Bewegung kann einen enorm positiven Effekt auf die
Gesundheit haben, wenn sie richtig dosiert und ausgeführt wird. Um
dieses Potenzial auszuschöpfen, muss Bewegung in die individuellen
Lebenswelten der Menschen einziehen. Das war eine der Kernforderungen
beim Präventionssymposium „Wie kann Bewegungsförderung gelingen?“ der
Stiftung RUFZEICHEN GESUNDHEIT! am 17. März, an dem renommierte
Experten für Sportwissenschaft und Gesundheitssport verschiedener
deutscher Universitäten sowie Vertreter des
Bundesgesundheitsministeriums und des Berliner Robert Koch-Instituts
teilnahmen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Diskussion wurden
in Form von zehn Thesen formuliert.
Das Forum in Baierbrunn bei München wurde inhaltlich konzipiert
und geleitet von Klaus Bös, dem ehemaligen Leiter des Instituts für
Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und
Petra Wagner, Direktorin des Instituts für Gesundheitssport und
Public Health an der Universität Leipzig. Bös betonte zu Beginn der
Veranstaltung, dass Bewegung als Präventionsmaßnahme durchaus
differenziert betrachtet werden müsse: „Welcher Sport ist für wen,
wie und wofür gesund?“. Dann formulierten Bös und Wagner die zentrale
Frage des Symposiums, die immer noch nicht in ausreichendem Maße
beantwortet sei: „Was können Erfolgsfaktoren sein, damit
Bewegungsförderung gelingen kann?“
Dabei schwebte über allen Diskussionen das sogenannte
Präventionsdilemma: Es hat in der Vergangenheit viele Projekte
gegeben, um Bewegungsförderung in der Gesellschaft zu verankern.
Dabei stieß die individuelle Prävention jedoch an Grenzen. Während
Menschen mit höherer Bildung häufig bereits von sich aus nach
Feierabend Sport treiben und somit wenig Bedarf an zusätzlicher
Prävention haben, erreichten die Maßnahmen oft diejenigen nicht, die
sie besonders nötig hätten, nämlich Menschen mit tendenziell
niedrigerem Sozialstatus. Somit war klar: Der Bewegungsmangel muss
bei den Lebensverhältnissen angegangen werden.
Bisher waren außerdem belastbare Zahlen rar, wie viel Bewegung in
unterschiedlichen Altersstufen überhaupt nötig ist. Klaus Pfeifer und
Alfred Rütten von der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg haben diese Frage umfassend untersucht und erstmals
nationale Empfehlungen vorgelegt (1). Dafür werteten die Forscher
Hunderte Studien aus und entwickelten für Säuglinge, Kinder,
Erwachsene sowie ältere und chronisch kranke Menschen jeweils
detaillierte Handlungsempfehlungen. (1) https://www.sport.fau.de/file
s/2016/05/Nationale-Empfehlungen-für-Bewegung-und-Bewegungsförderung-
2016.pdf
Dass diese bitter nötig sind, zeigen Zahlen des Robert
Koch-Instituts. Die Bundesbehörde befragt seit Jahren die Deutschen
nach Art und Umfang ihrer Bewegung. Obwohl immer mehr Menschen Sport
treiben, bewegen sich die meisten Deutschen nach wie vor nicht genug,
um damit ihre Gesundheit verbessern zu können. Dabei gibt es große
Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen. Personen mit hohem
Sozialstatus verrichten im Job oft sitzende oder stehende
Tätigkeiten, die sie mit Sport in ihrer Freizeit ausgleichen. Dagegen
üben Menschen mit niedrigem Sozialstatus oft körperlich schwere
Berufe aus. Insgesamt bewegen sie sich zwar oft mehr als
Büroarbeiter, aber gesund ist ihre Arbeit deswegen noch lange nicht.
Bewegung ist also nicht gleich Bewegung. Am wichtigsten aber ist
laut den Experten, dass die körperliche Aktivität in alle
Lebenswelten einzieht. Und das fängt im Kleinen an. Gesine Grande,
Rektorin der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig,
betonte, dass verhältnis- und verhaltensbezogene Ansätze sich
ergänzen müssten. Das beginne schon im Quartier: Attraktive Treppen,
breite Gehwege mit Geschäften und sichere Radwege können Anreize für
mehr Bewegung sein. Dafür sei allerdings ein Miteinander von Akteuren
aus Politik, Bildung und Gesundheitswesen essentiell – und oft auch
viel Geduld. Die zahle sich jedoch aus, denn nur so könne ein
gesundheitsförderliches Verhalten erreicht werden.
Außerdem sei es wichtig, die Menschen in die Projekte
einzubeziehen, damit langfristig Erfolge erzielt werden können.
Grande stellte in diesem Zusammenhang das Projekt „Grünau bewegt
sich“ vor. In dem Leipziger Plattenbauviertel wurden verschiedenste
Maßnahmen angestoßen, um etwa dem hohen Anteil adipöser Kinder und
Jugendlicher zu begegnen. Das Projekt umfasst Ernährungstage oder die
Aktion „Bewegt zur Schule“, bei der Kinder ihren Schulweg neu
entdecken. Zudem sei die Maßnahme eine der ersten in Deutschland, die
nach wissenschaftlichen Standards ausgewertet werden.
Genau an dieser wissenschaftlichen Evidenz fehle es noch den Neuen
Medien, etwa Smartphone-Apps aus dem Fitnessbereich. Bislang ließen
die Programme oft die theoretische Fundierung vermissen und auch der
Datenschutz sei häufig mangelhaft. Trotzdem stellen sie die
vielleicht größte Chance dar, auch bisher schwer erreichbare
Zielgruppen vom Nutzen der Bewegung zu überzeugen.
Mit diesem positiven Ausblick endete das Expertenforum. Die
Wissenschaftler formulierten aus den wichtigsten Punkten der
ambitionierten Diskussion die zehn Baierbrunner Thesen zur
Bewegungsförderung. Sie sollen in den nächsten Jahren dabei helfen,
endlich mehr Bewegung ins Leben aller Deutschen zu bringen.
Baierbrunner Thesen zum Präventionssymposium der Stiftung
RUFZEICHEN GESUNDHEIT! am 17. März 2017
Präambel
Die Bevölkerung in Deutschland ist auch heute noch weit davon
entfernt, gesundheitsfördernde Bewegung in ausreichendem Maße zu
betreiben. Es ist an der Zeit, mit veränderten und vor allem
nachhaltigeren Strategien mehr Bewegung in die Lebenswelten der
Menschen zu bringen und Inaktivität zu verringern. Denn: körperliche
und sportliche Aktivitäten stärken die individuelle Gesundheit und
führen zu erheblichen Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen.
1. Die Förderung von Bewegung und Sport ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe! Deshalb müssen Entscheider aus den
verschiedensten Bereichen zusammenwirken: Bildung, Politik,
Versicherungen, Vereine und Organisationen, Wirtschaft und Technik,
Kommunen und andere.
2. Bewegungsförderung in der Lebenswelt verspricht den größten
Erfolg! Strategien zur Veränderung der körperlichen Aktivität müssen
in den alltäglichen Lebenswelten wie Familie, Bildungs- und
Freizeiteinrichtungen, Arbeit, und Kommune verankert werden. Nur so
erreichen wir auch die Einbindung sozial und gesundheitlich
Benachteiligter, uninteressierter oder bewegungsferner Menschen.
3. Bewegungsförderung muss differenzierte gesundheitsrelevante
Ziele haben! Bewegung kann Gesundheit umfassend stärken – physisch,
psychisch und sozial aber nicht jede Bewegung ist gleichermaßen
gesund. Eine systematisch auf Gesundheit abzielende
Bewegungsförderung dient sowohl der Minimierung gesundheitlicher
Risiken, als auch der Stärkung des gesundheitlichen Wohlbefindens.
4. Bewegungsförderung braucht Vernetzung! Bewegungsförderung
betrifft alle, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung
oder Milieu. Deshalb müssen Akteure aus Politik, Bildung, Kommunen,
Sportverbänden, Gesundheitswesen, Medien und anderen Institutionen
zusammengeführt werden, um effektiver bei der Entwicklung und
Implementierung von Bewegungsmaßnahmen zusammenzuarbeiten.
5. Bewegungsförderung muss nachhaltig sein! Es gilt, die
Bewegungsförderung mit nachhaltigen Strategien langfristig in den
Lebenswelten zu verankern und dauerhafte Strukturen zu schaffen. Das
ist zunächst ressourcen- und zeitintensiv, zahlt sich aber mittel-
und langfristig aus.
6. Verhältnis- und verhaltensbezogene Ansätze müssen sich
ergänzen! Für mehr Bewegung in der Lebenswelt müssen wir die
Bedingungen, Strukturen und Prozesse so gestalten, dass sie ein Mehr
an Bewegungsverhalten ermöglichen und nicht behindern – Beispiele
dafür sind attraktive Treppen, sichere Radwege, Fitness- und
Spielplätze sowie gesundheitsförderliche Gruppenangebote unter
Anleitung kompetenter Übungsleiter in Turn- und Sportvereinen.
7. Zielgruppenorientierung ist umzusetzen! Die Bewegungsförderung
muss Wege finden, insbesondere schwer erreichbare Personen zu
beteiligen. Stärker als bisher sollte die Bewegungsförderung deshalb
mit differenzierten Strategien auf die Ziele und die Bedürfnisse
besonderer Zielgruppen abgestimmt sein.
8. Konzepte sollten partizipativ sein und Selbstbefähigung
fördern! Es bedarf der Einbindung der jeweiligen Zielgruppe, damit
Bewegungsförderung erfolgreich und langfristig umgesetzt werden kann.
Strategien müssen differenzierte Zielgruppen ansprechen und von
diesen angenommen werden. Nur so gelingt es, Menschen zu befähigen,
eigenständig Bewegung in den Lebensalltag zu integrieren und diesen
gesundheitsförderlich zu gestalten.
9. Neue Medien und Technologien bieten Chancen und bergen Risiken!
Für eine effektive Bewegungsförderung – auch bei bisher schwer
erreichbaren Zielgruppen – bieten neue Medien und Technologien
potenziell Chancen. Allerdings bedarf es der Entwicklung von
Qualitätsstandards der angebotenen Maßnahmen und es gilt
insbesondere, den Schutz der Privatsphäre zu berücksichtigen.
10. Qualitätssicherung ist unverzichtbar! Maßnahmen zur
Bewegungsförderung müssen an wissenschaftlich abgesicherten Zielen
und Qualitätskriterien orientiert sein, bedürfen einer
kontinuierlichen Evaluation und einer permanenter Weiterentwicklung.
Unterzeichner:
Klaus Bös (Karlsruher Institut für Technologie), Walter Brehm
(Deutscher Turner Bund), Gesine Grande (Hochschule für Technik,
Wirtschaft und Kultur, Leipzig), Markolf Hanefeld (Studienzentrum
Metabolisch-Vaskuläre Medizin, TU Dresden), Hans Hauner (TU München),
Marianne Koch (München), Cynthia Milz (Bundesvereinigung Deutscher
Apothekerverbände), Klaus Pfeifer (Universität Nürnberg-Erlangen),
Alfred Rütten (Universität Nürnberg-Erlangen), Petra Wagner
(Universität Leipzig)
Pressekontakt:
Stiftung RUFZEICHEN GESUNDHEIT!
Wolfratshauser Straße 9
82065 Baierbrunn
Tel: 0 89 / 30 76 80 23
Fax: 0 89 / 30 76 80 24
E-Mail: info@stiftung-rufzeichen-gesundheit.de
Original-Content von: Stiftung RUFZEICHEN GESUNDHEIT!, übermittelt durch news aktuell