Das Guttenberg-Syndrom

Schon in der Schule werden Referate per copy and paste verfasst. Später, an der Uni, gilt als Held, wer seine Bachelorarbeit in zwei Wochen fertig hat. In manchem Studentenforum wird gar diskutiert, ob das nicht auch an einem Wochenende machbar ist. Wer sich in diesem Umfeld ernsthaft damit abmüht, sein Thema gedanklich zu durchdringen und tatsächlich jedes Wort selbst schreibt, fühlt sich gelegentlich wie ein unzeitgemäßer Narr. Nicht nur in prestigeträchtigen Fächern wie Betriebswirtschaft oder Rechtswissenschaften outet man sich mit solch hohen Ansprüchen schon fast als karriereuntüchtig.

Als Wissenschaftscoach des Unicoaching-Berlin kann ich gern mal aus dem Nähkästchen plaudern.

Da gab es z.B. die Studentin, die bei der mündlichen Verteidigung ihre eigene Arbeit nicht kannte. Von ihren Prüfern in die Ecke gedrängt, gab sie zu, ihre Diplomarbeit nicht selbst geschrieben zu haben. Mit dem Argument, das Ghostwriting habe sie immerhin 3.000 Euro gekostet, versuchte sie noch ein „ausreichend“ für sich herauszuhandeln. Ein Student meldete sich kurz vor dem Abgabetermin bei mir, um seine Bachelorarbeit noch schnell lektorieren zu lassen. Er hatte seine gesamte Familie damit beschäftigt, Texte im Internet zu suchen, die irgendwie zu seinem Thema passen könnten und dann alles schön kunterbunt zusammengewürfelt. Als ich ihm sagte, dass er mit einer einfachen sprachlichen Überarbeitung nicht durchkommen würde, meinte er, ich wollte ihm lediglich Geld aus der Tasche ziehen. Gelegentlich werde ich auch nach Ghostwriting gefragt. Natürlich warne ich in solchen Fällen immer vor den Konsequenzen, die sich ja nicht nur auf die Aberkennung des Titels beschränken und strafrechtliche Folgen beinhalten können. Man muss auch zeitlebens mit der Hypothek leben, eben gerade jene Fähigkeiten nicht erworben zu haben, die später von einem Arbeitgeber abgefragt werden. Werden meine Warnungen dann immer noch in den Wind geschlagen, bleibt mir nicht mehr als der Hinweis, dass ein „ordentliches“ Ghostwriting kaum unter 100 Euro pro Seite zu haben sein dürfte. Auf meine Warnungen vor Billigangeboten, weil dabei nur vorhandene Texte zusammengeschnitten werden, ernte ich regelmäßig Unglauben.

Unter dem Druck reiner Produktionsaspekte scheint völlig in Vergessenheit zu geraten, dass wissenschaftliches Arbeiten ein zeitaufwendiger Denk- und Reflexionsprozess ist. Angesichts dieser allgemeinen Abwertung wissenschaftlicher Leistung frage ich mich, ob Herr zu Guttenberg nicht demselben Irrtum erlag und womöglich über einen schlecht bezahlten Ghostwriter gestolpert ist.

Dabei geht es auch profitabler für den Geist und zugleich günstiger fürs Konto: Meine Arbeit besteht darin, Studenten und Doktoranden zu beraten. Ich vermittle wissenschaftliche Arbeitstechniken und -strategien, steige auch inhaltlich in Themen ein, diskutiere und berate fachlich. Ich lektoriere Texte nicht nur sprachlich, sondern gebe auch konkrete Überarbeitungshinweise.

Bei all dem habe ich es immer wieder mit einer Mischung aus Angst, wahnwitzigen Leistungsansprüchen und komplett unrealistischen Vorstellungen von wissenschaftlicher Arbeit zu tun. Mit minimalem Einsatz meinen viele, maximalen akademischen Gewinn erwarten zu können. Neben der wissenschaftlichen Betreuung bin ich also oft auch damit beschäftigt, beschädigte Selbstbilder zu flicken, Ängste vor dem abzubauen und zugleich Köpfe zu waschen.

Ganz ehrlich: Ich hoffe, dass Herr zu Guttenberg auch sein Amt verliert. Ich wünsche mir dies im Interesse all der Studenten, die ich manchmal mehr betreuen muss, als sie zu beraten. Ich wäre gern in der Lage, auf ein Exempel zu verweisen, dass sie von ihren unrealistischen und letztlich selbstschädigenden Vorstellungen heilt.

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