Nicht immer ging es den Griechen ökonomisch so schlecht wie heute.
Ob man aber für die Beobachtung eines riesigen florierende
griechischen Gewerbegebiets so weit in die Vergangenheit blicken
muss, wie die Archäologen der Universität Bonn? Die haben jetzt bei
Ausgrabungen in Sizilien ein sehr großes Gewerbegebiet aus
griechischer Zeit entdeckt.
Bonner Altertumswissenschaftler unter der Leitung von Professor
Dr. Martin Bentz haben während zwei Grabungskampagnen im September
2010 und im Herbst 2011 damit begonnen, in der griechischen
Koloniestadt Selinunt auf Sizilien (7. bis 3. Jahrhundert vor
Christus) eines der größten Handwerkerviertel der griechischen Antike
auszugraben. Das Projekt findet in Zusammenarbeit mit den
italienischen Behörden und dem Deutschen Archäologischen Institut
statt. Ziel des Projekts ist die Erforschung eines bislang wenig
beachteten Lebensbereiches der antiken Stadt.
„In welchem Maß es bei den alten Griechen schon so etwas wie
‚Gewerbegebiete‘ gab, ist eine Frage, die in Fachkreisen bis heute
diskutiert wird“, sagt der Bonner Archäologe Dr. Gabriel Zuchtriegel,
der als wissenschaftlicher Mitarbeiter zusammen mit Dr. Jon Albers am
Institut für Klassische Archäologie der Universität Bonn am Lehrstuhl
von Prof. Dr. Martin Bentz das Selinunt-Projekt koordiniert. „Die
Konzentration von bestimmten ‚Industrien‘ und Handwerkern in
speziellen Vierteln setzt nicht nur vorausschauende Planung voraus,
sie hängt auch mit einer bestimmten Vorstellung davon zusammen, wie
man eine Stadt am besten organisiert – in praktischer, aber auch in
sozialer und politischer Hinsicht. Etwa: Wer darf oder soll wo wohnen
und arbeiten?“ Die Ausgrabungen der Universität Bonn tragen jetzt
dazu bei, solche Fragen neu zu beantworten.
Riesige Öfen, gemeinsam genutzt
Es waren vor allem die Töpfereien, die in Selinunt in einem
bestimmten Stadtgebiet konzentriert wurden, nämlich am Rand der
Siedlung, direkt im Schatten der Stadtmauer. „Qualm, Gestank und Lärm
belästigten auf diese Weise nicht so sehr die anderen Bewohner“,
erklärt Dr. Zuchtriegel. „Gleichzeitig konnten Öfen und Lager von
mehreren Handwerkern gemeinsam benutzt werden.“ Die Grabungen zeigen,
dass die Töpfer sich zu Kooperativen zusammenschlossen, die riesige
Öfen von bis zu 7 Metern Durchmesser gemeinsam benutzten. Das
Handwerkerviertel von Selinunt zog sich wahrscheinlich über mehr als
600 Meter entlang der Stadtmauern und gehörte damit zu den größten,
die bislang bekannt sind.
Die Ausgrabung liegt in der Hand von Dozenten und Studierenden aus
Bonn und Rom – und sind beschwerlich. Denn die Grabungszeit liegt im
August und September, wenn die Hitze am größten ist; dafür regnet es
aber auch nur sehr wenig. „Die Arbeit stellt für alle eine
Herausforderung dar“, betont Grabungsleiter Bentz. „Das ist kein
Camping-Urlaub.“ Dafür sei es aber für die Studierenden eine große
Chance, sich archäologische Techniken „learning by doing“ anzueignen.
Überraschend war für die Archäologen der Universität Bonn, dass
sie unter den Töpferöfen des 5. Jahrhunderts v. Chr. noch ältere
Werkstattreste fanden. Diese Befunde, so die Ausgräber, sind zwar
noch nicht ganz freigelegt. Aber es deutet sich an, dass schon in der
frühen Phase der Stadt, im 6. Jh. v. Chr., Töpferwerkstätten an
derselben Stelle existierten. Das heißt, dass vermutlich schon mit
der Anlage der Stadt, die wie bei vielen Koloniegründungen auf dem
„Reißbrett“ geplant wurde, Handwerker bewusst am Rand angesiedelt
wurden.
Rekonstruktion der Vergangenheit
Die Funde aus dem Handwerkerviertel sind keine Schätze, aber
wertvoll für die Rekonstruktion der Vergangenheit sind sie trotzdem.
In der Frühphase deuten breit gefächerte Funde von Tongefäßen,
Ziegeln und Bronze, darunter auch Importe aus Athen und Sparta,
darauf hin, dass Wohn- und Arbeitsbereiche zusammen lagen. Im Lauf
des 5. Jahrhunderts werden beide Bereiche dann immer mehr getrennt.
„Wir hoffen, das in Zukunft noch besser zu verstehen“, sagt Prof.
Bentz. Bis jetzt, so der Archäologe, wissen wir noch wenig über die
sozialen Verhältnisse, die bei einer Koloniegründung herrschten.
Sicher ist nur, dass es oft Hunger und Not waren, die die Siedler
bewegten, auszuwandern und eine neue Stadt zu gründen. Warum und
unter welchen Bedingungen die einen von ihnen Töpfer wurden, die
anderen Bauern, wieder andere sogar reiche Großgrundbesitzer, die
sich auch die Teilnahme an den olympischen Spielen leisten konnten –
zu diesen Fragen können die Ausgrabungen einen Beitrag leisten.
Pressekontakt:
Dr. Gabriel Zuchtriegel / Dr. Jon Albers
Abteilung für Klassische Archäologie der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-7739
E-Mail: gabriel.zuchtriegel@uni-bonn.de