Wertvolle wissenschaftliche Diskussionen beim dritten internationalen DDI Workshop im Schloss Marbach, Bodensee

Die parallele Anwendung mehrerer Arzneimittel nimmt mit dem steigenden Anteil der Senioren in den Industriegesellschaften weiter zu. Hartmut Derendorf nannte für Finnland durchschnittlich 5 Arzneimittel bei Patienten über 80 Jahre. Larry Lesko sprach von 37 Prozent der über 65-jährigen Patienten, die durchschnittlich 5 verschriebene Arzneimittel und weitere 4 OTC-Produkte gleichzeitig verwenden. Die Daten stammen aus den USA. Für die Teilnehmer des wissenschaftlichen DDI Workshops ist die gesellschaftliche, medizinische und wirtschaftliche Bedeutung der Arzneimittel-Interaktionen unbestritten und sowohl die medizinisch Verantwortlichen für die Pharmakotherapie als auch alle Arzneimittelentwickler haben sich dieser Herausforderung zu stellen.

Es ist auffällig, wie unterrepräsentiert neue Arzneimittel in den allgemein bekannten Standardwerken zu Arzneimittel-Interaktionen sind. Dies ist Ausdruck dafür, dass Arzneimittelwechselwirkungen meist erst später nach der Einführung der Medikamente entdeckt werden und dann auch erst Eingang in die Fachinformationen finden. Wir haben hier ohne Zweifel Lücken in der Information der Arzneimittelanwender. Auch die Form der Information zu Arzneimittel-Interaktionen ist noch nicht zufriedenstellend, wie Helen Winter in ihrem Vortrag zur Kommunikation von Arzneimittelwechselwirkungen in den Fachinformationen ausführte.

Die zunehmende Aufmerksamkeit für Arzneimittel-Interaktionen drückt sich auch in der aktuell laufenden Überarbeitung der diesbezüglichen Richtlinien der Gesundheitsbehörden (Guidelines) aus. Sowohl in Europa als auch den USA werden die Guidelines für die Untersuchung der Arzneimittel-Interaktionen z.Zt. neu überarbeitet. Wie zu erwarten, war die Besprechung der vorliegenden Guideline-Entwürfe der EMA (European Medicines Agency) und FDA (Food and Drug Administration) das zentrale Thema der Veranstaltung. Eva Gil-Berglund von der schwedischen Behörde und Koordinatorin für die Bearbeitung der EMA DDI Guideline stellte nochmals die geplanten Änderungen gegenüber der bestehenden Guideline dar und nannte die wichtigsten Gründe für die laufende Überarbeitung. Einer davon ist der heutige Wissensstand zu Transporter-bedingten Arzneimittel-Interaktionen, was auch breiten Raum in den Vorträgen des Workshops einnahm (Vorträge von Dietrich Keppler, Mikko Niemi, Caroline Lee, Sebastian Härtter und Amin Rostami-Hodjegan). Auch in der Forumsdiskussion und bei einer Diskussion mit Abstimmung zeigte sich beim diesjährigen DDI Workshop, dass viele Teilnehmer mit den Anforderungen bzgl. Transporter-bedingter DDIs in den Guidelines noch nicht zufrieden sind. Es wird vor allem befürchtet, dass durch die neuen Guidelines viele unnötige klinische Studien induziert werden. Diese Ansicht teilte auch Larry Lesko aus den USA, der in seinem Vortrag den erst kürzlich publizierten FDA (Food and Drug Administration) Entwurf der Guideline bewertete. Larry Lesko war über 20 Jahre im FDA Center for Drug Evaluation and Research (CDER) Direktor der Klinischen Pharmakologie und damit auch zuständig für die Beurteilung von Arzneimittel-Interaktionsstudien. Heute leitet er ein Institut für Pharmakometrie und Systempharmakologie der Universität Florida. Neben der Länge (79 Seiten) des Entwurfs sprach er die vielen Entscheidungsbäume mit teilweise recht komplizierten Darstellungen und verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten als kritische Punkte des Guideline-Entwurfs an. Aus seiner Sicht sind außerdem die Konsistenz im Review-Prozess, die noch nicht ausreichenden Erfahrungen der Arzneimittelbehörden mit dem PBPK (Physiologically-based Pharmacokinetic) Modeling sowie die Umsetzung der neuen Erkenntnisse in brauchbare Anweisungen für die Entscheider in der Patientenbehandlung nicht beantwortete Fragen. Vertreter der Pharmaindustrie betonten mehrmals in den Diskussionen, dass die Guidelines nicht zu viele Hürden für die Entwicklung der Arzneimittel enthalten dürfen, um Arzneimittelentwicklungen nicht noch teurer und zeitintensiver zu machen.

Wie bereits im letzten Jahr wurden die recht hoch angesetzten „Safety Margins“ (z.B. das 50-fache der maximalen Plasmakonzentration Cmax) bei der Beurteilung von in vitro-Ergebnissen kritisiert. Diese „Safety Margins“ bestimmen wann auf Basis von in vitro Daten die Verfolgung einer möglichen Interaktion in einer klinischen Studie von Seiten der Arzneimittel-Behörde als notwendig erachtet wird. Dies könnte aufgrund einer falsch-positiven Interpretation der in vitro Ergebnisse zu einer unnötig großen Anzahl von wenig informativen/relevanten klinischen Interaktionsstudien führen und damit eine Fehlallozierung von Forschungsbudgets nach sich ziehen.

In den meisten Vorträgen und Diskussionen wurde allgemein auf die Schwierigkeit hingewiesen, einen pragmatischen und bezahlbaren Weg bei der Untersuchung von DDIs zu finden. Einerseits soll der wissenschaftliche Anspruch einer möglichst umfassenden Untersuchung und andererseits die Bezahlbarkeit der Arzneimittelentwicklungen erfüllt werden. Larry Lesko unterstrich in seinem Vortrag, dass nicht alle denkbaren Interaktionen vor der Zulassung eines neuen Medikaments untersucht werden können, und dass Maßnahmen zur Detektion von Interaktionen nach Markteinführung verstärkt werden müssen.

Durch die Überarbeitung der Guidelines induziert, waren die Diskussionen zu Transporter-bedingten DDIs besonders intensiv. Bis heute sind die verfügbaren in vitro Modelle dazu nicht zufriedenstellend für den Entscheidungsprozess in der klinischen Entwicklung. Die Vorträge zu diesem Thema wurden sehr aufmerksam verfolgt und PBPK Modeling als Ergänzung der in vitro Modelle stand im Fokus. Amin Rostami-Hodjegan stellte die neuen Ansätze für die Untersuchung von Transporter-bedingten DDIs im Modeling zusammen. Er berichtete über einen Anstieg um den Faktor 12 von Daten aus PBPK Modeling in den NDA Unterlagen in den letzten Jahren. Ergänzt wurden diese Ausführungen durch den Vortrag von Mikko Niemi aus Finnland, der über die Transportvorgänge in Leberzellen und deren Bedeutung für Arzneimittelwechselwirkungen berichtete. Auch Dietrich Keppler vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) behandelte Transportvorgänge in Leberzellen. Dabei konzentrierte er sich auf aktive Ausscheidungsprozesse der Leberzellen. Caroline Lee gab ergänzend zum Thema Transporter-bedingte DDIs einen Überblick über methodische Herausforderungen der z.Zt. etablierten und von der FDA empfohlenen in vitro Modelle und diskutierte den Stellenwert der Parameter Ki und IC50 in der Definition von als Grundlage für „Safety Margins“. Sie präferiert IC50-Werte als Basis für weitere Überlegungen. Ohne Zweifel existieren noch einige Unsicherheiten auf diesem Gebiet, die in den nächsten Jahren aufgearbeitet werden müssen.

Nicht nur das ständig wachsende Wissen zu Transporter-bedingten DDIs beschäftigte die Workshop-Teilnehmer über zwei Tage. Sie informierten sich auch über Arzneimittel-Interaktionen, die in Zusammenhang mit der Beeinflussung der Enzymfamilie der Glucuronosyl-Transferasen (UGTs) stehen. Andrew Parkinson berichtete über spezifische Herausforderung in der in vitro Charakterisierung von UGT-basierten Interaktionen und Robert Hermann präsentierte eine Übersicht des heutigen Wissensstandes zu UGT-basierten klinischen Interaktionen und deren Berücksichtigung im klinischen Entwicklungsplan. Die Bildung von Glucuroniden durch Glucuronosyl-Transferasen ist einer der wichtigsten Stoffwechselwege, der sowohl zur Eliminierung und Entgiftung von Arzneimitteln als auch zur Inaktivierung z.T. hochaktiver körpereigener Stoffwechselprodukte und Botenstoffe (z.B. Hormone) benutzt wird. Die Möglichkeiten der Beeinflussung dieser biochemischen Reaktionen durch verschiedene Arzneimittel, die gleichzeitig gegeben werden, sind deshalb äußerst wichtig und in der Arzneimittelentwicklung noch keinesfalls ausreichend berücksichtigt und in den Guidelines entsprechend implementiert. Er zeigte Beispiele auf, bei denen Interaktionen zwischen verschiedenen Arzneimitteln oder aber zwischen Medikamenten mit körpereigenen Botenstoffen auf eine arzneimittelbedingte Beeinträchtigung der Glucuronosyl-Transferasen zurückgehen.

Arzneimittel-Interaktionen, die auf der Verdrängung einer Substanz aus ihrer Plasmaproteinbindung durch eine andere, gleichzeitig verabreichte Substanz beruhen, wurden von Oliver von Richter kritisch beleuchtet. Derartige Interaktionen wird im allgemeinen keine klinische Relevanz beigemessen, so enthält die Guideline der FDA hierzu keine Informationen. Allerdings zeigen neueste Untersuchungen, dass eine Kombination von Verdrängung aus der Plasmaproteinbindung mit gleichzeitiger Hemmung der Elimination der betroffenen Substanz sehr wohl Interaktionen auslösen kann, die mit herkömmlichen Methoden, d.h. der Messung der gesamten Plasmakonzentration nicht aufgespürt werden können.

Eine weiteres wichtiges Thema bei diesem Workshop waren pharmakodynamische Studien und deren Bedeutung bei der Untersuchung von Arzneimittel-Interkationen. Es wurde festgestellt, dass pharmakodynamische Interaktionen bislang typischerweise oft erst nach der Markteinführung von Medikamenten realisiert wurden. Dies ist u.a. darin begründet, dass die bisherigen Guidelines sich weitgehend auf die Änderung der Pharmakokinetik als Grundlage für Interaktionen beschränken. Folgen für die Wirkung eines Arzneimittels werden dann aufgrund der Annahme einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung abgeschätzt. Hartmut Derendorf führte in seinem Vortrag aus, dass genau diese Annahme aber für pharmakodynamische Effekte objektiv falsch ist und bei der Untersuchung der DDIs die Pharmakodynamik, ohne die eine Bewertung der klinischen Relevanz ja überhaupt nicht erfolgen kann, verstärkt beachtet werden muss. Larry Lesko hatte bereits in seinen Ausführungen zu dem Entwurf der FDA Guidelines angemerkt, dass diese fast ausschließlich pharmakokinetische Ansätze berücksichtigen. Im Workshop wurde unterstrichen, dass bei DDI Untersuchungen eine neue Perspektive eingenommen werden sollte, bei der öfter proaktiv die Notwendigkeit pharmakodynamischer Studien hinterfragt wird.

Der wissenschaftliche Workshop wurde wieder durch eine Industrieausstellung begleitet. Dieses Jahr waren 3 spezialisierte Dienstleistungsunternehmen im Bereich der Arzneimittelentwicklung mit einem Ausstellungsstand im Schloss Marbach vertreten.

Redner des 3. DDI Workshops
Dr. Eva Gil-Berglund, PhD, Medical Products Agency, Schweden
Prof. Dr. Hartmut Derendorf, PhD, FCP, College of Pharmacy, University of Florida, USA
PD Dr. Sebastian Härtter, PhD, Boehringer Ingelheim, Biberach, Deutschland
Dr. Robert Hermann, MD, FCP, cr.appliance, Radolfzell, Deutschland
Prof. Dr. Dietrich Keppler, MD, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg, Deutschland
Dr. Caroline A. Lee, PhD, DMPK Solutions, USA
Prof. Dr. Larry Lesko, Center for Pharmacometrics and Systems Pharmacology, University of Florida, USA
Prof. Dr. Mikko Niemi, PhD, Pharmacogenetics, University of Helsinki, Finnland
Prof. Dr. Andrew Parkinson, PhD, XPD Consulting, Shawnee, Kansas, USA
Dr. Oliver von Richter, PhD, FCP, MerckSerono, Deutschland
Prof. Dr. Amin Rostami-Hodjegan, PharmD, PhD, FCP, Faculty of Medical and Human Sciences, University of Manchester, UK
Dr. Manuela LT Vieira, PhD, University of Florida, USA
Dr. Helen Winter, PhD, University of Otago, Neuseeland

Über die DDI Workshop Serie
Die DDI Workshops sind eine Initiative von cr.appliance in Kooperation mit Hartmut Derendorf, Amin Rostami-Hodjegan und Oliver von Richter. Die Veranstaltungsreihe findet im Tagungszentrum Schloss Marbach am Bodensee statt.

Organisiert wird die DDI Workshop Serie von:
• Prof. Dr. Hartmut Derendorf, PhD FCP; College of Pharmacy, University of Florida, USA
• Dr. Robert Hermann, MD, FCP; cr.appliance, Deutschland
• Prof. Dr. Amin Rostami-Hodjegan, PhD FCP; Faculty of Medical and Human Sciences, University of Manchester, UK
• Dr. Oliver von Richter, PhD FCP; Dept. Exploratory Medicine, Merck Serono Deutschland.

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