von Familien beitragen.
Bei Patienten, die am Burn-McKeown-Syndrom leiden, liegen Mutationen des Gens TXNL4A vor. Dies konnten Essener Forscher in einer internationalen Kooperation zusammen mit PD Dr. Tim Strom vom Helmholtz-Zentrum München und Dr. William Newman vom Manchester Centre for Genomic Medicine erstmals nachweisen, so das Fachmagazin „American Journal of Human Genetics“, eine der meist zitierten wissenschaftlichen Zeitschriften in der internationalen Humangenetik. Die seltene Erkrankung wurde bisher nur bei weniger als 20 Patienten weltweit diagnostiziert. Betroffene Patientinnen und Patienten leiden unter anderem unter Hörverlust und einer Lippen- bzw. Lippen-Kiefer-Gaumenspalte.
Das TXNL4-Gen kodiert für ein Eiweiß, das an der Reifung der Boten-RNA im Zellkern beteiligt ist. Die Mutation hat zur Folge, dass bei betroffenen Patienten in der Regel eine der beiden TXNL4A-Genkopien vollständig abschaltet ist. Zugleich wird die Aktivität der zweiten Gen-Kopie herabgesetzt, diese fällt aber nicht vollständig aus. Man geht davon aus, dass ein vollständiger Ausfall der TXNL4A-Aktivität nicht mit dem Leben vereinbar wäre. Ein solch komplexer Entstehungsmechanismus ist bisher nur bei wenigen Krankheitsbildern, z. B. beim TAR-Syndrom, beschrieben worden, könnte jedoch auch bei weiteren, genetisch noch nicht geklärten Erkrankungen eine Rolle spielen.
Die Forscher erhoffen sich von dieser neuen Erkenntnis eine Verbesserung der diagnostischen Verfahren und der genetischen Beratung der Familien. Denn bei der Aufklärung genetischer Erkrankungen werden bislang nur die kodierenden Bereiche des menschlichen Erbgutes untersucht, die etwa einen Anteil von zwei Prozent ausmachen. In dem vorliegenden Fall weist das betroffene Gen jedoch pathogene Veränderungen sowohl im kodierenden als auch im nicht-kodierenden Bereich auf. Die nun veröffentlichten Ergebnisse zeigen, wie wichtig es bei der Aufklärung genetischer Erkrankungen sein kann, das gesamte Genom zu untersuchen.
Das Institut für Humangenetik ist an verschiedenen Konsortien für seltene Erkrankungen beteiligt, so unter anderem an CRANIRARE (www.cranirare.eu), FACE, dem Forschungsverbund ausgewählter craniofacialer Entwicklungsstörungen (www.facerare.org) und „Imprinting-Erkrankungen“ (http://www.hg.uni-duisburg-essen.de). Darüber hinaus ist der Direktor des Instituts für Humangenetik am UK Essen, Prof. Dr. rer. nat. Bernhard Horsthemke, zugleich Leiter des Essener Zentrum für Seltene Erkrankungen (EZSE).
Allein in Deutschland sind schätzungsweise vier Millionen Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen. Da die einzelnen Krankheitsbilder komplex und wenig bekannt sind, werden diese häufig nicht erkannt oder erst sehr spät diagnostiziert. Das UK Essen verfügt nicht zuletzt aufgrund seiner Behandlungs- und Forschungsschwerpunkte bereits heute über eine langjährige Expertise in der Therapie von bestimmten seltenen Erkrankungen sowie in der Erforschung zugrundeliegender Ursachen.
Quelle: (doi:10.1016/j.ajhg.2014.10.014)