Wie können im globalen Kontext Teilnehmer an
Arzneimittelstudien wirkungsvoll geschützt und ethische Standards
durchgesetzt werden? Wie kann im globalen Kontext die Qualität der
Forschung gesichert werden? Sind Ethikkommissionen für den Schutz von
Probanden geeignet und erforderlich? Welche ethischen Anforderungen
sollen bei europäischen Forschungsvorhaben Berücksichtigung finden?
Auf diese und andere Fragen eine Antwort zu finden, war das Anliegen
des Deutschen Ethikrates mit seiner Jahrestagung 2013, in deren
Verlauf er mit etwa 300 Teilnehmern am gestrigen Donnerstag in Berlin
diskutierte.
„Wir alle wollen medizinischen Fortschritt. Für diesen Fortschritt
brauchen wir Forschung. Forschung ohne Risiken für die beteiligten
Probanden gibt es nicht. Forschung hat immer einen Preis“, so
Christiane Woopen, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates in ihrem
Eingangsstatement. Insofern gehe es um Fragen des Probandenschutzes
und der gerechten Verteilung von Nutzen und Lasten der Forschung. Die
zunehmende Internationalisierung der Arzneimittelforschung mache es
dabei erforderlich, bei verschiedenen moralischen Überzeugungen und
kulturellen Identitäten hohe ethische Standards zu sichern.
Ignaz Wessler, geschäftsführender Arzt der Ethikkommission der
Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, stellte den Entwurf einer
Verordnung der Europäischen Kommission zur Arzneimittelforschung am
Menschen vor, auf deren Grundlage die Durchführung klinischer Tests
künftig neu geregelt und das bislang sehr unterschiedliche Vorgehen
in den 27 Mitgliedstaaten harmonisiert werden soll. Auf diese Weise
soll Europa als Forschungsstandort attraktiv gehalten und ein
schnellerer Zugang zu innovativen Technologien möglich werden. Der
Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen, die Bundesärztekammer
sowie Bundestag und Bundesrat stehen einer derartigen Neuregelung, so
Wessler, kritisch gegenüber, weil die neue Verordnung teilweise
hinter den bisher geltenden rechtlichen und ethischen Standards der
Arzneimittelforschung zurückbleibe.
Unter Bezugnahme auf die geltende Rechtslage unternahm Andreas
Spickhoff von der Universität Göttingen im folgenden Vortrag eine
kritische Einordnung der geplanten EU-Verordnung. Spickhoff
befürchtet insbesondere eine Herabsetzung bestehender Standards in
Europa mit weitreichenden Folgen für die Standards in Entwicklungs-
und Schwellenländern. Insbesondere ging er auf die wichtigen Aufgaben
der Ethikkommissionen und ihre Bedeutung für die Sicherheit der
Probanden ein. In seinem Schlusswort plädierte er für „Gründlichkeit
vor Schnelligkeit“. In der darauf folgenden Diskussion mit dem
Publikum sprach sich auch Siegfried Throm vom Verband forschender
Arzneimittelhersteller für den Erhalt der Ethikkommissionen aus.
Auch Jochen Vollmann von der Universität Bochum kritisierte, dass
Ethikkommissionen als notwendige Prüfinstanzen in der geplanten
EU-Verordnung nicht vorgesehen sind. Einer der Gründe für die
EU-Verordnung sei der Rückgang klinischer Studien in Europa. Dieser
sei allerdings nicht auf die höheren Standards zurückzuführen,
sondern habe mit sozioökonomischen Aspekten zu tun. Insofern solle
anstelle einer Reduzierung ethischer Standards das
Finanzierungsproblem angegangen werden. Der Verordnungsentwurf der
EU-Kommission gefährde wichtige „Kulturerrungenschaften wie Respekt
vor Selbstbestimmung, Schutz der Probanden vor Interessen Dritter und
die Kultur einer Forschungsethik“, die besonders von den
Ethikkommissionen vor Ort beachtet und gefördert werde.
Wie wichtig die Arbeit der klinischen Ethikkommissionen gerade auf
lokaler Ebene ist, erläuterte Monika Bobbert von der Universität
Heidelberg. Allerdings mahnte sie Veränderungsbedarf hinsichtlich
einer bundesweit einheitlichen, gesetzlichen Regelung an: Bobbert
zufolge sollten sich Ethikkommissionen mindestens zur Hälfte aus
Mitgliedern nicht medizinischer Bereiche zusammensetzen, um eine
unparteiische Interessenabwägung zu gewährleisten. Es müsse geregelt
werden, welche ethische Expertise die Mitglieder mitzubringen hätten.
Zudem plädierte Bobbert dafür, dass Ethikkommissionen nicht nur die
ethischen Fragen einer geplanten Studie kompetent und unabhängig
beurteilen, sondern auch ihren Verlauf und ihre Ergebnisse
begutachten sollten. Dies sei dem Schutz der Probanden und dem
wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn in hohem Maße zuträglich.
Inder Sen Gandhi von den Vimta Labs in Hyderabad und Amar Jesani
vom Center for Studies in Ethics an Rights in Mumbai in Indien
stellten die Praxis und ethische Standards der Arzneimittelforschung
in Indien vor. Die Rolle des Arztes als Forscher, die
Nutzen-Risiko-Abwägung, die informierte Einwilligung der Probanden,
Fragen der Verantwortung und Teilhabe am Nutzen sowie der
Entschädigung der Studienteilnehmer stellten große Herausforderungen
für die Arbeit klinischer Ethikkommissionen in Indien dar. Beide
Referenten gingen in ihrer Darstellung von der besonderen
Schutzwürdigkeit vieler indischer Probanden aus, und machten konkrete
Vorschläge für die Schritte, die für eine verantwortungsvolle
Forschung in Indien notwendig seien. Insbesondere Jesani machte
deutlich, dass ethische Richtlinien nicht nur erarbeitet, sondern
auch umgesetzt werden müssten.
Mit seinen philosophischen Überlegungen führte Ludwig Siep von der
Universität Münster die Erörterungen des Tages auf die Begründung
bestehender ethischer Standards auf den Ausgangspunkt zurück. Berührt
seien gleichermaßen Menschenrechte wie Prinzipien der allgemeinen
Moral und Gerechtigkeitserwägungen. Zum Teil werde die Frage
diskutiert, inwieweit die scheinbar vom westlichen Menschenbild
geprägte Autonomie-Argumentation mit der in anderen Kulturen stärker
ausgeprägten Gruppenbindung überhaupt kompatibel ist.
Auf dem anschließenden Podium diskutierte Ratsmitglied Wolfgang
Huber mit den beiden Gästen aus Indien sowie Ratsmitglied Silja
Vöneky die Frage nach den Pflichten der Staaten gegenüber global
agierenden pharmazeutischen Unternehmen, die ihre Arzneimittelstudien
zunehmend in Entwicklungs- und Schwellenländer verlagerten. Aus
menschenrechtlicher Perspektive machte Vöneky deutlich, dass die
Industriestaaten den innerhalb ihrer territorialen Grenzen ansässigen
Unternehmen Regelungen stärker als bisher zum Schutz der Probanden
auferlegen könnten, die dann mittelbar auch für die
Tochterunternehmen und Dienstleister in Entwicklungs- und
Schwellenländern Geltung hätten. Aber auch jene Staaten, in denen die
Forschung stattfinde, hätten die Pflicht, zum Schutz der Probanden
Bedingungen für die forschenden Unternehmen festzulegen oder mit
diesen auszuhandeln, die menschenrechtlich vertretbar seien. Hier
müsse es insbesondere zu einer Einschränkung der Zulässigkeit von
Placebo-Studien kommen, wenn eine Standardtherapie im Heimatstaat des
auftraggebenden Unternehmens verfügbar sei. Zudem seien die ethischen
Richtlinien, wie die GCP-Richtlinie, auf die auch der
EU-Verordnungsentwurf Bezug nehme, auf ihre Vereinbarkeit mit den
Menschenrechten und daraus folgenden Pflichten zum Schutz der
Probanden zu überprüfen.
In seinem Schlusswort hob Ratsmitglied Wolf-Michael Catenhusen
nochmals die globale Dimension des Themas hervor. Die eindrucksvollen
Beispiele aus Indien seien exemplarisch für andere Länder und deren
Umbauprozess zu einer modernen Gesundheitswirtschaft. Er betonte,
„dass die Etablierung weltweiter Standards des ethisch
verantwortungsvollen Umgangs mit der Einführung bestimmter Titel und
Strukturen nicht automatisch den Geist von ethischen Grundprinzipien
annimmt, den wir ausgehend von der Helsinki-Deklaration gewonnen
haben“, und mahnte an, die Diskrepanz zwischen Anspruch und
Wirklichkeit im Auge zu behalten.
Das Programm der Jahrestagung sowie die Vorträge und
Diskussionsbeiträge können unter http://ots.de/7w5Xd abgerufen
werden.
Pressekontakt:
Ulrike Florian
Deutscher Ethikrat
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Jägerstraße 22/23
D-10117 Berlin
Tel: +49 30 203 70-246
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: www.ethikrat.org