Weltweit arbeiten Medizinstatistiker daran, in
den Unterlagen von klinischen Studien Scheinargumente von soliden
Beweisen zu trennen. Ihre Ergebnisse haben dabei eine Schummelkultur
großen Stils zutage gefördert. So müssten 50 bis 90 Prozent der heute
als erprobt geltenden ärztlichen Interventionen mit großen
Fragezeichen versehen werden. „Nimmt man all die Indizien zusammen,
die wir heute haben, um das Ausmaß der Verfälschung abzuschätzen,
dann liegt der Schluss nahe, dass die Ärzte ihre Patienten im
Blindflug behandeln“, sagt Gerd Antes, Professor für Biometrie in
Freiburg in der Januar-Ausgabe des Magazins Technology Review.
Die erste umfassende Übersicht mit Fallbeispielen für die
verbreitete Praxis, unangenehme Studiendaten selektiv zu
verschweigen, haben Arzneimittelprüfer des Kölner Institutes für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen im Oktober 2010
veröffentlicht. Betroffen ist dabei nahezu jedes Fachgebiet: Die
Experten listen 50 Behandlungen von 40 verschiedenen Krankheiten auf,
unter anderem Medikamente gegen Depressionen, Psychosen, Schmerzen,
Alzheimer, Migräne, Herzrhythmusstörungen, Inkontinenz, Diabetes,
Arthritis, HIV und Krebs. „Vergleicht man die unpublizierten mit den
publizierten Daten, so zeigen sich große Ergebnisunterschiede. Die
publizierten Studien neigen dazu, die Wirksamkeit zu über- und die
Nebenwirkungen zu unterschätzen“, resümieren die Prüfer in ihrem
Bericht.
Ihre Prüfmethoden stammen aus der sogenannten evidenzbasierten
Medizin: Dabei werden medizinische Veröffentlichungen mittels
statistischer Methoden auf Herz und Nieren getestet, um zu ermitteln,
welche Medikamente und Therapien wirklich helfen – weil deren Wirkung
durch aussagekräftige und belastbare Daten untermauert werden kann.
Doch eine saubere Bewertung der Wirksamkeit ist aufgrund der
Datenlage oft gar nicht möglich, weil die Hersteller häufig klinische
Tests mit ungünstigem Ergebnis zurückhalten oder durch statistische
Tricks die Medikamente besser dastehen lassen, als sie tatsächlich
sind. Wie Patienten einige dieser Tricks durch Fragen entlarven
können, zeigt Gerd Gigerenzer, Direktor des Berliner
Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, in einem Leitfaden, den
Technology Review in Auszügen vorstellt.
Titelbild Technology Review
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