(Stuttgart/Fellbach) – Bei der Science2Start-Preisverleihung im Rahmen des BioRegio STERN Sommerempfangs 2023 wurden am vergangenen Donnerstag im Haus der Rosen in Fellbach ausgezeichnete Ideen von Wissenschaftlern und Gründern gewürdigt, die nach Meinung einer Expertenjury besonderes wirtschaftliches Potenzial haben. Den ersten Platz belegte ein Team um Prof. Wolfgang Wohlleben, Prof. Evi Stegmann und Naybel Hernández Perez von der Universität Tübingen. Ihnen gelang die biotechnologische Produktion eines biologisch abbaubaren Metallchelators, der als Zusatzstoff beispielsweise in Waschmitteln, Kosmetik und Lebensmitteln eingesetzt wird. Die bisher aus fossilen Rohstoffen synthetisierte Verbindung ist in konventionellen Kläranlagen kaum abbaubar. Den zweiten Platz belegten PD Dr. med. Justus Marquetand und Dr. med. Johannes Lang, ebenfalls aus Tübingen. Sie entwickeln „Cerebri“, eine standortunabhängige, telemedizinisch verfügbare sowie Cloud-basierte EEG-Auswertung, die auch von ungeschulten Personen innerhalb weniger Minuten erfolgreich eingesetzt werden kann. Die Jury vergab den dritten Preis an Dr. Vasileios Filippou von der Varimol TGU TTI GmbH aus Stuttgart. Sein Team entwickelt Syntheseprotokolle, die eine höhere synthetische Skalierbarkeit von sogenannten Click-Reagenzien ermöglichen, die in der Medizin für innovative Bildgebungsverfahren eingesetzt werden.
Im Rahmen des großen regionalen Branchentreffens von Unternehmern, Wissenschaftlern, Investoren und Politikern fand die Preisverleihung des 14. Science2Start Wettbewerbs statt, der wirtschaftlich aussichtsreiche Life-Sciences-Ideen von Wissenschaftlern und Gründern aus der Region auszeichnet. Die Preisgelder in Höhe von insgesamt 4.500 Euro hatten erneut Voelker & Partner Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer ausgelobt.
In seiner Keynote ermutigte Prof. Dr. Thomas Gottwald, Mitglied des Aufsichtsrats und Gründer sowie Anteilseigner der Ovesco Endoscopy AG, die Preisträger, eine Firma zu gründen; warnte sie aber gleichzeitig vor typischen Fehlern: „Manche Akademiker sehen ihre Erfindung als Ei des Kolumbus. Und verteidigen sie gegen alle, die daran was zu kritisieren haben.“ Außerdem betonte Prof. Gottwald die Bedeutung der Menschen, die für einen arbeiten: „Sie müssen bessere Leute als Sie selbst haben; den Mut müssen Sie haben. Die Kunst besteht darin, diese Leute zu führen, zu begeistern, zu motivieren – und bei sich zu behalten. Eine der wichtigsten Aussagen überhaupt: Bei dir fühlt man sich wertgeschätzt . Das ist der Schlüssel.“
Der Sommerempfang der BioRegio STERN Management GmbH wurde gemeinsam mit dem Verein zur Förderung der Biotechnologie und Medizintechnik e. V. veranstaltet.
Die Preisträger des Science2Start Wettbewerbs 2023
Platz 1: „Biotechnologische Produktion des biologisch abbaubaren Metallchelators Ethylendiamin-disuccinat ([S,S]-EDDS)“
Prof. Wolfgang Wohlleben, Prof. Evi Stegmann und Naybel Hernández Perez, Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen
Das Team um Prof. Wohlleben und Prof. Stegmann hat den Grundstein für die biotechnologische Produktion von Ethylendiamin-disuccinat ([S,S]-EDDS) gelegt, einer Alternative zu Ethylendiamin-Tetraacetat (EDTA). Der Metallchelator EDTA wird unter anderem kommerziell in großen Mengen in der Textil- und Papierindustrie, als Zusatzstoff in Kosmetika und Lebensmitteln sowie in medizinischen Produkten und in der Landwirtschaft eingesetzt. Die aus fossilen Rohstoffen synthetisierte Verbindung ist in konventionellen Kläranlagen kaum abbaubar. EDTA wird daher zunehmend zur Umweltbelastung, in einigen westlichen Ländern wurde der Einsatz für bestimmte Anwendungsgebiete bereits eingeschränkt. Der von dem Bodenbakterium Amycolatopsis japonicum produzierte Metallchelator [S,S]-EDDS besitzt vergleichbare komplexbildende Eigenschaften, ist aber im Gegensatz zu EDTA vollständig biologisch abbaubar. Die biotechnologische Herstellung von [S,S]-EDDS scheiterte bisher daran, dass seine Synthese in A. japonicum bereits durch sehr geringe Zink-Konzentrationen gehemmt wird, die als Kontamination beispielsweise in Fermentern, Glasgefäßen oder Medienbestandteilen vorliegt. Mittels „Genetic Engineering“ gelang es dem Team, eine A. japonicum Mutante zu generieren, die auch in Gegenwart von Zink große Mengen an [S,S]-EDDS produzieren kann. Diese Mutante und die Etablierung eines einfachen Aufreinigungsverfahrens bilden nun die Grundlage für die Etablierung einer industriellen [S,S]-EDDS-Produktion.
Platz 2: „Cerebri – EEG for everyone, everywhere“
PD Dr. med. Justus Marquetand und Dr. med. Johannes Lang, Tübingen
Die Elektroencephalographie (EEG) ist eine essenzielle Untersuchung in der Medizin und kommt beispielsweise zur Differentialdiagnostik im Falle von unklaren Bewusstseinsstörungen, Epilepsie oder Demenzen zum Einsatz. Etwa sechs Millionen Untersuchungen werden in deutschen Krankenhäusern pro Jahr aufgezeichnet, der Bedarf ist mindestens doppelt so hoch. Aber die EEG und ihre teils komplexe Auswertung ist nicht flächendeckend verfügbar, was durch den Personalmangel und die stetig alternde Bevölkerung verschärft wird. Zudem ist die Rate an Fehlinterpretationen hoch. Das Team von PD Dr. Marquetand und Dr. Lang entwickelt eine standortunabhängige, telemedizinisch verfügbare sowie Cloud-basierte EEG-Auswertung, die auch von ungeschulten Personen innerhalb weniger Minuten erfolgreich eingesetzt werden kann. Die Cerebri-EEG-Untersuchungen können für jeden (Patienten, Hausärzte etc.) und überall (Praxis, zu Hause etc.) zugänglich gemacht werden. Neben einer verbesserten Verfügbarkeit, insbesondere für strukturschwache Regionen, werden die Behandlungskosten für Praxis oder Krankenhaus drastisch gesenkt. Cerebri bietet einen neuartigen digitalen Ansatz, um nahezu „jedermann“ EEG-Diagnostik innerhalb kürzester Zeit bei gleichzeitiger Ressourcen- und Kosteneinsparung zu ermöglichen.
Platz 3: „Varimol“
Dr. Vasileios Filippou, Varimol TGU TTI GmbH, Stuttgart
„Click-Chemie“ und „Bioorthogonale Chemie“ wurden über ein Fachpublikum hinaus bekannt, als die Entwickler dieser Technologien 2022 den Chemie-Nobelpreis erhielten. Ein Großteil der heutigen Anwendungen dieser Technologie hat mit Bildgebungsverfahren zu tun. So können beispielsweise Proteine oder DNA-Stränge in ihrer nativen Umgebung mit Farbstoffen markiert werden, wodurch sie sich mikroskopisch verfolgen und studieren lassen. Ein Nachteil dieser Technologien ist jedoch, dass die notwendigen „Zutaten“ nicht einfach erhältlich sind, weil jede Anwendung ihre individuellen Reagenzien benötigt, die zuerst entwickelt und dann synthetisch skaliert werden müssen, um sie kommerziell verfügbar zu machen. Die Synthesen und die Aufreinigungsschritte solcher Reagenzien sind, auch für Fachleute, nicht einfach durchzuführen. Darum hat das Varimol-Team von Dr. Filippou Syntheseprotokolle entwickelt, die eine höhere synthetische Skalierbarkeit von Click-Reagenzien ermöglichen. Außerdem haben sie neue Reagenzien entwickelt, von denen sie vermuten, dass sie bisher präzedenzlose Anwendungsfelder neu erschließen werden.