Kein Zweifel: Forscher haben dem Krebs den Krieg
angesagt. Das immer bessere Verständnis um die Ursachen der
Erkrankungen führt zu immer genaueren Diagnosen und immer wirksameren
Therapien. Es herrscht Euphorie in den Laboren der Krebsforscher
weltweit. Gleichzeitig wachsen die Sorgen: Wer soll diese Therapien
auf Dauer bezahlen können, fragen sich viele. Ein Blick auf die
Fakten kann hier eine ähnliche Wirkung entfalten wie hochdosiertes
Baldrian.
Geschichte wiederholt sich: Noch bei keiner größeren
pharmazeutischen Innovation hat der besorgte Blick auf die Kosten
gefehlt – und es ist schon mehrmals der Untergang der Sozialsysteme
vorhergesagt worden. Egal ob Cholesterinsenker, HIV-Präparate,
HPV-Impfung oder Hepatitis-Medikamente – immer war der öffentliche
Aufschrei groß. Und immer ist das angekündigte Szenario nicht
eingetreten.
„Können wir uns den Fortschritt leisten?“, lautet deshalb auch im
Falle der neuen Krebsmedikamente die Frage. Ein Blick auf die Fakten:
1. Die Brutto-Ausgaben (d.h. ohne Abzug von Rabatten,
Mehrwertsteuer und der Vergütung von Großhandel und Apotheken) der
gesetzlichen Krankenkassen (GKV) für Krebsmedikamente beliefen sich
im Jahr 2016 auf 5,35 Milliarden Euro. Das ist auf den ersten Blick
viel Geld. Gemessen an den Gesamtausgaben der GKV für Arzneimittel
sind es rund 13 Prozent: Von 100 Euro, die die Krankenkassen für
Arzneimittel ausgeben, fließen rund 13 Euro in die medikamentöse
Behandlung von Krebspatienten. Noch prägnanter: Für die
zweithäufigste Todesursache in Deutschland investiert die GKV 13 von
einhundert Euro in Medikamente gegen Krebs.
2. Die Kosten einzelner Präparate steigen. Dafür gibt es mehrere
Gründe:
Die Fortschritte in der genetischen Forschung führen zu immer
größerer Patientensegmentierung. Unterschied man beim Lungenkrebs bis
vor kurzem noch zwischen kleinzelligem und nicht-kleinzelligem
Karzinom, sind es mittlerweile mindestens zwei Dutzend genetisch
unterschiedliche Varianten – die jeweils eigene Behandlungsoptionen
erfordern.
Mit potenziell kleiner werdenden Patientengruppen schrumpfen auch
die Umsatzpotenziale einzelner Präparate, was Auswirkungen auf den
Preis hat. Bei den neuesten Therapieansätzen aus der Immunonkologie
(CAR-T) werden die Präparate individuell für jeden Patienten
hergestellt.
Die erdrückende Mehrheit der untersuchten Moleküle schafft es
nicht zur Marktreife. Experten gehen davon aus, dass die Erfolgsrate
in der Onkologie bei sechs Prozent liegt. Auch abgebrochene
Studienprogramme müssen aber finanziert werden.
Die Forschungskosten steigen insgesamt seit Jahren stark an –
nach einer Studie aus dem Jahr 2016 sind es rund 8,5 Prozent pro Jahr
und neu zugelassenem Medikament. Das liegt u.a. an den steigenden
Anforderungen an klinische Studien.
3. Richtig ist: Es gibt einen Anstieg bei den Ausgaben für
Krebsmedikamente. Das liegt – ebenfalls richtig – auch an steigenden
Preisen pro Medikament. Vor allem aber gibt es mehr Therapien: Allein
seit 2011 wurden weltweit 68 neue Krebsmedikamente in 22
verschiedenen Indikationen zugelassen. Für Patienten heißt das:
verbesserte Therapieergebnisse und eine Reduzierung der
Sterblichkeitsraten bei vielen Tumorformen. Für Krankenkassen heißt
das: mehr Ausgaben. Und: Neue Therapieoptionen bedeuten auch, dass
Menschen behandelt werden, die bisher nicht behandelt werden konnten,
wie z.B. beim schwarzen Hautkrebs. Das ist auch wieder eine gute
Nachricht, die aber Geld kostet.
4. Arzneimittelmärkte sind hochdynamisch. Deshalb sind steigende
Kosten in einem einzelnen Bereich noch kein Grund zur Sorge. Das
Onkologie-Segment steigt zurzeit, weil dies ein hochinnovativer
Bereich ist – so wie das früher z.B. der Bereich der
Herzkreislauferkrankungen (Blutdruck- oder Cholesterinsenker) war.
Diese kosten heute noch Bruchteile dessen, was sie nach Einführung
gekostet haben. Grund zur Sorge wäre also, wenn die Ausgaben für
Arzneimittel insgesamt schnell steigen würden. Diese Mär hält sich
zwar wacker, ist aber durch nichts zu belegen. Der Anteil der
Arzneimittelausgaben an den GKV-Gesamtausgaben sind mit 17,0 Prozent
heute niedriger als 1970 (17,7 %) – inklusive der Großhandels- und
Apothekenmargen, sowie die Mehrwertsteuer. Zieht man die noch ab,
dann gilt als Fakt: Für die gesamte ambulante Arzneimittelversorgung
der GKV liegt der Anteil der pharmazeutischen Industrie heute bei
unter 10 Prozent, wie der Bundesverband der Pharmazeutischen
Industrie (BPI) erst kürzlich wieder vorgerechnet hat.
5. Dass Krankenkassen über Ausgaben klagen, gehört zu ihrem
Selbstverständnis. Weniger verständlich ist, warum sie über Preise
klagen, denen sie selbst den Segen erteilt haben. Das tun sie – mit
nur ganz wenigen Ausnahmen – für alle seit 2011 in Deutschland neu
zugelassenen Präparate. Seitdem gilt: Wenn ein pharmazeutisches
Unternehmen ein neues Mittel auf den Markt bringt, darf es für die
ersten zwölf Monate den Preis festsetzen, den es für angemessen hält.
Währenddessen läuft ein Nutzenbewertungsverfahren
(„AMNOG-Verfahren“). Am Ende des AMNOG steht ein Preis, auf den sich
Unternehmen und der Spitzenverband der Krankenkassen geeinigt haben.
Oder eben nicht. Dann aber wird es das Präparat in Deutschland nicht
geben, wenn es selbst via Schiedsstelle keine Einigung gab.
6. Wenn Krankenkassen bei Krebsmedikamenten über „Mondpreise“
klagen, kritisieren sie somit ihr eigenes Verhandlungsergebnis.
Folgende Zahl zeigt, dass Pharmaunternehmen und Kassenvertreter aber
soweit gar nicht auseinanderliegen: In der Onkologie beträgt der
Unterschied zwischen der Preisvorstellung des Unternehmens vor Beginn
der Verhandlung und dem tatsächlich ausgehandelten Preis 14 Prozent
(eigene Berechnungen). Das ist wenig Mond im Mondpreis.
7. Die Jahrestherapiekosten, die der Gemeinsame Bundesausschuss
(GBA) bei der Nutzenbewertung neuer Therapien ausweist
(„AMNOG-Verfahren“), überschätzt die wirklichen Kosten oft
dramatisch. Das zeigt ein Vergleich mit realen Marktdaten, die die
Krankenkasse Barmer für das Jahr 2016 veröffentlicht hat. So geht der
G-BA im Falle des Wirkstoffes Pomalidomid von Jahrestherapiekosten
von 127.814 Euro aus, laut Barmer fallen aber durchschnittlich 44.419
Euro an – eine Differenz von 188 Prozent. Oder der
Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab: hier ist die Differenz sogar 244
Prozent. Ähnliche Unterschiede lassen sich auch für viele andere
Präparate aufzeigen. Dafür gibt es Gründe: Die Zahlen des G-BA
unterstellen, dass die Therapien das ganze Jahr durchgegeben werden.
Um den in den Studien gezeigten therapeutischen Effekt zu erzielen,
müssen die Therapien in der Realität zumindest im Durchschnitt jedoch
nicht 12 Monate ununterbrochen eingenommen werden. Deshalb fallen in
der Realität die echten Jahrestherapiekosten meist deutlich geringer
aus.
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