Natürliche Prozesse im Fluss, Überflutung, Transport, Siedlungsflächen, Krieg und Fäkalien prägten den Wandel der Wiener Donau. Dies ist das Ergebnis eines interdisziplinären Forschungsprojekts des Wissenschaftsfonds FWF, in dem die Umweltgeschichte, die Sozialökologie und die Morphologie des Flusses über vier Jahrhunderte analysiert wurden. Dabei konnte der Transformationsprozess von einer dynamischen Flusslandschaft zu einem regulierten Kanal detailgenau rekonstruiert werden. Für diesen Zweck wurden neue Methoden entwickelt, die international Anerkennung fanden. Ein renommiertes Journal widmete den Ergebnissen aus diesem Projekt eine eigene Ausgabe.
Flüsse prägen nicht nur Landschaften, sondern auch Menschen, und umgekehrt: Durch Regulierungsmaßnahmen wie Begradigungen, Umleitungen und Kanalisierungen passten Menschen die Flüsse ihren Bedürfnissen an. Die Analyse dieser Beziehung ist eine komplexe Herausforderung, die Expertise aus der Flussmorphologie genauso erfordert wie historische Kenntnisse. Ein entsprechend interdisziplinäres Team hat nun in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF die Umweltgeschichte der Wiener Donau über vier Jahrhunderte erforscht – und dabei erstmals einen Fluss als „sozio-naturalen Schauplatz“ untersucht.
Flusseinfluss
Tatsächlich wurde im Rahmen des Projekts ENVIEDAN die erste integrative Umweltgeschichte der Wiener Donau ab dem Jahr 1500 erstellt. Grundlegend für die Arbeit war ein völlig neuer Ansatz, wie die Leiterin des Projekts Prof. Verena Winiwarter, Dekanin der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt erläutert: „Die Wiener Donau ist für uns ein sozio-naturaler Schauplatz. Der Fluss und die Menschen in seiner Umgebung sind sozio-naturale Hybride.“ Diese gekoppelte Betrachtungsweise erlaubt, Ursachen und Wirkungen des Entwicklungsprozesses der Wiener Donau nachzuvollziehen.
Das geht nicht ohne Detailarbeit in Archiven und naturwissenschaftliche Modelle. Topografische Quellen wurden ebenso ausgewertet wie fluviale Muster und Dynamiken, die anhand historischer Karten, Pläne und Akten mit einem Geografischen Informationssystem (kurz GIS) vom aktuellen Zustand rückschreitend bis 1529 rekonstruiert wurden. Dabei wurde die militärische Bedeutung des Flusses seit 1529 ebenso erforscht wie die schrittweise Ausbreitung des Stadtkörpers in die Flusslandschaft und die Rolle der Donau für die Ver- und Entsorgung Wiens. Damit gelang es dem Team, die treibenden Kräfte zu identifizieren, die den Flussverlauf so stark transformierten. Dazu Prof. Winiwarter: „Bedrohungen durch Überflutungen sowie die Nutzung des Flusses als Transportweg und zur Abwasserentsorgung waren über den gesamten Untersuchungszeitraum einflussreich. Im Kontrast dazu stehen die Gewinnung von Siedlungsraum und die Nutzung des Flusses zum militärischen Schutz der Stadt – diese wirkten nur zu bestimmten Zeiten.“
Ergebnisflut
Die reichhaltigen Ergebnisse des Projekts führten zu mehreren Publikationen. Eine ganz besondere Leistung ist das kürzlich erschienene Sonderheft des International Journal of Water History. In diesem wurden gleich sechs Artikel veröffentlicht. Die dort präsentierten Ergebnisse zeigen unter anderem die sich wandelnde Transportfunktion des Flusses über die Jahrhunderte: Diente er zunächst der Versorgung mit Energieträgern, wurde in späterer Zeit die Getreideversorgung wichtiger. Transport wurde vom 16. zum 19. Jahrhundert weniger wichtig, die wachsende Stadt machte die Donau mehr und mehr zum Abwasserkanal. Herzstück der Arbeit sind die Rekonstruktionen der Flusslandschaft, die in 11 Zeitschnitten die Veränderungen von 1529 bis 2010 darstellen. Gleich zwei weitere Publikationen in dem Sonderheft befassen sich mit der – natürlich wie technisch bedingten – Verlagerung des Flusslaufs. Dass solche Grundlagenforschung für Entscheidungsträger wichtig sein kann, zeigt die Aufnahme des Projekts als eines von nur 12 europaweiten Beispielen für die Relevanz der Geisteswissenschaften in eine beim EU-Gipfel in Litauen präsentierte Broschüre von Science Europe. Die umfangreiche internationale Publikationsausbeute dieses FWF-Projekts demonstriert eindrücklich den Wert interdisziplinärer Wissenschaft, die neue Zusammenhänge erforschen und beschreiben kann.
Originalpublikationen im International Journal of Water History:
Gierlinger S., G. Haidvogl, S. Gingrich & F. Krausmann (2013): Feeding and cleaning the city: The role of the urban waterscape in provision and disposal in Vienna during the industrial transformation. In: Water History 5 (2), pp. 219-239.
Haidvogl G., M. Guthyne-Horvath, S. Gierlinger, S. Hohensinner & Ch. Sonnlechner (2013): Urban land for a growing city at the banks of a moving river: Vienna´s spread into the Danube island Unterer Werd from the late 17th to the beginning of the 20th century. In: Water History 5 (2), pp. 195-217.
Hohensinner S., B. Lager, Ch. Sonnlechner, G. Haidvogl, S. Gierlinger, M. Schmid, F. Krausmann & V. Winiwarter (2013): Changes in water and land: the reconstructed Viennese riverscape from 1500 to the present. In: Water History 5 (2), pp. 145-172.
Hohensinner S., Ch. Sonnlechner, M. Schmid & V. Winiwarter (2013): Two steps back, one step forward: reconstructing the dynamic Danube riverscape under human influence in Vienna. In: Water History 5 (2), pp. 121-143.
Sonnlechner Ch., S. Hohensinner & G. Haidvogl (2013): Floods, fights and a fluid river: The Viennese Danube in the sixteenth century. In: Water History 5 (2), pp. 173-194.
Winiwarter V., M. Schmid & G. Dressel (2013): Looking at half a millennium of co-existence: The Danube in Vienna as a socio-natural site. In: Water History 5 (2), pp.101-119.
Link zur Broschüre von Science Europe:
http://www.scienceeurope.org/uploads/Public%20documents%20and%20speeches/SCs%20public%20docs/SE_broch_HUM_fin_web_LR.pdf
Bild und Text ab Montag, 28. Oktober 2013, ab 10.00 Uhr MEZ verfügbar unter:
http://www.fwf.ac.at/de/public_relations/press/pv201310-de.html