In Zeiten von Extremwetterereignissen, Dürren, Artensterben und globalen Krisen stehen wir vor der drängenden Notwendigkeit, die Landwirtschaft auf sämtlichen Ebenen zu transformieren. Ein nachhaltiger Umbau ist unumgänglich, um mehr Resilienz zu schaffen. Resilienz bedeutet Stabilität auch bei krisenhaften Ereignissen.
Diese Denkrichtung erlangte nach der Veröffentlichung von Nassim Nicholas Talebs Werk im Jahr 2007 weltweite Popularität. In seinem Buch „The Black Swan: The Impact of the Highly Improbable“ betont er die Bedeutung rationaler, evidenzbasierter Forschung und Entscheidungsfindung, insbesondere im Kontext von extremen Ereignissen. Die Verfolgung ökonomischer Effektivität führte zuvor zu einer übermäßigen Globalisierung, dem Verzicht auf Lagerhaltung und dem Vertrauen in ökonomische sowie politische Stabilität, was wiederum zu Instabilitäten und mangelnder Krisenresilienz führte. Ereignisse wie die Wirtschaftskrise 2009, die Pandemie und jüngste kriegerische Auseinandersetzungen verdeutlichen die essenzielle Bedeutung von Versorgungsstabilität. Ein Blick auf ökologische, ökonomische und soziokulturelle Herausforderungen zeigt, wie Forschungsteams mit landwirtschaftlichen Betrieben global gemeinsam Lösungen entwickeln und Veränderungen durchsetzen.
Ökologische Ebene: Diversifizierung als Schlüssel zur Resilienz
Auf der Produktionsebene spielt Diversifizierung eine entscheidende Rolle. Landwirtinnen und Landwirte müssen über den Tellerrand traditioneller Anbaupraktiken hinausblicken. Statt auf wenige Fruchtarten zu setzen, sollten sie in zwei bis drei Fruchtfolgen 10 bis 15 unterschiedliche Arten kultivieren. Diese Vielfalt reduziert das Risiko von Ertragsausfällen nach Extremwetterereignissen erheblich. Forschungsinstitute arbeiten daran, die optimale Auswahl und Anbautechniken für diese diversifizierten Systeme zu identifizieren.
Forschung im Fokus: Antworten auf ökologische Fragen
Die Wissenschaft steht vor vielen offenen Fragen: Welche Fruchtarten sind für welchen Standort am besten geeignet? Welche Anbaumethoden und Erntetechniken versprechen den größten Erfolg? Können innovative Technologien wie Sensorik und Robotik die Diversifizierung unterstützen? Die Beantwortung dieser Fragen ist entscheidend für die erfolgreiche Implementierung nachhaltiger Praktiken.
Nachhaltige Anbausysteme: Mehr als nur Diversifizierung
Die Forschung konzentriert sich nicht nur auf die Auswahl von Pflanzen, sondern auch auf die ganzheitliche Verbesserung der Anbausysteme. Die Wasserhaltefähigkeit und Fruchtbarkeit der Böden stehen dabei im Mittelpunkt. Maßnahmen wie Mulchen, die Erweiterung von Fruchtfolgen und die Entwicklung von Sorten, die resistent sind gegen Hitze, Dürre und Krankheit, sind essenziell. Die Ausweitung von Fruchtfolgen verbessert die Bodengesundheit und ermöglicht eine Reduzierung von Dünger und Pflanzenschutzmitteln.
Ökonomische Resilienz: Eine ausgewogene Mischung
Auf der ökonomischen Ebene ist eine ausgewogene Mischung von regionalen und globalen Lieferketten entscheidend. Die Versorgung mit regionalen Produkten sollte gestärkt werden, um unabhängiger von globalen Markt- und Preisschwankungen zu sein. Wissenschaftliche Modellrechnungen helfen dabei, stabile Versorgungs- und Wertschöpfungsnetze aufzubauen. Zudem sind geeignete Versicherungsprodukte gegen Ertragsausfälle aufgrund von Naturkatastrophen essentiell, um die Betriebe für Extremereignisse zu wappnen.
Verantwortungsvoller Konsum für eine starke Landwirtschaft
Die Resilienz des Agrar- und Ernährungssystems liegt auch in den Händen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ein bewusster Ernährungsstil, insbesondere die Reduzierung des Fleischkonsums, trägt dazu bei, den Druck auf landwirtschaftliche Flächen zu verringern. Dies bedeutet eine geringere Nutzung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln – ein Gewinn für die Umwelt und die Erhaltung natürlicher Lebensräume. Der Schlüssel liegt im wachsenden Bewusstsein der Verbraucher, denn eine erfolgreiche Veränderung zu mehr Resilienz erfordert nicht nur richtige politische Rahmenbedingungen, sondern auch die aktive Teilnahme der Verbraucher am Wandel.
Von der Haupt- zur Nebensache – eine Analogie zur Industrieentwicklung
Die geschichtliche Evolution der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert kann, in Analogie zur industriellen Entwicklung, in faszinierende Phasen unterteilt werden. Doch anders als in der Industrie unterscheiden sich die Merkmale und Zeitspannen deutlich.
Vor den 1950er-Jahren war die Landwirtschaft Hauptakteurin der Volkswirtschaft, bevor mobile Zug- und Antriebsmittel ihre transformative Reifezeit durchliefen. In den darauffolgenden drei Jahrzehnten revolutionierten mobile und stationäre Kraftantriebe die landwirtschaftlichen Produktionsprozesse. Die beinahe grenzenlosen Möglichkeiten steigerten die technologische Leistung erheblich, was zu einer drastischen Erhöhung der Arbeitsproduktivität führte. Doch dieser Fortschritt hatte seinen Preis: Die Freisetzung von Arbeitskräften reduzierte den Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten gegen Ende des 20. Jahrhunderts auf lediglich 2 Prozent.
Die Anwendung der Mikroelektronik begann zunächst in stationären Anlagen und setzte sich mit den ersten Bordcomputern ab den 1980er-Jahren auch im mobilen Bereich fort. Um die Jahrtausendwende wurde die computergestützte Steuerung von Prozessabläufen in der Landwirtschaft zur Standardlösung – eine Entwicklung, die durch Begriffe wie „precision farming“ und „precision livestock farming“ schließlich als „precision agriculture“ zusammengefasst wurde.
Die Landwirtschaft steht nun an einem Wendepunkt, vergleichbar mit den Aktivitäten der Industrie im Rahmen von Industrie 4.0. Hierbei geht es um die zielgerichtete Umgestaltung der industriellen Produktion. In der Landwirtschaft werden ähnliche Überlegungen angestellt. Allerdings verlaufen landwirtschaftliche Produktionsprozesse hochgradig in der freien Natur auf ortsfesten Pflanzenstandorten, mit räumlich und zeitlich getrennten Prozessstufen, biologischem Rohmaterial und wechselnden Boden- und Wetterbedingungen.
Trotz dieser Unterschiede hat die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktionsprozesse ähnliche Phasen und Charakteristiken wie in der Industrie durchlaufen. Die Herausforderung liegt inzwischen darin, Defekte der vorangegangenen Phase zu überwinden und innovative Ansätze für eine nachhaltige, präzise Landwirtschaft zu entwickeln, die den einzigartigen Bedingungen der Natur gerecht wird.
Gemeinsam in eine resiliente Zukunft
Der Weg zu mehr Resilienz zeichnet sich klar ab. Durch eine enge Zusammenarbeit von Landwirten und Forschungsteams können innovative Lösungen entwickelt werden. Diversifizierung, nachhaltige Anbausysteme und eine ausgewogene ökonomische Strategie bilden die Grundpfeiler für eine Landwirtschaft, die nicht nur den heutigen Herausforderungen gewachsen ist, sondern auch für zukünftige Krisen gewappnet sein wird. Die Zeit für Veränderung ist jetzt – für eine Landwirtschaft, die die Grundlage für eine nachhaltige und resiliente Zukunft legt.
Autor: Jörg Trübl, Umweltingenieur und CEO von MABEWO