Erstmals wurde an Biopsien von Reizdarmpatienten 
nachgewiesen, dass die Nerven ihrer Darmwand kaum auf einen 
Entzündungscocktail reagieren. Dies widerlegt die bisherige These, 
Reizdarmpatienten hätten einen besonders sensiblen und leicht 
reizbaren Darm. Die neue Studie von TUM-Wissenschaftlern ist in 
Kooperation mit mehreren deutschen Kliniken entstanden.
   Das Reizdarmsyndrom quält rund zehn bis 15 Prozent der Menschen in
den Industrieländern. Die Erkrankung geht mit typischen Symptomen wie
Bauchweh, Blähungen oder Unregelmäßigkeiten beim Stuhlgang einher. 
Lange war gemutmaßt worden, dass es eine psychosomatische Störung 
ist, die durch Stress ausgelöst wird. Eine eindeutige Therapie für 
betroffene Patienten gibt es bislang nicht, lediglich für einzelne 
Symptome. Unumstritten ist inzwischen jedoch, dass es sich um eine 
organische Erkrankung handelt. Die vielfältigen Ursachen sind 
allerdings mit heutigen Messmethoden im Praxisalltag noch nicht 
nachweisbar ist. Eine neue Studie – veröffentlicht in „Frontiers in 
Neuroscience“ – belegt nun erstmals, dass es zu messbaren 
Veränderungen an den Nerven der Darmwand von Reizdarmpatienten kommt.
Nervensensibilisierung kann ausgeschlossen werden
   „Eine mögliche Ursache der Symptome bei einer Gruppe von 
Reizdarmpatienten ist eine erhöhte Ausschüttung von Botenstoffen“, 
sagt Professor Michael Schemann vom TUM-Lehrstuhl für Humanbiologie. 
„Die unter anderem bei entzündlichen Prozessen eine Rolle spielen.“ 
Basierend auf früheren, eigenen Studien postulierten die TUM Forscher
daher eine Sensibilisierung der Nerven in der Darmwand von 
Reizdarmpatienten. Die Forscher haben deshalb die Reaktion an 
Biopsien von Reizdarmpatienten sowie gesunden Probanden einerseits 
auf elektrische Stimulation sowie auf Nikotin überprüft. Beides sind 
etablierte Methoden, um die Ansprechbarkeit der Darmnerven zu testen:
Elektrische Stimulation führt zur synaptischen Übertragung, während 
Nikotin direkt die Darmnerven aktiviert. Erstaunlicherweise 
reagierten bei diesen Tests die Nerven beider Gruppen vergleichbar, 
so dass eine generelle Nervensensibilisierung ausgeschlossen werden 
kann.
Verblüffendes Ergebnis: Ein Reizdarm ist wenig sensibel
   Andererseits wurde ein Entzündungscocktail mit Histamin, 
Proteasen, Serotonin und TNF-alpha verabreicht, um das Milieu in der 
Darmwand der Reizdarmpatienten zu simulieren und die Reaktion darauf 
zu untersuchen. Diese Tests förderten verblüffende Ergebnisse zutage:
„Genau das Gegenteil unserer anfänglichen Vermutung war der Fall: Die
Nerven der Reizdarmpatienten haben signifikant schwächer auf die von 
uns verabreichten Cocktails reagiert als die Biopsien der gesunden 
Probanden“, sagt Professor Schemann. „Die Darmwand dieser Patienten 
ist offenbar desensibilisiert durch eine ursprünglich zu starke 
Aktivierung. Das kann eine Schutzmaßnahme sein, um eine Überreizung 
zu vermeiden.“
   Um diese Schlussfolgerung zu verifizieren, wurden Darmnerven für 
mehrere Stunden einer Reizung ausgesetzt. Das Ergebnis: „Sind die 
Nerven die ganze Zeit gereizt, regeln sie die Reaktion quasi 
herunter“, erklärt Schemann, der seit Jahren das Reizdarmsyndrom 
erforscht und betont, dass dies aufwändige experimentelle 
Untersuchungen seien, weit entfernt von Routine-Diagnosemethoden. „Es
bleibt offen, wie die beobachtete Desensibilisierung der Nerven auf 
ganz bestimmte Botenstoffe die eigentlichen Symptome verursacht und 
ob dieses Phänomen neue Therapieoptionen eröffnet“.
   Zwar beweisen die Untersuchungen eine verminderte Reaktion auf 
einen Entzündungscocktail, schließen aber eine mögliche 
Sensibilisierung durch andere Stoffe nicht aus.
   Die Studie wurde möglich durch die Mitarbeit der Teams von 
Professor Ewert Schulte-Frohlinde vom Klinikum Freising, Professor 
Christian Pehl vom Krankenhaus Vilsbiburg, Professor Manfred Kurjak 
der Gastroenterologischen Fachpraxis in München, Professor Thomas 
Frieling vom Helios Klinikum Krefeld und Professor Paul Enck vom 
Universitätsklinikum Tübingen.
Publikation:
   Reduced responses of submucous neurons from irritable bowel 
syndrome patients to a cocktail containing histamine, serotonin, TNF 
and tryptase (IBS-cocktail). Front. Neurosci. Nov. 2015 doi: 
10.3389/fnins.2015.00465
Kontakt:
Prof. Dr. Michael Schemann
Technische Universität München
Lehrstuhl für Humanbiologie
Tel: +49 (0)8161/ 71-5483
schemann@mytum.de