Neuer Schwung für Wasserstoff
Das Ziel ist ehrgeizig: Bis 2030 will die EU, so der Vorschlag „Fit for 55“, die CO2-Emissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 senken. Davon ist auch der Straßengüterverkehr betroffen. Allein mit batterieelektrischen Fahrzeugen wird dieses Ziel jedoch nicht erreichbar sein, waren sich Experten auf dem 43. Internationalen Wiener Motorensymposium einig. Damit steigen auch in der EU die Chancen für die Wasserstoff-Mobilität.
In vielen Bereichen der Industrie, etwa in Raffinerien oder chemischen Betrieben, gilt grüner Wasserstoff von vornherein als unabdingbar für die Energiewende, so Ryan Hassoun vom deutschen Beratungsunternehmen P3 Automotive GmbH in seinem Vortrag. Grüner Wasserstoff wird via Elektrolyse mit Ökostrom und Wasser erzeugt und soll im Zuge des Energiewandels den in der Industrie bisher weltweit dominierenden „grauen“ Wasserstoff, der aus Erdgas hergestellt wird, ersetzen.
Dank der weltweit fallenden Preise für Ökostrom lässt sich grüner Wasserstoff immer billiger erzeugen. Das macht ihn laut Hassoun auch für die Mobilität interessant. Dort könnte er dank Ökostrompreisen von ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde um weniger als fünf Euro pro Kilogramm an der Zapfsäule angeboten werden, womit laut Experten ein Wasserstoffbetrieb wirtschaftlich wird. Derzeit kostet ein Kilogramm Wasserstoff in Österreich rund zehn Euro. Ein Pkw verbraucht pro 100 Kilometer rund ein Kilogramm, ein 40-Tonnen-Lkw rund acht Kilogramm Wasserstoff.
Und die Zeit drängt. Denn auch für Lkw gibt es seit 2019 CO2-Vorgaben in der EU. Um das Ziel von 2030 zu erreichen, müssen etwa große Lkw-Hersteller emissionsfreie Lkw auch für den Langstreckenschwerverkehr in fünfstelliger Zahl auf der Straße haben, erklärte Christian Mohrdieck, Chief Commercial Officer der Firma Cellcentric GmbH & Co. KG auf dem Symposium. Sonst drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Cellcentric und die beiden Anteilseigner Daimler Truck AG und Volvo Group AB planen, in Weilheim, Deutschland, eine neue Fabrik für Brennstoffzellensysteme aufzubauen. Die Produktion soll 2025 starten.
Für den Fernverkehr gilt der Wasserstoffantrieb mit Brennstoffzellen als deutlich besser geeignet als die batterieelektrische Alternative. Er ist ebenfalls emissionsfrei, da an Bord in den Brennstoffzellen aus Wasserstoff Strom für den E-Motor erzeugt wird. Im Vergleich zum batterieelektrischen Antrieb erlaubt er deutlich höhere Reichweiten, kürzere Tankzeiten und quasi die gewohnte Transportkapazität. Im Langstreckenschwerverkehr sind diese Vorteile wichtiger als der Nachteil des geringeren Wirkungsgrades des Brennstoffzellenantriebs.
Wertschöpfung im Land behalten
Der Wasserstoffantrieb mit Brennstoffzellen bietet laut Mohrdieck auch die Chance, im automobilen Transformationsprozess „die Wertschöpfung im Land und in der EU zu behalten“ – anders als beim batterieelektrischen Antrieb. Beim Brennstoffzellenantrieb können sehr viele Komponenten von Verbrennungsmotoren mit geringfügigen Veränderungen weiter verwendet werden – und damit bleiben auch die Kompetenz der europäischen Autoindustrie sowie viele Arbeitsplätze erhalten.
Gegenüber Lithium-Batterien haben Brennstoffzellen laut Mohrdieck außerdem den Vorteil der sehr guten Wiederverwertbarkeit von rund 98 Prozent der eingesetzten Materialien. Brennstoffzellen enthalten keine heiklen Rohstoffe wie etwa Kobalt und stellen in der Produktion keine so hohen Qualitätsanforderungen wie Batteriezellen.
Es gibt aber noch einige Herausforderungen. So leiden Brennstoffzellen in Lkw unter sehr langen Stehzeiten, einem Start bei tiefen Minusgraden sowie auf starken Steigungen, wo ihre Kühlung besonders gefordert ist. Entschärfen lassen sich die Probleme durch eine zusätzliche Lithium-Batterie, die in den kritischen Situationen die Brennstoffzelle „phlegmatisiert“ und somit ihre Lebensdauer verlängert. Im Nutzfahrzeugbereich wird eine Lebensdauer von meist 25.000 Stunden, in China sogar 30.000 Stunden gefordert. Das entspricht bei 24 Stunden Betrieb laut Thomas Wintrich von der Robert Bosch GmbH einer durchgehenden Fahrleistung von rund 3,5 Jahren.
Insgesamt muss aber auch die Produktion der Brennstoffzellen auf Großserienniveau gebracht sowie die weltweite Logistikkette optimiert werden. Hier sieht der Zulieferkonzern Bosch dank seiner umfassenden Expertise große Chancen für sich, wie Wintrich in Wien ausführte. Bosch entschloss sich 2018, Brennstoffzellen für Nutzfahrzeuge zu entwickeln und ist bereits in Testflotten in Europa, den USA und China vertreten. Bosch ging 2020 ein Joint Venture mit Qingling in China ein. 2023 soll dort eine gemeinsame Fabrik eröffnet werden. In den USA kooperiert Bosch mit dem Lkw-Erzeuger Nikola. 2025 sollen 43.000 Brennstoffzellen-Schwerfahrzeuge mit Bosch-Systemen unterwegs sein.
Entscheidend für den Durchbruch der Brennstoffzellen-Lkw hält Wintrich wie viele seiner Kollegen die Gesamtkosten für den Frächter. Der Preis des Fahrzeugs sei im Nutzfahrzeugbereich nicht entscheidend. Die Daimler Truck AG hat Kunden mit mehr als 100.000 Lkw, die pro Tag mehr als zehn Millionen Meilen zurücklegen. Da rechnen sich bereits Kostenvorteile von einem Cent pro Kilometer, wie Andreas Gorbach, Mitglied des Vorstands der Daimler Truck AG, auf dem Symposium zeigte. Bei der Daimler Truck AG rechnet man damit, dass ab 2027 Brennstoffzellen-Lkw bei den Gesamtkosten mit jenen von Diesel-Lkw gleichziehen. Immer mehr Fahrzeughersteller liefern Kunden nicht nur Fahrzeuge, sondern auch gleich die entsprechenden Energiesysteme.
Was die öffentliche Tank- und Ladeinfrastruktur für Lkw betrifft, sind Wasserstoffanbieter wie Stromanbieter gefordert. Sie muss erst errichtet werden. Die EU fordert Lkw-Ladezentren an hoch frequentierten Straßen mit 1,5 Megawatt pro Ladepunkt. Lkw-Wasserstofftankstutzen sollen pro Sekunde 300 Gramm Wasserstoff mit 700 bar in den Lkw-Tank pumpen. Vorerst scheint sich gasförmiger Druckwasserstoff mit 700 bar weltweit durchzusetzen. Daimler forscht an Flüssigwasserstoff, der mehr Energieinhalt bietet als Druckwasserstoff und laut Johannes Winklhofer von der Salzburger Aluminium Group (SAG) Innovation GmbH auch mit billigeren Tanks auskommt. Aber für die Verflüssigung des Wasserstoffs gehen mit rund 25 Prozent des Energieinhalts an die zehn Prozent mehr verloren als für die Erzeugung von Druckwasserstoff mit 700 bar.
Wasserstofftanks sind generell eine technische Herausforderung, da Wasserstoff extrem flüchtig ist. An einer Lösung arbeitet auch der Konzern Plastic Omnium. Joel Op de Beeck und Ewald Wahlmüller präsentierten in Wien die Studie eines Brennstoffzellen-Pkw, der Kunden damit CO2-freie Fahrten auch über 1.000 Kilometer oder mit angehängtem Wohnwagen über Alpenpässe auf dem bisher gewohnten Niveau erlauben soll.
Doch es bleiben gewisse Mobilitätsbereiche, wofür sich weder ein batterieelektrischer noch ein Brennstoffzellenantrieb für emissionsfreies Fahren eignen, etwa im Tagbau, im Agrar- oder Baustellenbereich. Bei Vierachser-Lkw ist schlichtweg meist kein Platz für Batterien oder Brennstoffzellen. Dies führt zu einer überraschenden Renaissance des Wasserstoff-Verbrennungsmotors, dem in Wien zahlreiche Vorträge gewidmet waren. Sie riefen bei den Teilnehmern großes Interesse hervor, was vor drei Jahren so kaum vorstellbar gewesen wäre, wie Sektionsleiter Univ.-Prof. Helmut Eichlseder launig anmerkte. Vor kurzem galt der Wasserstoff-Verbrennungsmotor als tot.
Wasserstoff im Verbrennungsmotor
Doch die Beerdigung findet vorerst nicht statt, aus mehreren Gründen: Wie bereits erwähnt, gibt es einige Bereiche, wo ein emissionsfreier Betrieb mit Batterien oder Brennstoffzellen derzeit nicht möglich scheint. Die EU entschied zudem, dass im Nutzfahrzeugbereich – anders als bei Pkw – auch Wasserstoff-Verbrennungsmotoren als emissionsfrei gelten, wenn sie weniger als 1 Gramm CO2 pro Kilowattstunde erzeugen. Für die Reduktion anderer limitierter Schadstoffe, vor allem Stickoxide, die Wasserstoffmotoren im geringen Ausmaß erzeugen, werden bei Bedarf bekannte Abgasnachbehandlungssysteme eingesetzt. Renommierte Konzerne wie die AVL List GmbH, Liebherr-Werk Telfs GmbH und BorgWarner sowie zahlreiche universitäre Institutionen gewährten darüber in Wien einen Ausblick.
Für die Kunden zählen drei weitere wichtige Argumente: Wasserstoff-Verbrennungsmotoren sind sehr robust, erprobt, haben eine lange Lebensdauer, die jene von Batterien oder Brennstoffzellen beträchtlich übersteigt, und das zu viel geringeren Kosten. Eine Herausforderung ist das Einspritzsystem für Wasserstoff. Wasserstoff-Verbrennungsmotoren bedingen – anders als Brennstoffzellen – aber keinen hochreinen Wasserstoff. Dies ist vor allem dort, wo Wasserstoff aus Erdgas erzeugt wird, ein Vorteil. Markus Müller, Mitglied des Vorstands der DEUTZ AG, kündigte in Wien an, dass Deutz mit einem Wasserstoff-Verbrennungsmotor 2024 in Serie gehen wird. Große Lkw-Hersteller wie Daimler Truck wollen folgen. Spezialisten wie die deutsche Firma Keyou GmbH bieten zudem Umbauten gebrauchter Diesel-Lkw auf den Betrieb mit Wasserstoff an.
Aber auch für Pkw gilt für bestimmte Bereiche sowie Regionen der Wasserstoff-Verbrennungsmotor als wichtiger Beitrag zur Entkarbonisierung des Verkehrs. So stellte Vincenzo Bevilacqua von Porsche Engineering Services GmbH einen wasserstoffbetriebenen Benzinmotor für Sportwagen vor. Jincheng Li von der chinesischen FAW Group Co. Ltd. zeigte dagegen anhand eines neu entwickelten Wasserstoffmotors, dass damit auch im Massen-Pkw-Bereich CO2-freies Fahren bei geringen Stickoxidemissionen möglich ist. China will bis 2060 klimaneutral sein.
Asien setzt bei Wasserstoff starke Akzente. Allein der koreanische Hersteller Hyundai investiert acht Milliarden Euro in die Wasserstoffwirtschaft – und damit ungefähr allein so viel wie Deutschland im Rahmen seiner „Nationalen Wasserstoffstrategie“ angekündigt hat, sagte Ryan Hassoun von P3 Automotive in Wien.
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