„So wie es ist, kann es nicht bleiben.“ Das ist der Tenor einer gemeinsamen Erklärung von acht Verbänden, die sich für Verbesserungen bei der Versorgung der Bevölkerung mit Cannabisarzneimitteln einsetzen.
Die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene wird von der deutschen Bundesregierung auf den Weg gebracht. Mit einem Eckpunktepapier der Bundesregierung wird im 4. Quartal 2022 und mit einem Gesetzentwurf Ende 2022 oder Anfang 2023 gerechnet. Die Verbände fordern, dass im Rahmen der geplanten Legalisierung von Cannabis als Genussmittel auch an die Bürger:innen gedacht wird, die Produkte aus der Hanfpflanze am dringendsten benötigen: Patient:innen, die von einer cannabisbasierten Therapie profitieren. Die gesundheitlichen Verbesserungen sind zum Teil erheblich. Viele werden wieder arbeitsfähig und haben eine deutlich gesteigerte Lebensqualität. Zwar dürfen Ärzt:innen seit 2017 Cannabisarzneimittel verschreiben, vom angestrebten Ziel des Gesetzgebers einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit solchen Medikamenten ist Deutschland allerdings noch weit entfernt.
„Viele Patient:innen, die Cannabis aus medizinischen Gründen benötigen, sind gegenwärtig weiterhin in die Illegalität gedrängt oder werden sogar strafrechtlich verfolgt,“ heißt es in der Erklärung. Der Grund liege insbesondere in der hohen Ablehnungsquote von Kostenübernahmeanträgen durch die Krankenkassen und damit verbunden das Ausweichen auf den illegalen Markt. Eine weitere daraus resultierende Notlösung ist die Eigenfinanzierung von ärztlicher Behandlung und Arzneimitteln. „Viele Patient:innen können sich diese Behandlungskosten und die Medikamente aus der Apotheke aus finanziellen Gründen nicht leisten, sodass eine soziale Schieflage entstanden ist“, lautet die Analyse in dem gemeinsamen Verbändepapier.
„Patient:innen mit einer ärztlich bescheinigten Notwendigkeit für eine cannabisbasierte Therapie sollten nicht länger Gefahr laufen, strafrechtlich verfolgt zu werden“, fordert Dr. med. Franjo Grotenhermen, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM). „Die anhaltende Kriminalisierung vieler unbescholtener Bürger:innen, die sich mit Cannabis selbst therapieren müssen, ist einem modernen und reichen Land wie Deutschland unwürdig. Auch bei der Behandlung mit Cannabis-Medikamenten muss die Therapiehoheit da liegen, wo sie hingehört, bei den behandelnden Ärzt:innen.“
Nach fünf Jahren Erfahrung mit dem „Cannabis als Medizin“-Gesetz sei eine Novellierung dringend geboten. „Derzeit werden noch immer fast 40% aller Anträge auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen abgelehnt, was zu einer hohen Quote von Privatzahler:innen in unseren Apotheken führte“, sagt Dr. Christiane Neubaur, Geschäftsführerin des Verbandes der Cannabis versorgenden Apotheken e.V. (VCA). Gero Kohlhaas vom Patientenverband Selbsthilfenetzwerk Cannabis-Medizin (SCM) betont: „Zu wenige Ärzt:innen verschreiben diese hochwirksame Therapie aufgrund der bürokratischen Hürden. Der Genehmigungsvorbehalt muss abgeschafft werden, um Patient:innen unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten Zugang zu einer notwendigen Therapie zu gewährleisten. Gleichzeitig müssen verschreibende Ärzt:innen vor einem Regress geschützt werden.“
Der Bedarf von Cannabis als Genussmittel wird konservativ auf etwa 400 Tonnen pro Jahr geschätzt. Maximilian Schmitt, Vorsitzender des Vorstands des Bundesverbandes pharmazeutische Cannabinoidunternehmen e.V. (BPC), fordert deshalb: „Der legale Markt darf auf keinen Fall die Versorgung mit Produkten für den medizinischen Bereich gefährden. Um die therapeutischen Bedürfnisse von Patient:innen sicherzustellen, sollte deshalb der Bedarf an Medizinalcannabis vorrangig gedeckt werden.“
Die Aufsichtsbehörden der Bundesländer behandeln medizinisches Cannabis darüber hinaus sehr uneinheitlich. „Eine zuverlässige Versorgung von Patient:innen mit qualitativ hochwertigen und geprüften Produkten braucht dringend bundeseinheitliche Rahmenbedingungen“, sagt Dirk Heitepriem, Vizepräsident des Branchenverbandes Cannabiswirtschaft e.V. (BvCW). „Egal in welchem Bundesland, Ärzt:innen und Patient:innen müssen die Sicherheit haben, immer die gleiche Qualität zu erhalten“.
In der gemeinsamen Erklärung wird darüber hinaus die Bedeutung von klinischer Forschung und der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses betont: „Um bestehende Wissenslücken zu schließen, muss die klinische Forschung im Bereich Medizinalcannabis dringend durch bessere Rahmenbedingungen und Forschungsgelder gefördert werden. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Bedeutung des Endocannabinoidsystems für den gesunden Organismus und die Pathogenese und Behandlung von Erkrankungen müssen außerdem als fester Bestandteil in die medizinische und pharmazeutische Lehre aufgenommen werden.“
Die Forderungen der Verbände im Überblick:
– Genehmigungsvorbehalt abschaffen und Kostenerstattung für Patient:innen sichern
– Therapiehoheit für Ärzt:innen wiederherstellen
– Soziale Schieflage bei der Versorgung mit Medizinalcannabis überwinden
– Bestehenden Rechtsrahmen für medizinisches Cannabis bundesweit einheitlich gestalten
– Qualität und Sicherheit für Medizinalcannabis sicherstellen
– Versorgung von Patient:innen mit qualitätsgesicherten cannabisbasierten Arzneimitteln vorrangig sichern
– Klinische Forschung durch bessere Rahmenbedingungen sowie finanzielle Unterstützung fördern
– Grundlagen des Endocannabinoidsystems und des therapeutischen Potenzials von Cannabinoiden in der medizinischen und pharmazeutischen Lehre verankern
Pressekontakt:
Wissenschaft, Ärzteschaft und Patient:innen:
Dr. med. Franjo Grotenhermen, Prof. Dr. med. Kirsten Müller-Vahl
Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V.
Telefon: 05233 953 72 46
E-Mail: info@arbeitsgemeinschaft-cannabis-medizin.de
Wirtschaft und Apothekerschaft:
Dirk Heitepriem
Vizepräsident Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V.
Telefon: 0170 64 00 306
E-Mail: dh@cannabiswirtschaft.de
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